Nein, ich habe Frau Schenkels „Bunker“ noch nicht gelesen. Zuerst hatte anderes Vorrang, dann verschwand das dünne Bändchen in irgend welchen Stapeln, und jetzt genießen wiederum andere Werke Priorität. Ich habe auch nicht alle bisherigen Rezensionen gelesen. Eindeutig jedoch, dass „Bunker“ ziemlich gerupft wird, Positives befindet sich klar in der Minderheit. Auch beim Lesevolk. Ein Bestseller wird’s wohl nicht, wie die Amazon-Zahlen nahelegen, bei den dort veröffentlichten „Rezensionen“ vermag „Bunker“ ebenfalls nicht zu punkten. Gerade einmal acht Bewertungen, Durchschnitt: 1,5 von fünf Sternchen.
In drei dieser Leseräußerungen wird nicht nur auf die Autorin, sondern auch auf „die Kritik“ eingeprügelt, die wieder einmal jeden wirren Schmand zum Meisterwerk hochpuscht. Hab ich was verpasst? Hat nicht viel mehr „die Kritik“ eindeutig negative Worte für „Bunker“ gefunden? (1) Aber aus diesen Mutmaßungen spricht wohl etwas anderes: Die Rache sich düpiert fühlender LeserInnen an der in die Irre führenden Kritik.
Denn das ist schon auffällig: die geradezu empörten Reaktionen stolzer Besitzer von Schenkel-Werken. Man fühlt sich getäuscht, hat natürlich etwas ganz anderes erwartet und mosert über den stolzen Preis für die Büchlein, als hätte sich die Kaufentscheidung als ein Akt der Willenlosigkeit vollzogen, ein von üblen Mächten mit unlauteren Mitteln in Gang gesetzter Automatismus wie der spontane Griff nach dem Schokoriegel an der Supermarktkasse.
Und vielleicht war er das ja auch. Über eine Million mal sei „Tannöd“ bisher verkauft worden, hört man. An wen? Nun, überwiegend an Fans von Elke Heidenreich und anderen medial Angestrahlten. Was immer sich eine große Zahl dieser Käufer auch erwartet haben mag, es wurde nicht erfüllt. Sie waren nicht die richtige Zielgruppe.
Das wird man bei den Verantwortlichen mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen. Lachend, weil die Kasse klingelt, weinend, weil Frau Schenkel inzwischen wohl das bevorzugte Objekt der in Foren ausgelebten Konsumentenaggressivität sein dürfte. Natürlich werden „Tannöd“ und Co. auch gelobt, gar geliebt. Diese Zielgruppe ist aber, gemessen am Aufwand, den man sich publizistisch bei jedem neuen Produkt der Autorin macht, relativ klein. Hype, so stellt man fest, bricht irgend wann in sich zusammen, seine Trümmer fallen zurück auf Autorin und Verlag. Für uns in der Mediennormalsterblichkeit gefangenen Schreiberlinge ein Trost, ein kleiner wenigstens. Unsere Bücher kaufen so wenige Leute, dass es statistisch äußerst unwahrscheinlich ist, überhaupt jemanden wirklich so in Wut zu versetzen, dass er / sie eine „Rezension“ verfasst.
(1) Eben sehe ich beim Alligator, dass der „Rheinische Merkur“ eine sehr positive „Bunker“-Kritik gebracht hat, die „Zeit“ immerhin eine wohlwollende. Aber das können die Amazonen nicht gewusst haben.
dpr,
der sich morgen freinimmt, weil er unbedingt ein seltsames Exposé angehen muss
Interessant, dass sowohl Gohlis als auch Burkhard Müller in der SZ die von Schenkel gewählte(n) Perspektive(n) und ihre Konstruktion in den Vordergrund ihrer Rezension rücken und daran ihre Vorbehalte gegen „Bunker“ primär festmachen. Der Grad zwischen einer ausgefeilten Konstruktion und einer Überkonstruktion, bei der die Absicht des Autors erkennbar und damit störend wird, ist vermutlich ein sehr schmaler.
Das dies auch sonst in Rezensionen eine große Rolle spielt, ist mir allerdings bisher nicht aufgefallen. Es mag an der Eigenheit des Stils dieser Autorin liegen. Vielleicht bin ich aber auch erst kürzlich an dieser Stelle für diese Thematik sensibilisiert worden.
Es wäre spannend von der Autorin zu erfahren, wieso sie sich für diese Konstruktion entschieden hat. Bei einer so „übersichtlichen“ Geschichte sollte es ja möglich sein, verschiedene Perspektiven komplett gedanklich oder sogar ausformuliert durchzuspielen und das Für und Wider abzuwägen. Im Bereich der Filmwirtschaft gibt es für so etwas Testvorführungen. Ob Schenkel sich hierfür ihrem Umfeld bedient hat? Ob der Verlag bzw. der Lektor hierauf Einfluss genommen haben? Ob dies auch eine Abwägung zwischen Kunst und Kommerz war?
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Wenn ein Erstling wie Tannöd großen kommerzielen Erfolg hat, zeigt dies nur, dass es gelungen ist, Interesse bei einer Vielzahl von Personen zu erwecken und für den Autor einen Vertrauensvorschuss zu generieren. Denn der Kauf eines Buches ist – in der Natur der Sache liegend – zwar kein Akt der Willens-, aber doch der bewussten Kenntnislosigkeit. Was der Käufer konkret als Gegenleistung für sein Geld bekommt, weiß er im Gegensatz zum Normalfall eines Kaufes nicht, will er – insbesondere beim Krimi – auch nicht wissen. Eine Rückgabe wegen Nichtgefallen ist daher – im Gegensatz etwa zu einer „Schrottimmobilie“ – von vornherein ausgeschlossen, was ich schon wiederholt bedauert habe. Wie gerne hätte ich doch damals Dan Brown verklagt …
Ob die interessierte Käuferschaft das Buch dann überhaupt gelesen und dies ihnen auch noch derart gefallen hat, dass sie mehr von dem Autor lesen wollen, ihm also erneut ihr Vertrauen und knapp 20 Euro „schenken“, zeigt sich dann erst am Verkaufserfolg des Nachfolgewerkes. Danach wäre der Kauf von „Kalteis“ primär ein Votum für „Tannöd“ usw. Da dürfte Herrn Tellkamp noch ein sehr frustriendes Erlebnis bevorstehen 🙂
Jedenfalls können die gegenwärtigen Verkaufszahlen für „Bunker“ nichts darüber aussagen, wie sehr dieses Buch seiner Leserschaft zusagt. Hierbei unterstelle ich, dass der „Mundpropaganda“ keine wesentliche Bedeutung zukommt, jedenfalls nicht für den Verkaufserfolg in der Anfangsphase. Für den langfristigen Erfolg mag dies anders sein.
Bei „Tannöd“ war es ja so, dass dieses Debüt bereits nach kurzer Zeit erstaunlich gut verkauft worden war. Die Leute haben sich – ich kanns an meinen Zugriffszahlen sehen – gezielt über den Titel informiert und Rezensionen gelesen. Dann kam der Deutsche Krimipreis. Dann kam Frau Heidenreich, der Spiegel etc. Und mit ihnen der Hype. Wobei wir gar nicht über die Qualität von „Tannöd“ reden müssen, die ist hier nämlich absolut nebensächlich. Auch der sog. „Plagiatsprozess“ war ein Teil davon. Du hast natürlich recht, Thomas, dass man einen Krimi als Katze im Sack kauft. Aber ein wenig vorinformieren kann man sich schon. Mal kurz reinlesen, Rezensionen zur Kenntnis nehmen, in denen ja, wenn sie ordentlich sind, gewisse Charakteristika des Textes erwähnt werden. Wenn ich z.B. lese, der Ermittler werde auf einen „dunklen Punkt in der eigenen Familiengeschichte“ gestoßen, nehme ich von der Lektüre wahrscheinlich Abstand.
Ob mit „Bunker“ das Pendel nun zurückschlägt oder ob es wirklich einfach misslungen ist, kann ich im Moment noch nicht beurteilen. Ebenso wenig die Konstruktion oder die Perspektivwahl. Aber ich werds schon noch lesen…
bye
dpr
wenn eine Anmerkung erlaubt ist: mir scheint (nach der ersten kursorischen Lektüre), daß ‚Bunker‘ ein größeres Risiko eingeht als die beiden Vorgänger, in denen die fragmentierten ‚Oberflächen‘ für die banalen Geschichten und Deutungsangebote einer letztlich auktorialen Instanz keine Funktion hatten und deshalb Spielerei blieben. In ‚Bunker‘ ist diesbezüglich mehr los. Das kann ich goutieren — ob es gelungen ist oder nicht.
Beste Grüße!