Die Krimifabrik

Wer als Autor mit dem Schreiben von Kriminalromanen nach materiellem Reichtum strebt, braucht Glück und eine durchschlagende Strategie, also am besten beides. Am wichtigsten: Verabschiede dich von der Vorstellung des irgendwie authentischen „Kunstwerks“, der individuellen Maßanfertigung, gar der literarischen Tradition des Genres, in die du deinen geistigen Erguss platzierst. Wir leben in einer Welt der rationalisierten Massenfertigung, des kostenoptimierten Fließbandes und der globalen Diversifizierung von Arbeitsabläufen. Nicht wer einen Krimi SCHREIBT, wird reich, sondern der, der ihn designt und schreiben lässt. Wie James Patterson.

Via →Sarah Weinman erfährt der erstaunte Leser vom letzten Deal des Erfolgs“autors“: Bis 2012 wird er seinem Verlag Little, Brown 17 Bücher abliefern, darunter viele Krimis. Das Geschäft hat – man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus – einen geschätzten Wert von 150 Millionen Dollar. Unterstützt wird Patterson dabei von „Co-Writers“, u.a. der Schwedin Liza Marklund, mit der eine „unspecified number of international thrillers“ fabriziert werden soll, die noch gar in der Gesamtzahl von 17 enthalten sind. Das ist selbstverständlich empörenswert. Hat nicht der Autor mit Herzblut zu schreiben, ist die Welt, die in seiner Phantasie entstanden und nach unsäglicher Mühsal aufs Papier gewandert ist, nicht allein SEINE Welt – und somit die des Lesers?

Gemach. Werfen wir einen kurzen Blick zurück in die Geschichte. Schon in der italienischen Renaissance oder bei den holländischen Klassikern der Malerei war es Usus, ganze Werkstätten an der Entstehung von Kunstwerken zu beteiligen. Hat Michelangelo etwa die Sixtinische Kapelle allein ausgemalt – oder hatte er nicht ein Häuflein fleißiger Gesellen bei sich, die nach des Meisters Anweisung fürs Grobe zuständig waren? Gab es in den Ateliers der Holländer nicht Spezialisten für dieses und jenes, für besonders professionelle Stillleben, für Frauenköpfe, Kinderkörper, Lichteinfall und Wohnzimmerschränke? Doch, gab es. Die Idee des Kunstwerks als individuelle, quasi höhere Schöpfung ist viel jünger, der Geniegedanke des 18. Jahrhunderts und die mäandernde Entwicklung des Urheberrechts haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir uns heute darüber empören, wenn Kunstwerke – und auch Kriminalromane können solche sein – nicht aus einer Hand kommen, sondern aus vielen, von denen noch die meisten anonym bleiben.

Das hat durchaus seinen Reiz. Denn niemand ist vollkommen. Wem die verzwicktesten Plots im Schlaf zufallen, mag als Dialogschreiber eine Niete sein. Meister atmosphärischer Pastiches entpuppen sich nicht selten als maßlose Langweiler der Dramaturgie. So gesehen hat die Pattersonsche Arbeitsweise, obwohl sie mir nicht im Detail bekannt ist, sehr wohl ihren Reiz. Ja, ich behaupte sogar: Sie hat Zukunft. Und wäre auch in Deutschland ein Erfolgsmodell.

Man stelle sich vor, es bildete sich eine Art „Deutsche Krimifabrik“, bestückt mit den kompetentesten Spezialisten des Genres. Welche Meisterwerke so entstehen könnten! Horst Eckert wäre z.B. für die realistischen, handlungsschwangeren Plots zuständig. Pieke Biermann für die Dialoge, Astrid Paprotta für die Erzählperspektive, Norbert Horst für die kleinen Pfiffigkeiten der Handlung, Friedrich Ani für die eindringliche Beschreibung letzter Dinge, Sebastian Fitzek für die Werbung, Ingrid Noll für zünftige Sexszenen – und ich selbst würde für die so entstehenden Produkte meinen guten Namen hergeben.

Wir wollen auch nicht unverschämt werden. Keine 150, keine 50 – nein, lausige fünf Millionen Euro müsste ein Vertrag über, sagen wir, 10 Krimis pro Jahr als Vorschuss rausrücken, damit wären wir zufrieden. Das sind Portokassenbeträge, die sich schneller amortisieren als ein marodes Atomkraftwerk. Wo ist der Verlag, mit dem wir dieses Zukunfts- und Erfolgsmodell verwirklichen können?

6 Gedanken zu „Die Krimifabrik“

  1. Man denke auch an die Romanfabriken des 18. und 19. Jahrhunderts, betrieb nicht auch Dumas, der Ältere, ein solches Unternehmen? Also, warum nicht. Allerdings frage ich mich, warum jemand Frau Marklund als Co-Autorin beschäftigen möchte.

  2. Genau, Joachim! Der gute alte Ludwig Tieck etwa begann seine Laufbahn blutjung in einer solchen Kolportageklitsche. Geschadet hats ihm nicht. Nein, wenn ichs mir überlege: Keine schlechte Idee. Zumal das Gros des Krimischaffens ohne Qualitätsverluste in einer solchen Großwerkstatt fabriziert werden könnte. Oder schon längst wird? Und wir wissens bloß nicht?

    bye
    dpr

  3. Nicht von dir? Okay, damit bist du aus den Nummer draußen. Und sag mir unbedingt, welches Genie dafür verantwortlich zeichnet. Ist engagiert!

    bye
    dpr
    *bietet dir dafür die Abteilung „Berlinereien, Metaphern und Allegorien, Flughafenbeschreibungen“ an

  4. Von wem darf ich noch nicht sagen. Nur als Tipp: Zeile liegt mutwillig im Mund eines nichtschreibenden Dichtergenies mit Deppenbonus, der das keyword-Prinzip moderner Kommunikation so verinnerlicht hat, dass er a) sprachschöpferisch und b) als fleischgewordene hidden file wirken kann, und ist nur ein Teil einer ziemlich sehr genialen Ausgangsidee.
    Flughafenbeschreibung gebongt. Den Rest würd ich gern tauschen. Berlin hat heute jede/r drauf, und Metaphorik arbeite ich täglich physisch ab. Ich nehm lieber proof-reading & fact-checking, gegen proportional korrekte Beteiligung natürlich: Könnte bei ’ner deutschen Schreib-Fabrik von heute zur alleinstellenden Schlüsselabteilung mit Distinktionsgewinngarantie werden UND mich vorm inhaltlichen Grausen schützen.
    Aloha – P.

  5. Hm. Dichtergenie mit Deppenbonus? Klingt suspekt. Bestimmt einer von diesen Krimibubis, die mal wieder „das Genre vom Kopf auf die Füße stellen“ wollen…

    bye
    dpr

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