Ein Schundroman für die gebildeten Stände
„Ein herrlicher Morgen dämmerte herauf und überzog die exklusivste Wohnanlage der Stadt mit einem malvenfarbenen Schimmer. In diesem Augenblick meldeten die Frühnachrichten eine Sensation: Schon wieder war ein Kanzler ermordet worden. Das war nun der dritte pfälzische Kanzler in Folge. „
Dagegen, daß ein herrlicher Morgen heraufdämmert, ist ja beileibe nichts zu sagen, gegen das Heraufdämmern von ganz und gar unglaublichen Zuständen wie einem dritten Kanzlermord in Folge, hingegen schon. Einmal kann so eine Kanzlergeschichte ja passieren, aber dreimal? Das läßt tief blicken. Ein Land droht in Anarchie zu versinken und niemand scheint dem Einhalt gebieten zu können – außer vielleicht Baroneß Bibi, die sich eben, als diese Meldung ertönt, im seidigen Bettzeugs ihres opulenten Domizils räkelt und entschließt, ihren jugendlichen Luxuskörper und ihre aristokratischen Gehirnwindungen einzusetzen, um diese indiskutablen und einer freiheitlich demokratischen Republik unwürdigen Zustände zu beenden.
„Rasch war sie angekleidet. Sie schaute prüfend in den großen Kristallspiegel ihres eleganten Marmorbades. Da stand sie: schlank, aufregend, das Diadem funkelte tatendurstig in ihrem goldgelockten Haar.“ Gut, daß ihr treuer Begleiter, der hochgewachsene, besonnene Pathologe und Meister der Spontanobduktion Professor Marquardt nur eine Etage unter ihr residiert und ihr bei diesem gefahrvollen Vorhaben mit seinem Wissen und seiner Anatomie zur Seite stehen kann. Doch egal wohin sich das bestgekleidetste Ermittlerduo seit Wigald und Boning auch wendet, ob in Venedig, Rom, Tottenham oder Klagenfurt: immer ist ihnen der Mörder einen Schritt voraus. Wo wird das alles noch enden?
Unglaubliche Fragen, unglaubwürdige Antworten. Die zickige Simone Borowiak aus der haßgeliebten – gehaßliebten? egal – TITANIC-Redaktion hat sich von der Schilderung des profanen bundesdeutschen Ottonormalverbrauchermilieus ihrer Erstlingswerke verabschiedet und dem kultivierten Schundroman für gebildete Stände zugewandt. Das sieht dann so aus, daß sie die snobistische Schreibhaltung des politisch und moralisch korrekten Aristokratenschmonzes à la Edgar Wallace oder Dorothy Sayers auf die Schippe nimmt und ihre Leser in die Welt des schnöden Mammons und des blöden Scheins entführt.
Souverän und zynisch wie man/frau nur nach zehnjähriger Tätigkeit als Redakteurin auf einem sinkenden Schiff sein kann, gelingt es ihr auch dann würdevollen Ernst zu bewahren, wenn es gilt, die schlüpfrigen Klippen zu umschiffen, die ein zum Beischlaf entblößter dicker Pathologenpenis darstellt. Mit ihrer ergreifenden Art der Schilderung entwürdigender Szenen und menschlicher Dramen spannt sie die Nerven ihrer Leser aufs Äußerste, „daß Frauen ohnmächtig werden und Männer aufspringen und sich an Brust und Hintern fahren.„
Simone Borowiak
BARONESS BIBI
Ein Schundroman für die gebildeten Stände
Eichborn, DM 22,80
ISBN 3-8218-0329-0