Die Welt ist inzwischen so kompliziert geworden, dass man nicht mehr über sie reden kann. Natürlich redet man über sie, mehr als je zuvor. Es sind Kamingespräche von selbsternannten Universalisten, Durchblickern und empörten Aufrufern, die, schaut man genauer hin, vielleicht Koryphäen der Geschichte des deutschen Postwesens im 17. Jahrhundert sind, sich aber aufführen, als beanspruche das gesamte Weltwissen nur ein moderates Kämmerchen in ihren gigantischen Gehirnen, wo lockere Themen wie Finanzkrise, Urheberrecht und Klimawandel ebenso locker verhandelt werden, um hernach als handliche Gebrauchsanweisungen in die Welt zu eruptieren. Aber das nur nebenbei. Es ist der Rahmen, in dem sich die Geschichten, ob Tragödien oder Komödien, abspielen, die großen wie die kleinen, und von einer kleinen wollen wir kurz berichten: dem Krimi.
Beginnen wir mit einer unbestreitbaren Feststellung. Dominique Manotti wird an Heiligabend 70 Jahre alt. Das macht sie für die größeren deutschen Verlage, die sogenannten „Publikumsverlage“, zur persona non grata, was nichts mit Weihnachten zu tun hat, sondern schlicht mit ihrem Alter. Es hat auch nichts damit zu tun, dass Dominque Manotti eine sogenannte „engagierte“, wahrscheinlich gar „linke“ Schriftstellerin ist. Damit haben Verlage keine Probleme, so lange es sich verkauft. Sie haben Probleme mit dem Alter der „neuen“ Autoren. Über 50? Wird sofort aussortiert, keine Chance. Nein, ich spreche ausnahmsweise mal nicht aus eigener Erfahrung, sondern teile, immer noch ungläubig staunend, mit, was mir betroffene Kolleginnen und Kollegen, aber auch Lektoren und Lektorinnen erzählt haben. Das Publikum hat anscheinend nichts dagegen, mit seinen Spannungslieferanten zu altern, aber neue Lieferanten, die schon „alt“ sind, die mögen sie anscheinend gar nicht, jedenfalls glauben das die Verlage.
Die Krimis von Dominique Manotti werden in einem deutschen Verlag publiziert. Wohl auch nicht ohne kommerziellen Erfolg (ich kenne die Zahlen nicht…), aber der kommerzielle Erfolg des übersichtlichen Argument Verlages mit seiner Ariadne-Krimiabteilung ist nicht der kommerzielle Erfolg der großen Verlage. Dazwischen tun sich Welten auf. Nun ist die Geschichte Dominique Manottis in Deutschland natürlich zunächst einmal eine erfreuliche Geschichte. Sie WIRD verlegt. In einem kleineren Verlag, aber immerhin, es gibt wenigstens genügend kleine Verlage, die das Lebensalter ihrer Autorinnen und Autoren nicht als Auswahlkriterium gelten lassen. Überhaupt: kleine Verlage. Vor wenigen Jahrzehnten noch war „Krimi“ eine Domäne irgendwo zwischen rororo-Thrillern und Bastei-Lübbe. Bahnhofskioskware zum schnellen Verbrauch, nicht selten miserabel übersetzt, brutal gekürzt. Inzwischen hat sich der Markt diversifiziert, das Sortiment ist breiter geworden, kleine Verlage öffnen beinahe im Wochentakt neue Bauchläden, in denen all das Platz findet, was in den großen Verlagen, die wie nie zuvor in „Krimi“ machen, eben keinen Platz findet. Was nicht heißen soll, man biete bei den Großen nur noch mediokre Massenware feil und bei den Kleinen die Pretiosen. Klein zu sein ist kein Verdienst, sondern ein marktdynamischer Zustand. Alle Kleinen wären gerne größer, manche werden es sogar.
Na und? So ist es nun einmal. Es gibt die Großen, die Bücher als Waren behandeln, was sie immer schon getan haben und tun mussten, denn vor der Liebe zur Literatur stand und steht das Diktat der Ökonomie. Ist auch bei den Kleinen so, nebenbei bemerkt. Vielleicht nicht ganz so brutal, nicht ganz so auf betriebswirtschaftliche Kennziffern reduziert, aber auch die Kleinen müssen Rohstoffe, Energiekosten, Löhne bezahlen. Alles in allem hat sich also der Krimibuchmarkt so entwickelt, wie etwa der Musikmarkt schon vor ihm: Es gibt die Großen für das Marktgängige und die Kleinen für die „Nischenprodukte“.
Was aber bedeutet das für die Kriminalliteratur? Für die Produzenten dessen, was man Nischenliteratur nennt: Verabschiedet euch von der Illusion, dass euch eure Arbeit ernähren kann. Für die Konsumenten: Verabschiedet euch von der Illusion, dass euch eure gutsortierte Buchhandlung über die neuesten Entwicklungen des Genres auf dem Laufen hält. Dort kommen die Erzeugnisse der Kleinen in der Regel nämlich gar nicht vor. Und wenn doch, dann sind sie längst Erzeugnisse der Großen geworden, Lizenzausgaben etwa, weil man gemerkt hat, aha, da wächst ein Autor heran, mit dem man Geld verdienen könnte, also kaufen wir die Rechte – oder kaufen wir gleich den kompletten Autor. Was, alles in allem, zum Nachteil des kleinen Verlages ist, der für seine mitunter jahrelange Arbeit mit einem Autor, sein Engagement, sein Risiko mit nichts oder einem Taschengeld abgespeist wird. Aber hey, was soll der Autor machen? Er hat es „geschafft“, er ist bei einem Großen, er darf die Illusion vom Lebensunterhalt durch Schreiben wieder nähren.
Na gut, das sind Einzelfälle. In aller Regel bleibt die Krimigesellschaft eine Klassengesellschaft, und in jeder Klasse gelten eigene Regeln. Kompliziert ist das nicht, es hat auch nichts mit Urheber- oder Verwertungsrechten zu tun, was übrigens zwei paar Schuhe sind, so wie ACTA und Piraten zwei paar Schuhe sind. Sie haben ein Gemeinsames: den technischen Fortschritt, der auf Veränderungen drängt. Veränderungen, die es, was das Verlagswesen allgemein betrifft, schon längst gibt, man achtet nur noch nicht auf sie. Denn neben den Großen und den Kleinen gibt es inzwischen die Ganzkleinen, die Autorinnen und Autoren, die ihre eigenen Verleger und PR-Manager und Vertreiber sind.
Wenn man in Amazons Ebook-Abteilung schaut, dorthin vor allem, wo die „billigen Ausgaben“ zwischen 0,99 und, sagen wir, 4,99 Euro angeboten werden, erlebt man eine Überraschung. Dort steht momentan Emily Brontes Klassiker „Sturmhöhen“ auf Rang 1 der „Bestseller“, 0,99 Euro für den Download, auf Rang 3 der Thriller „Freunde müssen töten“ von B.C. Schiller, 2,99 Euro. B.C. Schiller? Schon einmal gehört? Eine feste Größe in der deutschen Krimilandschaft? Googeln Sie halt…
Bei den kostenlosen E-Books dominieren übrigens auf den ersten drei Plätzen Krimis von Birgit Albicker („Nordsee-Thriller“), Ingolf Behrens und Dana Lione, von der wir nicht vermuten, sie sei eine Amerikanerin mit Venedig-Affinität und Schreibschwäche beim eigenen Namen. Alles Bestsellerautoren, in Krimikreisen spricht man über sie… oder auch nicht.
Diese Bestsellerlisten sind im übrigen bunt zusammengewürfelt, aktuelle Auch-Papier-Bücher, gemeinfreie Klassikerausgaben – und eben sehr viel Krimi von Unbekannten. Na schön. Letztere verscherbeln ihre geistigen Erzeugnisse, das kann jeder. Was verdient man schon an einem Buch für 2,99 Euro? Nun, bei Amazon gut 2 Euro für den Urheber, das entspricht ungefähr dem Honorar, das der Autor eines Papierbuches für 25 Euro einstreichen kann.
Es sei noch einmal wiederholt: In all diesen Informationen steckt keine Wertung des Verfassers. Er behauptet weder, große Verlage seien schlechter als kleine noch kleine seien besser als große, er tut die Selbstverleger nicht als Dilettanten ab, die es eben „nicht geschafft“ haben, einen Verlagsvertrag zu ergattern, er rühmt sie nicht als Herolde einer neuen, von den Zwängen der bisherigen Verlagsmaschinerie emanzipierten „neuen“ Kriminalliteratur. Er stellt nur fest. Die Dinge sind komplizierter geworden. Die Chancen für Autoren haben sich – siehe Manotti und andere – verringert und zugleich – siehe kleine Verlage, siehe E-Books – vermehrt. Es ist Bewegung entstanden, und überall dort wo Bewegung entsteht, knirscht es im Gebälk, rebelliert die Statik, droht Verfall, lockt Neuaufbau. Sich dagegen zu wehren, braucht es mehr als Buttons und Unterschriftenlisten. Man kann und sollte sich auch gar nicht dagegen wehren. Man sollte die Chancen nutzen. Es sind spannende Zeiten.
Stimmt. Als schreibender Mensch steht man derzeit vor einer ungeahnten Fülle neuer Chancen. Sie zu nutzen dürfte jedem, der die Energie aufbringt, ein druckreifes Manuskript abzuliefern, leicht fallen.
Herkömmliche Verlage, die mit herkömmlichen Methoden und Technologien arbeiten, haben es in einer Oligopol-Ökonomie nicht einfach: die Grossen haben den Markt unter sich aufgeteilt. In Deutschland geht´s ja noch – Preisbindung und Kartellaufsicht gewähren wenigstens die Illusion des gesunden Kulturbetriebs. Bei mir zuhause ist wie üblich Wildwest. Wenige Vertriebsfirmen, die sich allesamt an den betriebswirtschaftlichen Gepflogenheiten des Lebensmitteleinzelhandels orientieren, bestimmen wer was wo an wen verkauft. Wenige Riesenverlage liefern das Erwünschte. Risiko wird tunlichst vermieden. Wie schon vor dreissig Jahren in der Musikindustrie haben die Buchhalter das book-business übernommen.
Und dann wären da Amazon, Apple und Co.
Wir werden gezwungen, zwei- oder dreigleisig zu fahren. Die grossen Verlage kaufen an, was sich schon als gutverkäuflich erwies, die Kleinen riskieren noch, haben aber nicht den Atem, gegen Grosse anzugehen, und das e-book wird noch immer belächelt (wie die CD in den Mitt-Achtzigern: damals war ich Radiofritze in Santa Barbara, Kalifornien, und lehnte strikt ab, CDs zu spielen, weil die „Experten“ behaupteten, nur die LP biete „lebendigen Sound“: als gebranntes Kind scheue ich seither Experten und vorgefasste Meinung).
Warum nicht als Peter J. K. im herkömmlichen Verlag veröffentlichen und als K. J. Peter gezielt fürs e-book schreiben? Warum nicht (wie Stephen King und andere) unter verschiedenen Pseudonymen diverse Romanformen bedienen? Wieso arbeiten relativ wenige Autoren am Hörbuch, wo doch Technologie, die vor wenigen Jahren nur im Tonstudio erhältlich war, heutzutage im Computer steckt?
Ich wurde im vergangenen November 70. Meinst du, mich fragt einer nach meinem Alter, wenn ich mein Zeug selbst im Net und über mp3-download/cd anbiete?
Tja, lieber P.K., du bist eben im Kopf immer noch ein neugieriges Jungchen… Was ich – siehe Urheberrecht – gerade in good old Germany erlebe, spricht eher für eine vorzeitige Vergreisung der Branche. Hätte ich die Zeit, würde ich mir den E-book-Krimimarkt, wie er gerade PARALLEL zum Book-Krimimarkt entsteht, mal näher betrachten. Neben all dem erwarteten Wie-immer-Mist und Wie-Immer-Mittelmäßigen würden sich vielleicht ein paar angenehme Überraschungen zeigen…
Im übrigen sage ich rosige Zeiten für Papier voraus. Wenn das was draufsteht, wirklich gut ist…
dpr
Na, Jungs, da sind wir mal wieder alle beisammen. Was für uns als Kleinverleger wichtig ist, ist nicht, wie alt die Autoren sind, sondern wie alt sie aussehen, äh, wie alt sie schreiben, natürlich, sorry: Schaut Euch auch mal den Gunter Gerlach an, schon so alt, noch älter als PJ Kraus, und schreibt Dialoge wie ein Junger, dass es Funken schlägt. Das macht doch Freude, wenn man mal was Flottes liest – für uns muss es auch gar nicht splattern oder schwiemeln oder marklundmäßig aus der Wäsche gucken. Wir freuen uns einfach an schöner Sprache. Fürs Geld verdienen müssen wir uns dann halt was anderes überlegen. Aber ein paar findet man immer, die auch das Gute zu schätzen wissen.
Ja, ja, kleiner Verleger, mir will diese Praxis auch nicht einleuchten. Es soll sogar Menschen geben, die lesen Bücher von AutorInnen, die schon TOT sind. Igitt… Nicht jeder Verlag hat das GLück, einen noch verdammt jung aussehenden Autor in seinen Reihen zu haben, der einen gut eingeführten Blog betreibt…