Endlich: Kurzratekrimi-Erfolgsautor Dale Patrick Rutherford präsentiert ein neues Ermittlerpaar mit geradezu tragisch-griechischem Potential. Freuen Sie sich auf Kriminalhauptkommissar Bonifatius Majakowski, der unter latentem Schwulsein in einer Machogesellschaft leidet, und seine Kollegin Kriminalhauptkommissarin Svantje Butzbach, bekennende Nymphomanin und nebenberufliche Betreiberin einer Blow-Jobagentur (Arbeitslose bitte nur mit Vermittlungsgutschein bewerben).
„Event! 93. Großransdorfer Krimitage!“ So spannte es sich, von mittelmäßigen Winden bewegt, auf wetterfestem Stoff über die Hauptstraße Großransdorfs, einer aufstrebenden Gemeinde inmitten eines absackenden Bundeslandes. „Jetzt links“, dirigierte Svantje Butzbach den Fahrer des Dienstwagens, ihren wie immer melancholischen Kollegen Bonifatius Majakowski. Der seufzte und tat wie geheißen.
Die örtliche Polizei hatte den Tatort – die Präsidentensuite im einzigen Hotel Großransdorfs – bereits professionell abgesichert und wartete auf die Kollegen aus der Stadt. Die schlurften über weiche Teppichböden und besahen sich die Leiche, aus der eine Menge Blut gesickert war. „Das ist er“, klärte sie Hauptwachtmeister Döppkin auf, ein wie die Leiche, wenn auch aus anderen Gründen, eher blutleerer Charakter. „Weiß man schon, um wen es sich handelt?“ fragte Butzbach und taxierte den Kollegen. Mitte Dreißig, sportlich, ein wenig dämlich: okay, für ein Quickie zu gebrauchen. Döppkin taxierte die Kollegin: Mitte Dreißig, sportlich, ziemlich dämlich, aber im Nacktscanner ein durchaus reizender Anblick.
„Türlich. Der wohnt doch hier. Ein Erfolgsautor namens dpr, sollte bei den diesjährigen Großransdorfer Krimitagen den Ehrenpreis der chemischen Industrie erhalten. Mit…“
Bonifatius Majakowski hörte den Ausführungen Döppkins nicht zu. Sein Blick war auf eine seltsame und sehr schockierende Erscheinung gefallen, welche auf einem Stuhl am Fenster hockte und erkennbar mit den bereits herbstlichen Temperaturen zu kämpfen hatte. Es handelte sich um eine ältere, nur mit einem Hüfthalter bekleidete Frau. Sie starrte zähneklappernd auf die Leiche und schluchzte. Auch Majakowski war zum Heulen. Wieder einmal bestätigte sich, was sein Innerstes seit Jahr und Tag aufwühlte: Frauen strebten, je älter sie wurden, brachial auseinander, Männer hingegen formten sich zu gravitätisch auf dem Boden der Tatsachen verankerten, ästhetischen Buddhas. Ich mag keine Frauen, dachte Majakowski zum wiederholten Male.
Weiter dachte er nicht, denn ein Aufschrei von der Tür beanspruchte seine ganze Konzentration. Ein etwa fünfzigjähriger Schlipsträger stand dort und dröhnte mit aufgerissenen Augen ein „Das ist ja schrecklich! Das gibt’s doch nicht! Mathilde, was hast du getan?“ in den Raum. „Das ist Jonas Südenbrock, der Leiter der örtlichen Volkshochschule und Veranstalter des Krimi-Events“, klärte Döppken die beiden fremden Beamten auf. Südenbrock schwankte zu diesen hin und stellte sich erschüttert vor: „Südenbrock. Ich bin der Veranstalter…“ – „Wissen wir schon“, fiel ihm Svantje Butzbach ins Wort, der dieser Mensch von Anfang an unsympathisch war. Sie ging nicht mit Schlipsträgern ins Bett. Grundsätzlich nicht. Negative Erfahrungen. Wer sich ein Penissymbol um den Hals knotet, kann nur impotent sein, wie ihr einmal eine Psychiaterin erklärt hatte.
„Und wer ist Mathilde?“ fragte Majakowski sachlich. „Die da“, antwortete Südenbrock unsachlich und wies auf die Dame mit dem Hüfthalter. „Lassen Sie mich das Ganze erklären, bitte. Wir sind ein traditionelles Unternehmen der Krimievent-Branche und verleihen jedes Jahr im Rahmen unserer Krimitage DAS PETERLE. Das ist ein Preis, aber fragen Sie mich bitte nicht, warum er DAS PETERLE heißt, ich rätsele selbst seit Jahrzehnten. Jedenfalls – dieses Mal musste dpr ausgezeichnet werden. Sie kennen dpr?“ Butzbach und Majakowski schüttelten die Köpfe synchron. „Nun, egal. Er ist ein STAR. Mit entsprechenden Allüren. Während andere Gäste wie Norbert Horst nur darauf bestehen, morgens durch ein Martinshorn geweckt zu werden oder Friedrich Ani lediglich eine Bibel auf dem Nachtschränkchen vorzufinden wünscht, hat uns dpr gleich eine Liste gefaxt. 20 Flaschen Mineralwasser der Marke GESUNDBRUNNEN, Austern zum Frühstück und – um das Ganze abzukürzen: ein Groupie, wie es einem Krimipopstar gebührt. Tja. Und da ist uns nur Mathilde eingefallen. Sie war 1965 bei der BRAVO-Beatles-Blitztournee und hat angeblich mit Ringo Starr und John Lennon gleichzeitig…“
Die so Vorgestellte war inzwischen aufgestanden und hatte sich wie in Trance der Polizistengruppe genähert. Sie fixierte Südenbrock. „Du…du…“ begann sie, atmete schwer aus (ihr Hüfthalter fiel in sich zusammen) und fuhr, nun etwas gefasster fort: „Du hast ihn erstochen! Du oder dieses Schwein von Bürgermeister! Dpr wollte auspacken, er hatte recherchiert und war auf die Spur eines scheußlichen Verbrechens hier in Großransdorf gekommen! Und wenn dpr ausgepackt hätte, hättet ihr einpacken können!“
Südenbrock schüttelte traurig den Kopf. „Armes Mädchen. Ich hab gehört, wie dich dpr begrüßt hat, als du in sein Zimmer geschlüpft bist. ‚Oh Gott‘, hat er gesagt, ‚Die wäre ja schon in Woodstock für Jimi Hendrix zu alt gewesen!'“
„Wo waren Sie zum Zeitpunkt der Tat?“ wollte Butzbach von Mathilde wissen. „Im Bad. Die Beine rasieren. Und glauben Sie dem Typen da kein Wort! Verhören Sie auch den Bürgermeister, der mauschelt berufsmäßig! Wenn der nicht knietief in der Sache…“
Majakowski hatte begonnen, sich im Zimmer umzuschauen. Er mochte keine Frauen. Und im Moment auch keine Männer. Auf dem Nachttisch lag ein dünnes Manuskript, Majakowski zog Handschuhe an und begann zu blättern. Die ersten Kapitel eines Kriminalromans, „Mord beim Mordsspektakel“ betitelt. Er begann zu lesen. Ein dünnes Lächeln grimassierte sein Gesicht.
„Die Rache einer zurückgewiesenen Frau!“ trompetete Südenbrock derweil, und die Butzbach dachte für sich: Okay. Wenn man ihm den Schlips auszieht, könnten das nette drei Minuten werden. „Ein Unglück!“ trompetete Südenbrock weiter, „wir haben PROMINENZ hier! Gohlis hält die Laudatio! Gohlis! Wörtche hat sich ebenfalls angekündigt, bezwecks Beschimpfung der Anwesenden. Die werden doch alle wieder abreisen! Seit 1904 veranstalten wir das hier! Bis auf die Kriegsjahre! In diesem Bett hat schon Friedrich Glauser, DAS PETERLE im Arm, geschlafen! Und Pieke Biermann! Und die andere da, die Frankfurterin!“
„Die Paprotta“, präzisierte Butzbach.
„Nein“, korrigierte Südenbrock, „die Chaplet, glaub ich. Oder eben eine andere.“
Majakowski las noch immer. Das dünne Lächeln war noch dünner geworden. Er ließ das Manuskript sinken, legte es auf den Nachttisch zurück, begab sich zur weiter wild durcheinander parlierenden Gruppe – „Ihr habt doch alle Dreck am Stecken!“ – „Du und John Lennon! Vielleicht hast du den mit Johannes Heesters verwechselt!“ – „Und wo finden wir diesen Bürgermeister?“ – und sagte mit seiner wie stets stark melancholischen Stimme: „Der Fall ist geklärt.“
Die anderen verstummten abrupt. Svantje Butzbach sah ihren Kollegen misstrauisch an. Sie mochte keine Männer, die kurz vor dem Höhepunkt der geschlechtlichen Vereinigung „Manfred, ich liebe dich!“ in die Bettwäsche stöhnten.
„Der Fall ist geklärt“, wiederholte Majakowski. „Das Opfer selbst hat uns den entscheidenden Hinweis gegeben. Und eigentlich hätte ich es gleich wissen müssen.“
Wissen auch Sie, wer es war? Verraten Sie es uns! Bevor wir es Ihnen morgen verraten!
Dale Patrick Rutherford
John Lennon wars. Wobei „John Lennon“ der Deckname des Bürgermeisters ist, der in Wirklichkeit Johann Lehnersbacher heißt.
Das ist ein interessantes psychologisches Phänomen, das wir seit Jahren in unserer Stammtisch-Runde „Psychiatrie statt Briefmarkensammeln“ eifrig diskutieren. Dass nämlich seriöse Menschen, sobald sie von einer wissenschaftlichn Tagung kommen, plötzlich kindisch werden. Und z.B. behaupten, John Lennon (+1980)habe im Jahre des Herrn 2008 einen Krimibestsellerautor ermordet. Woher kommt das? Ist es negative Sublimierung? Triebabfuhr durch Aktivierung frühkindlicher Verhaltensweisen? Eine mnemophänomenologische Neurose unter Einbeziehung des aktuellen, abscheulichen (Reich-Ranicki) TV-Angebotes (Komiker)? Also wir können darüber stun-dän-lank diskutieren an unserem Stammtisch. Da fließen Gedanken und Starkbier in Strömen.
bye
dpr
Das ist einfach nur Prokrastinierung.
Deckname! D e c k n a m e! Für den B ü r g e r m e i s t e r!
Diese Fehlinterpretationen führen wohl dazu, dass sich hier keiner mehr raten getraut. Man weiß ja wirklich nicht, wohin das führt, wenn man hier rät.
Kein Grund, hier so rumzuschreien oder wahllos Fremdwörter in die Welt zu schicken! Dabei ist es so einfach! Der Lösungsklassiker! Mensch! Ein Bürgermeister, dessen Deckname John Lennon sein soll! Warum nicht gleich Paul McKartenhaus?
bye
dpr
*gibt die Lösung erst bekannt, wenn das Rätsel gelöst ist
„Paul McKartenhaus“?
* liegts am Boden
Es war natürlich Selbstmord. Erstens: Niemand, nicht einmal eine Frau, würde wagen, dpr zu ermorden. Zweitens: Er war letzthin so depressiv. Die Frauen liefen ihm weg und wandten sich TW zu. Wörtche überholte ihn auf Amazon.
Südenbrock, oder warum hat er gehört wie das Opfer Mathilde empfangen hat? Weil er schon da war? Hinter irgendeiner Tür oder Gardine?
Andererseits, warum geht sich Mathilde die Beine rasieren, im wahren Krimi sind Groupies immer einsatzfähig, jedenfalls einmal im Schlafzimmer des STARS!
Also einer von den beiden, und ich muss leider noch arbeiten, sonst fielen mir vielleicht noch weitere Argumente zur Anschuldigung des einen oder der anderen ein.
LG
barb
Schöne Lösung, Barb, aber leider nicht die richtige. Auch Dschorsch liegt nicht ganz falsch. Im wahren Leben IST dpr natürlich deprimiert (das ist auch der Grund, warum wtd am 31.12. eingestellt wird).
Aber die richtige Lösung hat natürlich etwas mit der Metatextstruktur dieses Kurzkrimis zu tun. In seinem Manuskript, das genauso heißt wie der Kurzkrimi, beschreibt dpr die Ermordung des Erfolgsautors X. Er wird, wie dpr, erstochen – und der Täter gibt sich dadurch zu erkennen, dass er „Ich habe X nicht erstochen!“ ausruft, obwohl er gar nicht wissen kann, dass X erstochen wurde. Auch Mathilde kann das nicht wissen. Sie war angeblich im Bad. Und natürlich fehlt die Tatwaffe. Dpr könnte auch erschossen worden sein (Schalldämpfer). Dennoch beschuldigt sie Südenbrock, dpr erstochen zu haben. Mathilde verrät sich also selbst. Natürlich die alte Geschichte: Mann weist Frau zurück, Frau hat zufällig ein Messer dabei… Man kennt das.
bye
dpr
Ja, ja, aber früher hatte Frau immer eine Haarnadel.
Aber dass wtd zum 31.12. eingestellt wird, ist eine Frechheit. Ich bin schon mal dagegen.
Du kannst ja am 31.12. gerne wtd einstellen, aber um 12 dann reuig den guten Beschluss fassen im neuen Jahr weiterzumachen.
LG
barb
*schlägt vor
**hofft