Gewalt gegen Frauen. Zwangsprostitution. Benachteiligung im Beruf. Das klingt alles stark nach „Frauenthemen“, klingt aber nur so. Die Gewalt wird von Männern ausgeübt, die sexuellen Dienstleistungen werden von Männern gekauft, benachteiligt wird zu Gunsten von Männern. Es sind also allgemein wichtige Themen und ihr Platz in einer Kriminalliteratur, die auch Realitäten reflektiert, ist ein legitimer. Theoretisch. Praktisch jedoch hat Gisa Klönne in „Nacht ohne Schatten“ weder Realitäten reflektiert noch einen passablen Kriminalroman geschrieben. Das Ergebnis ist, hier wie dort, verheerend.
Der Krimi. Ein S-Bahnfahrer wird erstochen. Kurz darauf brennt unweit des Tatorts eine Pizzeria ab, der Besitzer ans Bett gefesselt und tot, im Keller eine schwerverletzte, ins Koma gefallene junge Frau, alles spricht dafür, dass sie als „Sexsklavin“ gehalten wurde. Kommissarin Judith Krieger und ihre Mitarbeiter machen sich an die Ermittlungsarbeit. Eine benachbarte „Kunstfabrik“ gerät mitsamt einiger ihrer Bewohner ins Visier, eine geheimnisvolle Frau, offensichtlich von ihrem Ehemann gewohnheitsmäßig misshandelt, kommt ins Spiel, eine Künstlerin, die früher als Callgirl tätig war, ist verschwunden. Und so weiter.
Aber das alles ist nicht wichtig. Das oben so genannte „Ermitteln“ erweist sich als Pfusch. Die offensichtlich von Profihand veranstaltete Brandstiftung mit eingearbeitetem Mord wird nicht weiter verfolgt, man befragt weder Angestellte noch Gäste noch Nachbarn, wie es eigentlich sein sollte, wenn man hinter der Fassade eines Restaurants auch noch einen Puff vermutet. Stattdessen stiefelt man höchst dilettantisch durchs Kölner Rotlichtmilieu, ein jeder auf eigene Faust, Kommunikation findet, wenn überhaupt, in einer Atmosphäre der Geringschätzung anderer Ansichten statt, die Ergebnisse sind zufällig oder sicht- und hörbar mit dem Hammer in die Story genagelt worden.
Als völlig unverständlich erweist sich am Ende der Tod des S-Bahnfahrers, das angebliche Motiv des Täters ist derart hanebüchen, dass man die Passage zweimal liest, um überhaupt glauben zu können, dass man liest, was man da liest. Es macht die Sache leider auch nicht besser. Furchtbar.
Aber, wie gesagt, das alles ist überhaupt nicht wichtig. Gisa Klönne geht es um Grundsätzlicheres, das Krimigenre dient lediglich als Klammer, die das eigentliche Anliegen der Autorin zusammenhält, die Darstellung von Gewalt gegen Frauen in allen Formen. Dabei stört noch nicht einmal so sehr, dass nahezu alle Beteiligten in diesem Buch schon einmal Opfer oder Zeugen dieser Gewalt wurden. Nichts dagegen einzuwenden, ein Thema zu komprimieren, um es in seiner ganzen Natur zu zeichnen, meinetwegen auch zu überzeichnen. Doch genau das macht Gisa Klönne eben nicht. Sie entwirft kein differenziertes Bild, sondern variiert ein paar altbekannte Fakten und Thesen, vorzüglich der Protagonistin Krieger in den Mund gelegt, aus dem sie dann papieren und dogmatisch wie bei einem obligatorischen Diskussionsabend im Frauenbegegnungszentrum entfleuchen. Mit manchmal geradezu grausligen Analyseansätzen:
„(…) und so weibliches Selbstbewusstsein wie eh und je als Resultat der erfolgreichen Erfüllung männlicher Wünsche definiert. Wünsche, die seit der sogenannten sexuellen Revolution der 68er, der Erfindung der Antibabypille und erst recht mit der Legalisierung von Prostitution in Deutschland immer massiver von pornografischen Bildern bestimmt werden.“
Erschütternd, wie hier alle möglichen Schlagwörter zu einer irrwitzigen Kausalkette geknüpft, mit welcher Nonchalance dadurch Menschen (Männer wie Frauen) denunziert werden, und es verwundert nicht, wenn 80 Seiten vorher Frauen, die eine andere Meinung zu Pornografie und Prostitution zu haben sich erdreisten, als „Kollaborateurinnen“ der Ächtung anheimfallen.
Nun gut; all das habe ich als Leser, wenn auch mit hochgezogenen Augenbrauen und gleichzeitig zunehmender Schläfrigkeit, akzeptiert. Selbst die russische Rechtsmedizinerin, mit der Klönne ihr Panoptikum völlig beliebig um Stalinismus und Schamanismus erweitert, habe ich hingenommen – in der Hoffnung, dass wenigstens der Kriminalfall selbst einigermaßen vernünftig zu Ende geführt wird. Jedoch, siehe oben, der entwickelt sich zu einem völligen Desaster, zur schlampigen Pflichtübung aller Beteiligten, Klönne inklusive, einzig und allein Transportmittel für die Botschaften der Autorin (und es SIND Botschaften der Autorin, nicht der Figuren!), die in einem Sachbuch besser aufgehoben gewesen wären, doch aber nicht das Publikum gefunden hätten, das sich die Autorin scheinbar gewünscht hat. Nur: Ein Krimi ist ein Krimi. Und ein völlig uninspiriert in Szene gesetzter Krimi ist ein schlechter Krimi. Da hätte auch eine differenziertere Behandlung des Themas nichts verbessert.
dpr
Gisa Klönne: Nacht ohne Schatten.
Ullstein 2008. 368 Seiten. 19,90 €
Soweit sind wir ja diesmal nicht auseinander. Das Ende habe ich auch zweimal gelesen und habe es logisch nicht begriffen. Die ganze Täterfigur fand ich daneben. Die Handlung war zusammengengeschustert, die Ermittlungsarbeit dilettantisch. Eine so ausführliche Erörterung frauenemanzipatorischer Themen gehört nicht in einen Krimi. Die Figur der Russin hat mich angerührt. Und das Bild, wie die Schamanin aus dem Hubschrauber gestoßen wird, da schieben sich die Stummfilmbilder von Eisenstein (der mit der Potemkin-Treppe in Odessa) davor. Ein paar schöne Einsichten, die Dich, da anders sozialisiert, nicht so beeindruckt haben, sind auch dabei. (kann ich leider nicht ausführen, Buch ist schon weg.)
Herzliche Grüße
Henny
Für mich ist dieses Buch ein Musterbeispiel für die Geringschätzung des Genres und seiner LeserInnen. Gib ihnen einen Mord oder zwei – und sie schlucken bereitwillig all die höheren Dinge, die ich ihnen vermitteln möchte. Logik, erzählerische Feinarbeit – Fehlanzeige, merkt von denen eh keiner. Schön auch, als die Kommissarin, weil sie ihrem Chef widerspricht und „den Befehl verweigert“, auf der Stelle mit allem Trara (Waffe und Dienstausweis auf den Tisch knallen) suspendiert wird. Ja, wenns im deutschen Beamtentum so einfach wäre…
bye
dpr
Aber das ist ja nicht nur Geringschätzung dieses Genres, sondern der Literatur überhaupt.Wie immer, wenn jemand ein Thesenpapier zum Roman aufbläst, statt zu erzählen.
Ich wäre ja eh nie auf die Idee gekommen, einen Roman von ihr zu lesen und hätte wahrscheinlich nach der ersten Seite aufgegeben. Deswegen bewundere ich dich für dein Durchhaltevermögen.
Schöner Umschlag, übrigens.