Einverstanden. „Der Verräter von Bethlehem“ ist nicht „Der Verräter von Bentheim“. Kein Mensch wird dieses Buch uneingedenk aller Heillosigkeiten des „Nahostkonflikts“ lesen, die Tagesschau-Clips und schlauen Analysen im Gedächtnis und die Einsicht im Hinterkopf, dass hier nicht Gut und Böse sich streiten, sondern eine Jahrhunderttragödie stattfindet, hoffnungslos, aussichtslos, endlos. Für Matt Beynon Rees’ Krimierstling ist dies Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil wir neben dem Krimi immer auch das Politische mitlesen möchten, Segen, weil allein diese Konstellation das Buch schon „interessant“ macht. Nur: Als Nahaufnahme aus dem Krisengebiet ist es schlichtweg ungeeignet. Und als Krimi nur langweilig.
Omar Jussuf ist Lehrer an einer von der UN getragenen Schule in Bethlehem. Bei seinem Vorgesetzten unbeliebt, als Teil eines großen Clans einigermaßen vor der Rache der „Märtyrer-Brigaden“ geschützt, sagt Omar Jussuf, was er denkt, und das gefällt nicht vielen. Schon das macht ihn dem Leser unsympathisch, denn Rees schreibt auch, was Jussuf denkt, und das ist all das Zeug, bei dem die Köpfe der guten Menschen nicken. Omar Jussuf leidet, er hasst die Gewalt, er predigt die Toleranz – kurz: Er ist keine Person, er ist ein moralischer Vorzeigecharakter, den Rees 327 Seiten lang durch seinen Roman wandeln lässt.
Dabei ist Jussuf, genau besehen, ein bornierter Idiot. Von seinen Schülern liebt er nur die, die seine Ansichten teilen und es „zu etwas gebracht“ haben. Die anderen, die verführten, die belogenen, die herumirrenden, interessieren ihn einen Dreck. Dabei wären sie doch allemal die interessanteren, ihre Geschichten erzählenswert. Jussuf hat für sie nur Hohn und Spott und Zynismus übrig, was nicht schlimm wäre, ganz im Gegenteil, aber Rees, der Autor, tut es ihm gleich. Auch er kennt nur die Guten, die Musterschüler, und die Bösen, besagte Märtyrerbrigaden.
Als einer von Jussufs Lieblingen fälschlicherweise (daran besteht leider nie ein Zweifel) des Verrats angeklagt und festgenommen wird, macht sich der Lehrer auf, den wahren Verräter ausfindig zu machen. Ein Mitglied der Märtyrerbrigaden ist aus dem Hinterhalt erschossen worden, wahrscheinlich von israelischen Vollstreckern, aber woher kannten sie den Aufenthaltsort ihres Opfers?
Dann kommt auch die Frau des Ermordeten – natürlich auch sie eine von Jussufs Lieblingen – zu Tode und unser Detektiv streift nun sämtliche Hemmungen ab, um endlich den Schuldigen zu entlarven.
Der steht von Anfang an fest. Wie überhaupt von Anfang an alles feststeht. Hier die Guten, dort die Bösen, deren angeblicher Patriotismus in Wirklichkeit nur das Deckmäntelchen für profane Kriminalität ist. Natürlich gibt es auch die Nuancen zwischen Schwarz und Weiß, Menschen, die weder gut noch böse sind, sondern einfach „Opfer der Verhältnisse“. Der übermächtigen Dichotomie haben sie allerdings nichts entgegen zu setzen, sie bleiben Nebenfiguren, müssen dazu herhalten, die ordentlich zweigeteilte Welt zu legitimieren.
So läuft alles ab, wie es ablaufen muss. Keine Überraschungen, nichts weiter als ein reichlich naiver und sämtliche Klischees strapazierender Whodunit. Und „das Politische“? Rees, Journalist und Büroleiter von Time in Jerusalem, mag um die Komplexheit der Situation wissen, ganz bestimmt tut er das. Aber er ist unfähig, daraus Literatur zu machen. Er polarisiert, was den Krimi zugrunde richtet und die Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse gleich mit. Man sehnt sich nach Yasmina Khadra und seinen Kriminalromanen aus den algerischen Inferno, die die unfassbaren Dinge dank sprachlicher und dramaturgischer Brillanz als Literatur zu fixieren vermögen. Nichts davon bei Rees. So gesehen könnte sein Roman auch „Der Verräter von Bentheim“ heißen und sich in die Dutzendware des Genres einreihen.
Matt Beynon Rees: Der Verräter von Bethlehem.
C.H. Beck 2008. 327 Seiten. 17,90 €
(The Collaborator of Bethlehem, 2006, deutsch von Sigrid Langhaeuser)
Gibt es denn jemanden, dem es gelingt, den Nahostkonflikt als Hintergrund krimineller Ereignisse (im engeren Sinne) fruchtbar zu machen?
Mir fällt niemand ein (ob es Littell mit seinen Söhnen Abrahams schafft, werden wir noch zu klären haben…). Prinzipiell dürfte es so sein, dass sich etwas wie der Nahostkonflikt dem Genre Krimi von vornherein verweigert. Es ist eine wirre Geschichte ohne Plot, je nach Gusto nur mit Tätern oder Opfern, ohne Abschluss, ohne Gewissheit. Khadra hat dafür eine Form, eine Sprache gefunden, die das wenigstens als Annäherungswert zu fassen versteht. Vielleicht – ich kann jetzt wirklich nur spekulieren – wäre es einen Versuch wert, vor dem Hintergrund dieser Tragödie einen „ganz normalen Krimi“ anzusiedeln, also nicht, wie Rees es tut, die Tragödie thematisieren zu wollen. Sie bleibt, während die Genremechaniken ächzen, im Hintergrund. Sie ist immer präsent, sie beeinflusst, sie behindert, sie wird abgebildet. Aber sie wird nicht selbst zum Gegenstand des Versuchs, erklärt zu werden. Am Ende wird der Mörder zur Strecke gebracht, und allein das könnte zeigen, wie irrwitzig „Krimi“ vor dem Großen Irrwitz kapitulieren muss.
bye
dpr