Leser als Kritiker

Jetzt hat es Thomas Willmann erwischt. Sein hoch gelobtes Buch „Das finstere Tal“ ist Gegenstand einer →„Leserunde“ auf der Krimicouch, der Autor beteiligt sich, einer schönen Tradition folgend, an der Diskussion. Ein Buch wird abschnittweise gelesen, die Initiatoren und Teilnehmer der Runde sind keine berufsmäßigen Rezensenten, sondern mehr oder weniger zufällig zusammengekommene Interessenten mit unterschiedlichen Vorstellungen von dem, was „Krimi“ sein sollte. Man geht respektvoll miteinander um, macht aus seinem Herzen aber keine Mördergrube. Den einen gefällts, den anderen weniger, manche schauen auf die Details, manche eher auf das Große-Ganze, die üblichen Fragen werden verhandelt – wer war’s warum? – und auch dieses oder jene eher abseitige Feld bestellt. Kurzum: Das ist spannend und nicht nur für den Autor, die Autorin aufschlussreich.

Natürlich sind solche „Leserunden“ ein Produkt fortschreitender Digitalisierung, vor zehn oder gar fünfzehn Jahren ebenso unmöglich wie etwa Blogs. Sie stehen also für eine Entwicklung, an der auch der Naivste inzwischen nicht mehr vorbeigehen kann. Krimikritik (nicht nur sie) verschwindet von dort, wo sie eh nur selten stattgefunden hat, aus den Feuilletons nämlich, und wandert in die weite, bunte und unberechenbare Welt des Internets. Dramatisch-pessimistisch ausgedrückt: Sie gerät in die Hände von Laien. Gelassen-optimistisch: Sie gerät in die Hände von Leserinnen und Lesern.

Man kann das als Selberschreiber durchaus mit Schrecken sehen, etwa wenn die eigenen Elaborate von für die kritische Lektürearbeit ungeeigneten Menschen auseinandergenommen werden, die ihr Nichtwissen hinter Attitüden des Professionellseins zu verbergen trachten. Es ist kein Trost, dass einem auch von sogenannter professioneller Seite so etwas widerfahren kann, da muss man durch, fällt es auch schwer. Wichtiger jedoch scheint mir zu sein, dass durch diese neuen Stimmen der Kritik die rezeptionelle Verengung gerade im Genre der Kriminalliteratur beendet werden könnte. Schlicht formuliert: Wir erfahren endlich, was die „normale Leserschaft“ schätzt und was nicht. Wir müssen uns nicht daran halten, aber wir nehmen es zur Kenntnis, wir reden darüber und möglicherweise lernen wir daraus. Krimis sind keine experimentellen Romane, niemals, selbst wenn sie als solche gedacht sind. Denn sie stoßen auf eine Leserschaft mit festen Vorstellungen, sie setzen sich mit sogenannten „Gesetzmäßigkeiten“ des Genres auseinander, selbst wenn sie diese ignorieren. Das wirkt sich auf den Widerhall aus, was bei „richtigen experimentellen Romanen“ eben nicht geschieht, weil sie in der Regel von Menschen gelesen werden, die genau dieses Ungewohnte schätzen und daher auch erwarten.

Wie gesagt, kein Autor, keine Autorin muss sich nach den Erwartungen der Leser richten, die Gefahr, dann nicht mehr gelesen zu werden, ist zu akzeptieren. Neue Rezeptionsformen wie die Leserunden könnten aber auch dazu dienen, dass beide Seiten voneinander lernen. Als Autor spreche ich unmittelbar mit meinen Lesern, ich versuche sie von meiner Sicht der Dinge zu überzeugen, was vielleicht nur selten gelingt, aber immer wieder lohnt, weil man nun nicht mehr nur den Text selbst als Argument ins Feld führen kann, sondern auch die Diskussion über diesen Text. Einen Versuch jedenfalls ist es wert. Und ein Teil der Zukunft von Kritik wird es allemal sein.

2 Gedanken zu „Leser als Kritiker“

  1. Willst Du mir das LESEN in einer Leserunde vergraulen? Und was ist bitte schön eine normale Leserunde? Vielleicht wären jetzt ein paar deutlichere Worte zum Für und Wider einer Beteiligung der geneigten Leserinnen und Leser möglich.
    LG

  2. Hab ich was gegen Leserunden gesagt? Nö, oder? Oder gegen diejenigen, die sich dort beteiligen? Es sind keine „professionellen“ Rezensenten, das ist alles und das ist spannend. Also sorry, wenn da etwas falsch rübergekommen sein sollte.

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