Wer nach ihr googelt, wird nicht fündig, wer Betroffene auf sie anspricht, erntet heftiges Kopfschütteln. Die „Deutsche Gesellschaft zur vollständigen Beseitigung der Kriminalliteratur“? Gibt es nicht! Was soll das sein? Hä? Wohl verrückt geworden? – Die Wirklichkeit jedoch sieht anders aus. Mächtige Buchscheiterhaufen, die nächtens auf entlegenen Weizenfeldern vor sich hin lodern; Krimikritiker mit ausgelaufenem Auge, gebrochenen Rippen und zerquetschten Genitalien; Autoren, die plötzlich „keine Lust mehr auf Krimi“ haben und sich – „äh, ich hab geerbt!“ – selbst in einer mallorquinischen Finca frühverrenten. Also gibt es sie doch, die DGVBK? Ja! Nur: Wer oder was ist das, wer oder was steckt dahinter? WTD ist es gelungen, den Mantel des Schweigens zu lüften.
Es entwickelte sich selbst wie ein Krimi. Anonyme Anrufe, bei denen eine elektronisch verstellte Stimme fragte, ob wir interessiert daran seien, mit einem der Vorstandsmitglieder der Gesellschaft ein Interview zu führen. Natürlich waren wir interessiert! Genaue Anweisungen, strikte Vorsichtsmaßnahmen – „Keine Polizei! Keine Krimipresse!“ – und endlich ein Treffpunkt: das Café Wanninger in München-Perlach, Treffpunkt gelangweilter Hausfrauen, gelangweilter Privatiers, gelangweilter WTD-Mitarbeiter. Wir trinken Kaffee und warten. Bis ER schließlich kommt. Friedemann Störbeck (Name geändert), ein agiler Mitsechziger, grauer Haarkranz, grauer Businessanzug, graue Eminenz. Netter Kerl. Nach den üblichen Floskeln beginnen wir mit dem Gespräch.
Wtd: Herr Störbeck, warum „Deutsche Gesellschaft zur vollständigen Beseitigung der Kriminalliteratur“? Was hat Ihnen der Krimi getan?
Störbeck: Mir persönlich nichts. Ich hab früher selber welche gelesen. Christie und so. Aber man muss großzügiger denken, global. Der Kriminalroman ist ein Irrläufer der literarischen Evolution, so etwas wie der Rauhaardackel in der biologischen Entwicklung.
Wtd: Äh… der Rauhaardackel?
Störbeck: Zum Beispiel. Ein völlig unnützer Zweig einer völlig unnützen menschlichen Manipulation der völlig unnützen Schöpfung. Letztlich schädlich.
Wtd: Könnten Sie das konkretisieren?
Störbeck: Deshalb bin ich hier. Sehen Sie sich doch mal an, was passiert. Menschen lesen sogenannte Kriminalliteratur und erfreuen sich daran, wie andere Menschen zu Tode kommen. Ist das normal? Hat das irgendeinen vernünftigen Zweck? Wir finden: nein! Hält die Leute nur von wichtigeren Dingen ab, dem Rasenmähen zum Beispiel, oder setzt ihnen Flöhe ins Ohr. Sie vergeuden ihre Zeit mit der Frage, wer’s denn nun gewesen war, sie irren sinnierend durchs Leben, sie spielen Detektiv und vernachlässigen dabei ihre Ehefrauen, Kinder und Arbeitgeber.
Wtd: Aha. Und deshalb wollen Sie den Kriminalroman vom Erdboden vertilgen?
Störbeck: Unter anderem. Aber das ist ja nicht alles. Verfolgen Sie doch nur einmal die Diskussion auf wtd zum politischen Krimi! Politischer Krimi, wenn ich das schon höre! Der Kriminalroman bringt nur Unruhe ins gesellschaftliche Gefüge! Ein aktuelles Beispiel: Am 2. Juni erscheint die spanische Übersetzung von Dieter Paul Rudolphs Kriminalroman „Menschenfreunde“. Interessiert keine Sau, werden Sie jetzt sagen. Doch was ist passiert? Kaum ist das Werk angekündigt, kaum eine erste Inhaltsangabe publiziert, rotten sich junge Menschen zusammen und demonstrieren gewalttätig auf großen Madrider Plätzen! Nennen Sie das Zufall? In Rudolphs Roman geht es ja auch um die Verarschung junger Leute!
Wtd: Sie halten also den Kriminalroman für gesellschaftlich destruktiv? Einen Unruhestifter?
Störbeck: Zweifeln Sie daran? Kriminalliteratur zermürbt Menschen, das war schon immer so. Lenkt Sie ab, sät Zweifel an der göttlichen Ordnung, macht aufsässig.
Wtd: Und mit welchen Maßnahmen kämpfen Sie nun gegen den Krimi?
Störbeck: Seit unserer Gründung im Jahr 1968 hat sich hier einiges getan. Zunächst arbeiteten wir, ganz im Stile der Zeit, mit endlosen internen Diskussionen, was aber nichts brachte. Dann gingen wir zur körperlichen Gewalt über. Lauerten Krimischaffenden in dunklen Gassen auf und verprügelten sie, bedrohten Rezensenten, übten Psychoterror gegen Verlage aus, kippten Gülle über die Auslegeware der Buchhandlungen. Das wurde aber von gewissen interessierten Kreisen totgeschwiegen. Es folgten großangelegte Bücherverbrennungen. Doch auch hier: keine Reaktion. Denn auch das sollte man wissen: Ganz Deutschland wird von einer letztlich destruktiven Mafia beherrscht, die den Kriminalroman instrumentalisiert, als Verdummungs- und Unruheelement gleichermaßen einsetzt, einer Mafia, deren Köpfe in den politischen Parteien selbst sitzen.
Wtd: Hm, das ist bedenklich. Aber sie verprügeln heute keine Autoren und Kritiker mehr?
Störbeck: Nur noch selten und wenn jemand ein wirkliches Arschgesicht ist. Unsere Methoden sind inzwischen subtiler. Je mächtiger wir werden, je finanzkräftiger auch unsere Mitglieder geworden sind, desto mehr bauen wir auf die einzige Macht, die es mit dem Krimi aufnehmen kann: Geld. Wir finanzieren KrimiautorInnen einen geruhsamen Lebensabend im südlichen Ausland, unter der einzigen Bedingung, nie mehr zur Feder zu greifen! Wir bestechen Rezensenten, zwingen sie mit Geld, entweder gar nicht mehr zu rezensieren oder dermaßen dämlich in die Kiste der Floskeln zu greifen, dass selbst der hirnloseste Leser merkt: Mein Gott, ist doch alles Kacke mit dem Krimi. Diese Strategie ist durchaus erfolgreich.
Wtd: Das sind gute Aussichten. Für Sie.
Störbeck: Genau. Spätestens in zehn Jahren wird es in Deutschland keine Krimis mehr geben. Dann gehen wir nach Frankreich und England.
Wtd: Und was kommt dann? Das Volk lechzt doch nach spannender Nahrung.
Störbeck: Science Fiction. Wir setzen voll auf Science Fiction. Das ist ein solch hirnverbrannter Quatsch, das schadet nichts.
Wtd: Äh, ja. Vielen Dank, Herr Störbeck, für dieses Gespräch.
Störbeck: Nichts zu danken. Ach, bevor ich es vergesse: Hier ihre 100.000 Euro und der Schlüssel für den gelben Ferrari da vorne.
Wtd: Oh, danke!
Das Gespräch führte dpr. Nach Abschrift mit unbekanntem Ziel verreist
„Deutsche Gesellschaft zur vollständigen Beseitigung der Kriminalliteratur“ – habe deren Existenz immer schon geahnt! Gespräch gibt zu denken! Wo gibt’s einen Mitgliedsantrag? Oder doch für die Finca bewerben?