Mechtild Borrmann hat den Krimi nicht neu erfunden. Sie arbeitet auch nicht in den Fertigungshallen des gerade wieder einmal durch das gruselige argumentative Fixierbad gezogenen „Regiokrimis“, obwohl – Überraschung – auch ihre Krimis „irgendwo spielen“. Kein Hype umwogt sie, kein „wichtiger Krimipreis“ hebt sie (oder habe ich etwas verpasst?), nicht einmal die Binnenanpreisung unter KollegInnen funktioniert so recht. Wenigstens das lässt sich ändern. Also: Mechtild Borrmann ist eine der interessantesten Autorinnen von Kriminalliteratur hierzulande, damit Ausrufezeichen und zum Buch.
Das heißt „Wer das Schweigen bricht“ und, lieber Verlag, dieser Titel ist der einzige Sündenfall, das klingt nach „Wenn die Begierde zweimal klingelt“ oder „Wer das Wasser in Wein verwandelt“ oder sonstigen Schwachsinnigkeiten deutscher Titelei, muss also zukünftig nicht mehr sein.
Der Arzt Robert Lubisch findet im Nachlass seines verstorbenen Vaters, eines Bauunternehmers, das alte Foto einer jungen Frau, wird neugierig und setzt sich auf die Fährte der Unbekannten. Tatsächlich findet er schnell heraus, wer sie war und mit Hilfe der ehrgeizigen Journalistin Rita Albers auch, wer sie jetzt IST. Dieser Umstand entbehrt nicht der Pikanterie, wie Albers sogleich erkennt und eine große Story wittert. Doch bald darauf ist sie tot. Der Arzt forscht weiter, ein Dorfpolizist ebenfalls, so weit ist alles noch normal und wirklich nicht neu, das obligatorische dunkle Geheimnis im Vergangenen eben, Nazizeit, Krieg, auch das noch.
Die Kunst von Mechtild Borrmann liegt darin, ihre Geschichte aus unterschiedlichen Personen- und Zeitperspektiven zu entwickeln. Unspektakulär und eindringlich, asketisch in der Storyführung, ohne ungesunde Magerkeit allerdings, an manchen Stellen ein klein wenig zu erklärend, wenn das Beschriebene schon ausgereicht hätte. Aber das sind Kleinigkeiten, die vom hohen spezifischen Gewicht der Geschichte locker ausgeglichen werden. Kurz: Der Text packt einen und wartet mit einer hübschen finalen Überraschung auf, einem Clou, auf den man selbst hätte kommen können und als Selberautor auch gerne gekommen wäre.
Eine Studie über Identitäten , spannend und anrührend, garantiert witzfrei, in der Konstruktion aber eben nicht ohne Witz. Kriminalliteratur wie sie sein sollte und wenn es ein paar mehr Freunde des Genres merken würden, könnte das diesem nicht schaden.
Mechtild Borrmann: Wer das Schweigen bricht.
Pendragon 2011. 224 Seiten. 9,95 €
Ein Freund des Genres hat es gemerkt. 😉 Der erste Roman von Frau Borrmann ist sogleich auf meinem Merkzettel gelandet. Zumal Kollege König ja auch voll des Lobes ist.
Schöne Woche noch
Der Kollege von der KC