Kurzgeschichten und Suspense: Fallbeispiele

Ganz Krimideutschland erregt sich. Müssen Kurzkrimi Suspense enthalten? Wenn ja, wieviel? Und welches ist die Maßeinheit? Gramm? Liter? Herzinfarkt? Wtd hat einen ausgewiesenen Meister der Krimikurzgeschichte um zwei Fallbeispiele gebeten. Kurze knackige Kriminalliteratur mit garantierter Hochspannung a la Hitchsmith.

Kurzkrimi 1: Ferdinand Pichler hat bei der „Glücksspirale“ eine lebenslange Sofortrente von 5.000 Euro monatlich gewonnen. Ist er glücklich? Nein. Denn Ferdinant Pichler ist 94, zwar noch rüstig, aber das Herz macht Mucken. Und eigentlich würden ihm 200.000 bar auf die Kralle schon genügen, um seinen größten Wunsch zu erfüllen: eine Finca auf Mallorca für die letzten Jahre. Pichler überlegt. Was, wenn er das Los an einen anderen verkaufen würde? Einen jüngeren, gesünderen? Der könnte glatt mehrere Millionen draus machen. Für lumpige 200.000… Pichler macht sich wohlgemut auf die Suche – und gerät prompt an den Falschen…

Suspensefaktor: verdammt hoch. Denn Pichler und sein Geschäftspartner werden sich zwar einig, der rüstige Rentner trabt mit den 200.000 im Aktenköfferchen von dannen – aber das ist nur Falschgeld, und im Koffer liegt als kleiner Bonus eine Bombe mit Zeitzünder… Wann geht das Ding hoch? SUSPENSE hoch drei!

Kurzkrimi 2: Lothar Rath raucht eine Zigarette. Auf der Straße. Er wirft die Kippe achtlos weg. Das ist verboten. Eine Polizeistreife wird Zeuge des Frevels und stellt Rath zur Rede. Bußgeld! Doch Rath leugnet, die Kippe weggeworfen zu haben. Die Beamten heben den Stummel vorsichtig auf, um ihn einem Gentest zu unterziehen… der Fall steigert sich ins Staats- und Menschenrechtspolitische, und über allem grinst der Bundesinnenminister kafkaesk.

Suspensefaktor: unerträglich. Denn während der Leser noch denkt, am Ende komme es knüppeldick, löst sich alles in Wohlgefallen auf. Gentest negativ, die Polizisten haben die falsche Kippe aufgehoben. Sie entschuldigen sich bei Rath, der nimmt die Entschuldigung an und erhält einen Kugelschreiber mit dem Aufdruck „Polizei Osnabrück – Sie dürfen Bullen zu uns sagen“ als Entschädigung. Wer hätte das gedacht? Nicht einmal Patricia Highsmith

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