Obwohl in diesem Roman vier Menschen gewaltsam zu Tode kommen, fällt es schwer, ihn einen Krimi nennen. Das kann Gutes oder Schlechtes bedeuten. Kann, beginnen wir mit dem Schlechten, einfach heißen, hier habe ein Autor mit böser Absicht Elemente aus der Krimikiste gemopst, um einen vielleicht zu spannungsarmen Text aufzumotzen. Kann aber auch (jetzt sind wir beim Guten) bedeuten, dass wir uns einer ungewohnten Form von Kriminalroman gegenübersehen, die uns zunächst einmal verleugnen lässt, was nicht offensichtlich ist.
Blettenbergs „Harte Schnitte“ laviert auf einem Mittelweg, der dem Guten näher ist als dem Schlechten. Kurz zum Inhalt. Der Filmemacher Joe Daimler recherchiert für ein Projekt über den „Lebensborn“, eine der vielen Ungeheuerlichkeiten der Nazizeit, als vollarische Männer mit SS-Zugehörigkeit blonde Germaninnen befruchteten, um „die Rasse“ zu veredeln und der Nachwelt zu sichern. Daimlers fiktive Aufarbeitung des Themas kollidiert mit Tabus und macht die neuen Nazis auf den Regisseur aufmerksam. Die Arbeit am Drehbuch führt ihn nach Florida, wo er einem amerikanischen Zeitzeugen begegnet, der ihm eine schreckliche Wahrheit eröffnet. Daimler selbst ist das Produkt einer „Lebensborn“-Kopulation, und der Vater lebt noch, irgendwo in Afrika. Daimler macht sich auf die Suche.
Zur gleichen Zeit sucht auch die Journalistin Chris Baumann nach ihrem arischen Vater, ebenfalls in Afrika. Sie tut sich mit dem Entwicklungshelfer Frost zusammen, einem ostdeutschen Mechaniker, der seinerseits nach dem Aufenthaltsort seines schnöde entschwundenen Vaters fahndet. Vier Menschen, wie gesagt, werden diese Aktionen nicht überleben.
Man spürt förmlich die harte Hand, mit der Blettenberg seine Story zu ihrem logischen Glück zu zwingen versucht. Schon die bei Neonazis und Münchner Intelligenzschickera ob des Daimlerischen Planes ausbrechenden Emotionen erscheinen künstlich hochgekocht, des Protogonisten „Lebensborn“-Herkunft koinzidiert zu auffällig zufällig mit seinem „Lebensborn“-Projekt. Und dass mit der Journalistin und dem Entwicklungshelfer gleich noch zwei weitere Personen auf Vatersuche sind, auch sehr schnell klar wird, dass Daimler und Chris Baumann ein und denselben Mann ausfindig machen wollen, ist eigentlich zu starker Tobak, mit dem sich ein Krimifreund gemeinhin das Pfeifchen nicht stopft.
Aber kommen wir zu der Art und Weise, wie Blettenberg seinen Roman geschrieben hat, kommen wir zu den literarischen Qualitäten. „Harte Schnitte“: das ist wörtlich zu nehmen. Ständig wechselnde Erzählperspektiven, abrupter Bruch der Erzählzeit, ein Stück vierziger Jahre, das zwei Stränge Gegenwart zusammenhält, unterschiedliche Textsorten – Drehbuchpassagen – Absätze aus Reiseberichten – historische Abschweifungen zu Lettow-Vorbeck, dem deutschen „Afrika-Pionier“, die sagenhafte Stanley-Livingston-Begegnung im Urwald – hart geschnitten, das schon, aber sehr dicht montiert und in präziser Bild-Sprache abgespult.
Blettenbergs Roman, 1995 erstmals veröffentlicht und in diesem Jahr bei Pendragon neu aufgelegt, muss Erwartungen enttäuschen, die den Zugang über die reine Krimistory suchen. Wer sich ihm stattdessen über die formale Seite nähert, kommt durchaus auf seine Kosten und erhält eine Parabel über das Suchen und Finden, vor allem aber über das Umherirren. Krimielemente als Transportmittel – warum nicht? Die Story ist der Konstruktion untergeordnet, die Handlung unterstützt das Formale, das Formale verweist schließlich auf die Thematik des Textes. Das gibt es halt nicht bei Agatha Christie und Konsorten. Schon allein deswegen ein empfehlenswertes Buch.
D.B. Blettenberg: Harte Schnitte. Pendragon 2005, 272 Seiten, 9,90 €