(Kurzkrimis leben von ihrer Beschränktheit, von der Pointe, die am Ende die ganze Last des Plots zu tragen hat. Guido Rohms „Hitler im Regen“, hier exklusiv veröffentlicht, kommt ohne diese Pointe aus, vielleicht weil die Geschichte kein Kurzkrimi ist, sondern ein zu einer Szene komprimierter potentieller Roman. Wortspielerisch, gedankenspielerisch. Ein weiterer Beitrag in unserer losen Serie zum „politischen Krimi“.)
Hitler im Regen
Die Hände fliegen hoch. Die Hände fliegen zum Himmel. Ein steifer Gruß. Hitlergruß. Und ich mittendrin. Die Haare abrasiert. Instruiert. Bringen Sie uns Informationen. Wir wollen wissen, was die planen. Also laufe ich mit. Die laufen nicht, die marschieren, Heil Hitler, ich kann ihn in den Gesichtern sehen, den verhärmten kleinen Maler, Postkartenmaler, Maler fünftklassiger Bilder, ein röhrender Hirsch im Gras, Hundeliebhaber, was hat der mit den Hunden getrieben, frage ich mich, sage es nicht, denn die würden mich für solche Gedanken töten. Die Hände fliegen. Der rechte Arm wird in den Himmel gestreckt, gereckt, verreckt doch ihr Hurensöhne, denke ich, spreche es nicht aus, denn die würden mich in einer stillen Ecke ablegen.
„Siehst du, da sind sie!“, schreit Eckhard.
Eckhard trägt eine Nickelbrille, er ist Deutscher, ich bin Deutscher, schreit Eckhard, und Deutschland, schreit Eckhard, soll den Deutschen bleiben.
Eckhard reißt die Hand zum Himmel. Diese Hände wollen den Himmel vom Himmel holen, die wollen den Himmler in den Himmel heben, damit der Himmel zukünftig ein Himmler ist, ein Ort für die Deutschen, irre Bande, denke ich, sage es nicht, mein Fehler, denke ich, nein, ist es nicht.
Ich arbeite für den Verfassungsschutz. Ich bin einer von denen geworden. Ich gröle ihre Parolen. Ich schreie sie in den Himmler hinauf, der Himmler verdunkelt sich, da kommt eine Gewitterwolke, dunkel und trüb, die schiebt sich vor die Sonne. Es regnet. Schlechte Zeiten für eine Neonazidemonstration, Heil Hitler, Herr Eckhard, Arschloch, denke ich, dich werden wir auch noch einbuchten, werden wir nicht, aber das weiß ich damals noch nicht, denn Eckhard wird an den Folgen der Immunschwäche AIDS sterben, Heil Hitler, Herr Eckhard, Sie können abtreten, können dem Führer nun unter seine siebtklassigen Maleraugen treten, unter die Augen des Gnoms aus Braunau, wegen dem sind wir hier, und dann denke ich an Karin, meine Frau, die ich schon so lange nicht mehr gesehen habe.
Eckhard fordert uns auf, den Kampf zu suchen, er hat ein paar Linke entdeckt, lasst uns die linken Zecken zertreten, schreit Eckhard, HIV-Eckhard, der es gerne mit langhaarigen Burschen treibt, aber davon wissen wir nichts, wir ahnen es vielleicht, ich wusste es nicht, denn dann hätten wir ihn umdrehen können, auf unsere Seite treiben, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Die Hände werden in den Regen gestreckt, Hitler im Regen, Hitler fällt aus, die Burschen rennen, sie wollen sich prügeln, nicht alle, sie tragen Totenköpfe in den Augen, die Augen blitzen, die Augen wollen Blut sehen.
Sie stürmen voran, ich bin mitten unter ihnen, vergessen Sie nicht, wer Sie sind, so haben sie zu mir gesagt, begehen Sie keine Straftaten, keine Straftaten, das haben sie gesagt. Ich stehe vor einem Punk, will zischen, renn schon davon, da greift er nach einem Stein, einem herumliegenden Backstein, wie kommt denn der Backstein an diesen Ort, denn Backsteine sollten hier nichts verloren haben, er muss ihn mitgebracht haben, den Backstein, und schon schlägt mir Eckhard auf die Schulter und dem Punk anschließend in die Fresse, nicht ins Gesicht, denn von einem Gesicht kann man nicht mehr reden, nachdem wir mit ihm fertig sind.
Der Regen strömt. Der Regen weicht uns ein. Der Regen wäscht nichts aus. Die Sünden bleiben, all die Schläge, all die Sprüche, die Parolen, die einsamen Nächte, in denen sich Eckhard zu seinen Jungen stahl, den Jungen, denen er ins Ohr flüsterte, lieb mich, eben der Eckhard, der nun Mord und Totschlag fordert. Ich werde ihn melden. Dann ist es zu spät. Dann wird er nicht mehr leben. Aber das weiß ich damals noch nicht.
Unsere Truppe stürmt und schreit und prügelt, die Hände zeigen nun nicht mehr zum Himmler, da ist kein Himmler, da ist einzig nur ein dunkler Himmel über Deutschland und Schlieren von Blut auf der Fensterscheibe eines Autos.
Ich knalle gegen einen Tisch, ich stolpere, ich falle auf einen Körper, da fällt man weich, mein Gesicht landet in einem fremden Gesicht, ein Frauengesicht, ein Gesicht wie das Gesicht von Karin. Feine Züge unter einer Kappe, die nun verrutscht ist. Das fremde Frauengesicht flucht, schiebt mich fort, verfluchter Nazi, zischt der fremde Frauenmund, der Karinmund, der mich bittet, ich solle endlich nach Hause kommen, der nun schreit, hier ist einer von denen.
Ich drücke mich nach oben, rutsche aus, stütze mich ab, stütze mich mit meinem Himmelgrußarm ab, denke, nur weg hier, bis das Frauengesicht plötzlich spricht.
„Horst!“
Das bin ich nicht, das bin ich, ich trage nun einen anderen Namen, die Frau unter der Kappe hat mich erkannt, sie muss mich kennen, das kann kein Zufall sein.
Ich antworte nicht, ich sehe zu Eckhard hin, der mit seinem Hitlerhuldigungsarm einem Punk das Deutschtum in die Eingeweide pflanzt, der mich irre ansieht, lacht, komm her, schreit Eckhard, komm her.
Er nennt mich nicht bei meinem falschen Namen, keine Namen im Straßenkampf. Die Frau sieht mich noch an. Unverwandt. Erstaunt.
Hitze wallt durch meinen Körper. Die Hitze lässt den Regen verdampfen. Der Dampf hüllt mich ein. Ein Höllenwesen wie aus einem Comic.
Und im nächsten Augenblick renne ich davon, stolpere ich hin zu Eckhard, ich renne davon, vor mir, diesem Leben, hin zu Karin, die vielleicht längst einen Liebhaber hat. Ich erkenne mich nicht wieder. Das bin ich nicht, das will ich nicht sein.
Ich reiße Eckhard mit mir fort, wir spurten über den Platz, wir müssen hier fort, wir müssen uns in Sicherheit bringen. Ich denke längst ihre Gedanken. Ich bin längst wie die. Sie haben mich in ihren Fängen.
Bereits in drei Wochen werde ich wieder durch eine Stadt marschieren. Den Arm erhoben zum Hitlergruß. Heil Hitler! Ich spüre die Erschöpfung in meinen Gliedern.
Ich möchte vergehen, möchte zerlaufen, will eins werden mit der Straße und den Häusern und dem Regen. Ich will mich in die Kanalisation spülen lassen, will meinen Namen nicht mehr hören. Horst. Das ist lange her. Jetzt bin ich Dietmar. Didi für die Kumpels, mit denen ich mich schon seit so langer Zeit betrinke, die ich belausche, deren Namen ich in meinem Kopf notiere, die mich töten werden, wenn sie erfahren, dass da ein Horst in mir gesteckt hat.
Also renne ich die Straße hinunter, die Zukunft im Nacken, die Vergangenheit als Verlust in meinen leeren Händen.
Ich renne neben Eckhard, der bald schon Geschichte sein wird, das müsste ihm gefallen, ihm, der so sehr am Gestern hängt, dem das Gestern vom Kopf und aus den Augen springt, der von seinem Vater geschlagen wurde, der mit einem Zittern aufwuchs, der sich in die Kameradschaft zitterte, der nun nicht mehr zittern will und der deshalb schlägt, damit sein Zittern niemand bemerkt.
Wir stürmen die Straße hinab. Todgeweihte. Ich mitten unter ihnen. Ein Horst im Dietmar. Eine Mogelpackung, einer, der längst nicht mehr sagen kann, was oben und unten ist, der längt nicht mehr sagen kann, wie man den Himmel nun wirklich nennt, der mit Hitler durch den Regen stürzt, mit der Angst im Nacken und einem Massenmörder auf den Lippen, weil er meinte, dies sei der richtige Job für ihn und seinen Karin, denn so eine Ehe kann sich manchmal auch wieder einrenken, das kann wieder werden, auch wenn man das nicht glauben will.
Ich stürme dahin und verliere mich Schritt für Schritt ein Stück mehr.
Ich fürchte es nicht. Der Regen wird mich in die deutsche Kanalisation spülen. Denn dort gehöre ich hin. Und nirgendwo sonst.
Guido Rohm