„Bruno befestigte den Plan des Lohwiesenweges (…) an der weißen Metalltafel. Da es keine vier roten Magneten gab, nahm er für die untere linke Ecke einen grünen.“
(Rainer Würth, „Krötenwanderung“, S. 51)
Das Medium ist die Botschaft, sogar in der Kriminalliteratur. Wäre die ein Topf, er kochte permanent über, seine Belanglosigkeiten, deren Krönungsrequisit obiger grüner Magnet sein könnte, liefen als eine zähe Masse über den Rand und fielen – Tropfen für Tropfen – ins Bodenlose des Schunds. Aus einem Medium, dem honorablen Taschenbuch, in ein anderes, das eselsohrige Heftchen, aus dem Reservat deutschsprachiger Hoch-Kriminalliteratur in den archaischen Urwald deutschsprachiger Nullprosa.
Wenn denn tatsächlich das Medium die Botschaft sein wollte. Wenn wir mit unserem Vokabular abhängig wären von produktionstechnischen Äußerlichkeiten. Und sind wir das etwa nicht? Heftchen nennen wir „Schund“, Taschenbücher aus „guten Verlagen“ höchstens „misslungen“, Gebundenes mit Schutzumschlag „Literatur“, Gebundenes mit Schutzumschlag und Lesebändchen…
Manche nennen generell alles Kriminalliterarische Schund. Hier ist nicht das Medium die Botschaft, hier ist es das Genre. Aber bleiben wir bei den Medien. Wer von uns liest einen Heftchenroman anders als mit spitzen Fingern, wenn überhaupt? „Der Schuß in der Clay-Allee“ von Paul Ickes zum Beispiel, 1958 in der Reihe „Kelter Kriminalromane“, Band 132, erschienen, einige Jahre später als „Tempo Kriminal“ zweitverwertet?
Schund also. Die soziologisch Interessierten unter uns denken sofort an entfremdete Arbeit, Schreiben als Fließbandmaloche unter erschwerten zeitlichen Bedingungen, wer seine 65 Seiten nicht binnen sieben bis zehn Tagen raushaut und auch nicht zufällig Simenon heißt, wer in Handlungs- und Dramaturgieschablonen denken muss, der soll sich nicht wundern, wenn wir ihn Schundautor nennen und ihm nur die niederen Weihen des Genres, wenn überhaupt, zubilligen.
Aber jetzt kommt’s: Ickes spielt in einer Liga, in die Würth und Konsorten niemals aufsteigen werden. Nicht weil „Der Schuß in der Clay-Allee“ ein unter genreliterarischen Gesichtspunkten aufsehenerregendes, gar epochales Werk wäre. Ickes entführt uns in das Berlin der Fünfziger Jahre, eine Schauspielerin, leicht abgehalftert, wird ermordet, eine Reihe Verdächtiger agiert, natürlich vom väterlich-autoritären Kommissar durchleuchtet. Einzig von den üblichen Gewohnheiten abweichend: Der Kommissar hat eine um vieles jüngere Freundin, eine selbstverständlich platonische Beziehung, deren Struktur einem beim Lesen nebulös bleibt, und diese Freundin, von Beruf Zeichnerin, ermittelt dreist auf eigene Faust. Und der Kommissar hat nichts dagegen.
Die Auflösung des Falles ist typisch, also ein wenig abenteuerlich. Macht nichts. Warum Ickes souverän über den Ergüssen z.B., aber nicht nur aktueller Krimimassenware schwebt, hat einen simplen Grund: Er kann schreiben. Auch das nicht sensationell, auf angenehme Art solide schon. Die Dramaturgie, man mag sie auch schon tausend Mal zur Kenntnis genommen haben, stimmt, das Personal wird knapp und sicher gezeichnet, die Handlung ist übersichtlich, stringent, in ihrer Komposition von der unaufdringlichen Eleganz mit Geschmack ausgewählter Konfektionskleidung. Kurzum: Ganz anders als das Gros der Kriminalromane neuester Produktion, die ich um die Weihnachtszeit verkonsumiert habe.
Lars Rambe, zum Beispiel. Dessen „Die Spur auf dem Steg“ gibt sich kompositorisch anspruchsvoll, arbeitet mit diversen Zeit- und Perspektivebenen, lässt auch – Schwedenkrimi halt – das Korruptionsgeflecht unseres Hier und Jetzt nicht zu kurz kommen – und ist in einem Deutsch geschrieben, das ohne von Brechreiz geplagt zu werden nur ertragen kann, wer die deutsche Sprache inständig hasst. Mir ist es schnuppe, ob die Übersetzer nur ihren Job gemacht und ein mieses Schwedisch in ein mieses Deutsch übertragen haben. Über die Ignoranz des „Lektorats“ rege ich mich ebenfalls nicht auf, die werden schon wissen, was sie ihren Milchkühen vorsetzen können oder nicht, ohne dass die mit dem Wiederkäuen und Geldscheißen aufhören. Ich weiß nämlich folgendes: Jemand wie Rambe hätte, sagen wir: in den Fünfziger Jahren, als Heftchenautor, keinen Blumentopf gewonnen.
Qualität ist also keine Frage des Mediums und ergo Schund nicht dem Heftchenroman naturgesetzlich untrennbar beigesellt. Okay, das überrascht uns jetzt nicht sonderlich. Der Krimi von Paul Ickes gehört zu einer wirren Welt der Eindeutigkeiten und Normen, er hat das Pech der falschen Geburt in die Unterschicht einer kriminalliterarischen Gesellschaft hinein, die deshalb statisch geworden ist, weil ihr die Statik fehlt. In dieser Gesellschaft geht es weniger nach Leistung, das Herkommen erscheint wichtiger.
Ein Roman wie der von Ickes, in Buchform gerade einmal – je nach Satz – 130 bis 150 Seiten stark, lehrt uns darüber hinaus noch zweierlei: Wer einen schnellen, geradlinigen Krimi schreibt, kann das auf höchstens 200 Seiten wunderbar tun. Alles was umfangreicher ist, läuft Gefahr, all die Belanglosigkeiten zu summieren, die heute von „besseren Krimis“ anscheinend erwartet werden. Und: Hätte man doch nur die Zeit, die Krimis der Fünfziger Jahre aufmerksam zu durchforsten. Was an grundsolider, immer noch spannender Literatur wäre da auszugraben!
dpr