Feiertag in allen katholischen Gebieten der Republik. Nachrichtenflaute, Krimimangel. Aber zwei Sachen haben wir denn doch gefunden, und wenn Sie auch noch etwas haben: →hier freut man sich drüber.
„Nachtschuss. Die Kriminalkolumne von Friedrich Ani“ gibt es in der „Süddeutschen Zeitung“. Aber wohl nur im Bezahlteil. Das Abdrücken der Euros lohnt indes, denn Friedrich Anis Beitrag ist „Der Herrgott und die Seinigen. Die nackte kalte Welt der Andrea Maria Schenkel“ übertitelt, und jetzt weiß ich, was ich seit Monaten vermisste habe: Gottsucher Ani schreibt über „Tannöd“. Und in welchen Sätzen! Unser Münchner Korrespondent, dem wir diese Zeugnisse wahrer Nachtschüssigkeit verdanken, hat beim Abschreiben sein „Herrgott, ich danke dir dafür“ gemurmelt.
„Nazizeit und Nachkriegszeit wabern wie giftige Nebel über die Wiesen und Felder und in die Stuben der sechs Hauptfiguren. (…) Ein 120-Seiten-Roman in karger Sprache, ein Regionalkrimi, dessen Strassen man nicht abgehen, dessen Winkel man nicht fotografieren, dessen Gerichte man nicht nachkochen kann und dessen Menschen man nicht unbedingt begegnen möchte. (…) Wer das Grauen sucht, ist auf dem katholischen Land nie verkehrt“.
Bei der „Süddeutschen“ auch nicht.
Neues gibt es auch von Axel „Pfalzblog“ Bussmer zu berichten. Er hat einen Österreicher gelesen, und der hat ihm so gar nicht gefallen. Thomas Raabs →„Der Metzger muss nachsitzen“ wird noch in der regulären Rezensionsstunde bei der „Berliner Literaturkritik“ verrissen.
„Der Metzger muss nachsitzen“ ist zwar ein Kriminalroman aus Österreich, aber die Brenner-Romane von Wolf Haas sind oberhalb des Weißwurst-Äquators genießbarer. Sie sind bizarrer, besser geschrieben und in sich schlüssiger.
So, das wars für den Feiertag. Morgen geht’s weiter.
Oh Leute – bitte! Die Kolumne von Fritz in der SZ heißt NAHSCHUSS. Und was er dort in der Fronleichnamausgabe über „Tannöd“ geschrieben hat, hat mit „Nachschießen“ nun so gar nichts zu tun. Erstens weil Fritz Ani als Kritiker – soweit ich weiß – noch nie KollegInnen hingerichtet hat, schon gar nicht durch Nachschießen oder -treten; sondern weil er zweitens und titelgemäß vor allem sehr nah rangeht an die Bücher und ihre AutorInnen und auch so schreibt: So nah, wie sich einer leisten kann, der nicht nur Kritiker, sondern auch selbst Romanschreiber ist, bei beidem auf „Kanonisiertes“ pfeift und damit eine Souveränität entwickelt hat, die die branchenüblichen Neidhammeleien nicht braucht.
Auch seine „Tannöd“-Reze ist von der hierzulande so seltenen Eleganz, die das ganze bleischwere Ge-Diskurse re. „Ist Krimi Literatur und wenn ja, warum nicht?“ oder „Was unterscheidet Fiction und Journalismus?“ aushebelt. Und das ist KEINE Geschmacksfrage.
Stellt das ganze Ding online, das erspart falsches Sich-EINSCHIESSEN – wünscht sich die gern alles Dogmatische zersetzende P.
Sorry, ein Übermittlungsfehler. Aus „Nachschuss“ hab ich „NachTschuss“ gemacht, es heißt aber „Nahschuss“. Okay. Das ist der Fluch der bösen Tat, sowas nicht online zu stellen.Es freut mich aber zu hören, liebe Pieke, dass wir, was Ani als Romanschreiber betrifft, so ganz und gar verschiedener Meinung sind.
bye
dpr
Stille Post: schon mein Mail-Text war falsch, da hieß es noch „Nachschuss“ (shit happens, aber eine Kopie wäre, anders als ein Zitat, eh nicht in’s Netz zu stellen).
Ist Krimi Literatur und wenn ja, warum nicht?
*lacht
Lieber JL – was so Augen-Blicke alles nach sich ziehen können, gell? Es bricht mir das Herz, dass Ihr unscharfer Blick auf ein Kolumnen-Logo Ihnen auch gleich noch das Apostroph-Teufelchen in die Tastatur gelockt hat. Aber mithilfe von Opferselbsthilfegruppen wie „Rettet dem Dativ“, „Des Genitivs darf nicht sterben“ oder auch „Hier wird der Akkusativ geholfen“ soll man da schöne Heilerfolge verbuchen können.Nicht’s für ungut.
Lieber dpr – ich hatte das zusätzlich überflüssige T wohl bemerkt, allein mir schien Dein (wie ich jetzt weiß) Drumrumtext atmosphärisch so nachschuss-freudig, dass ich das T gar nicht erst ignoriert hab. Ich finde Nachtreten und -schießen unehrenhaft, das macht man nicht. Und auf Fritz eingeschossen hast Du Dich ja doch mit Wonne. Das ist Dein gutes Recht – öffentliche Literatur ist AUCH dazu da, öffentlich auseinandergenommen zu werden, und öffentliche Kritik, wenn gut, ist immer auch Ernstnehmen. Nur, eine literarische Figur eines Schriftstellers als quasi gerichtsfesten Beweis für dessen religiöse Befindlichkeit zu nehmen, ihn zum „Gottsucher“ zu erklären – weiß Gott (sic!) kein wertneutraler Begriff – und damit eine Rezension von ihm abzuschmecken, das hat mit kritischem Geist nichts zu tun, da muss was anderes mit Dir durchgegangen sein. Und DAS kritisiere ich umgekehrt, weil ich Dich auch gern weiter enstnehmen möchte. You verstand?
Liebe anobella – „… und wenn ja, warum nicht“ ist bloß Kishon (also Torberg) aktualisiert.
Poe(li)tically ys. – P.
which reminds me of the blaumilchkanal which i would love to watch again on german television.
ich habe eine theorie, dass man mit der gleichen liebe ein buch loben wie verreißen sollte. und den rest so kurz abhandeln wie thomas wörtche letztens, da man sich sowieso IMMER auf der suche nach guten büchern befindet und wenn dann eins daneben, braucht man sich eigentlich nicht viel weiter damit zu beschäftigen, außer man schindet zeilen bei einer tageszeitung.
anders, wenn man eigentlich einen guten autor, eigentlich eine gute story, eigentlich gute figuren gefunden hat. und eigentlich einen autor, der gut schreiben kann. den dann anstacheln. da kann man als kritiker auch gern mal in wut geraten über einen misslungenenen schluss, oder eine in den sand gesetzte story (so, wie man – *holt aus – über drei misslungene romanschlüsse kafkas in wut geraten kann).
aber dieser verriss sollte konstruktiv und liebevoll sein (wortwörtlich). wenn man den autor grundsätzlich anerkennt, kann man sagen: das kannst du besser. ein wirkliches interesse des autors vorausgesetzt.
wenn ers n i c h t kann, wieso es überhaupt lesen?
mir fehlt manchmal die konstruktive leidenschaft in den verrissen.
I versteh, Pieke, und dass einem mal was durchgeht, nun denn, das muss wohl so sein. Aber mal generell zu Ani. Ich habe (wenn jetzt meine Erinnerung nicht mit mir durchgeht) alle seine Tabor-Süden-Krimis gelesen und einen davon auch besprochen, sehr positiv, nachzulesen im KJB 2006. Das waren für mich immer Grenzerlebnisse. Denn eigentlich mag ich diese Art von Krimis nicht, dieses Abgründige, dieses Nachdenkelnde, diese Sprache von Ani…aber merkwürdig: Irgendwie hat er immer die Kurve gekriegt, war das alles am Ende doch überraschend schlüssig.
Dann kam die „Idylle der Hyänen“, dann kam „Wer lebt, stirbt“. Und nu war Schluss. Meinetwegen können die dort in jeder Ecke nach Gott suchen, sollen Sie, aber nicht in dieser absolut belämmerten Weise. Für mich sind beide Romane disKRIMInierend, sprachliche und kompositorische Offenbarungseide, nicht mal die Basics kriegt er mehr hin (ich denke mit Schaudern an den Plot von „Wer lebt, stirbt“. Dagegen sind die Drehbücher von Herbert Reinecker wahre Authentizitätsnester. Das ist lustlos dahingesudeltes Zeug, das ist LeserInnen-Beleidigung). Du hast Ani einen Romanschreiber genannt, der auf „Kanonisiertes“ pfeift. Ich sehe das genaue Gegenteil: einen Bastler allerdrögester und handwerklich verpfuschter Blaupausen für „Krimis“, von denen ich eigentlich dachte, sie wären außerhalb der Wohnstuben spannungsdichtender OberstudienrätInnen, Dorfpfarrer und Hermann-Hesse-Freaks längst passé. Mir ist das Phänomen der „Rollenprosa“ durchaus geläufig, aber hier geht es nicht um irgendwelche gottsuchenden Protagonisten, hier geht es um im Grunde dumpfes Moralisieren unter Verwendung aber nun auch aller abgehalfterten Klischees.
Warum ich so heftig reagiere, hat mehrere Gründe. Einmal, du hast es gesagt, ist es mein gutes Recht. Ich kann auch in gleichem Maße euphorisch werden, wenn ich es für angebracht halte. Vor allem aber: Ich bin von Ani zutiefst enttäuscht. Er kann es wesentlich besser. Und solange das Gros der Krimikritik diesen Schmonzes weihrauchschwenkend auch noch absegnet, halte ich es beinahe für meine Chronistenpflicht, mit dem extrabreiten Hammer draufzuhauen. Sorry.
Dass ich mich letztlich in einem fundamentalen Irrtum befinden könnte, nun, wohl an, das weiß ich. Ist mein Risiko, die Blamagegefahr gehört zum Job, wer das nicht abkann, der soll schweigen. Schön, dass du nicht geschwiegen hast.
bye
dpr
Liebe Frau Biermann, ich apostrophiere „in das“ regelmäßig und bewußt zu „in’s“ (und komm’se mir jetzt nicht mit Duden oder etwelchen Stern-Kolumnen) und „nichts“ nie zu „nicht’s“. Im übrigen finde ich Nah-, Nach- und Nachtschuss jeweils gleich bescheuert, und an Fronleichnam würde ich in München eher Feuchtwangers „Erfolg“ als Schenkels „Tannöd“ empfehlen. So viel zur Selbsthilfelektüre, zu der ich eh neige.
Beste Grüße!
Lieber dpr,
tatsächlich ist Anis Text im Ganzen gelesen nicht so schwülstig wie der von Dir wiedergegebene Ausschnitt es suggeriert.
Autorenkritiken haftet häufig etwas von Diensten unter Krähen an, aber ich muss zugeben, dass schon Ani Text über eins der Ellroy Bücher vor wenigen Wochen mir gut gefallen hatte.
Beste Grüße
bernd