Krimineller Kaffeesatz

koman_jehova.JPGDass die Autoren von Kriminalromanen über hellseherische Fähigkeiten verfügen, ist nach den Ereignissen von Norwegen ein Faktum und beschäftigt die Weltpresse. Rechtsradikale Massenmörder in egalitären Gesellschaften? Einfach bei den Skandinaviern nachlesen. Hätte man auch früher wissen können, denn immerhin sagen Sjöwall/Wahlöö schon in den frühen Siebzigern die Ermordung eines schwedischen Ministerpräsidenten in den Achtzigern voraus. Ein Zufallsfund der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Krimi und Kaffeesatzlesen“ belegt nun aber Sensationelles: Nicht nur Skandinavier können in die Zukunft blicken – auch Amerikaner verfügen über diese Begabung.

In Victor Komans „Der Jehova-Vertrag“ heißt es auf Seite 13(!): „Ich entsinne mich, wie damals im Jahre’87 die ‚revolutionäre Volksbrigade des Zwölften November’ im siebenundzwanzigsten Stock des südlichen Turmes eine kleine Kernspaltung vornahm. Die gesamte Südseite des Gebäudes brach zusammen und riß auch einen großen Teil des nördlichen Turmes mit sich. (…) Ein Fall von unmittelbarer Grundstücksentwertung.“

Zwei Türme, die zusammenbrechen? Kernspaltung? Kein Zweifel: Koman sieht hier in seinem 1984 erschienenen und kurz vor der Jahrtausendwende spielenden Roman beinahe prophetisch den 11. September 2001 voraus, wobei aus Flugzeugen eine Atombombe wird, aber uns allen ist klar, was gemeint ist. Noch verblüffender: Unmittelbar vor dieser Passage sagt Coman auch die Euro- und Finanzkrise, die galoppierende Geldentwertung voraus, als er der Gemeinschaftswährung „pazifischer Dollar“ bescheinigt, sie habe seit 1992 „sieben Entwertungen und Umwertungen“ durchgemacht. Es ist also anzuraten, schleunigst die Ersparnisse in Sicherheit zu bringen und in solide Werte zu transferieren – aber möglichst keine Immobilien, siehe oben.

Gewiss wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis neue Funde der Arbeitsgemeinschaft „Krimi und Kaffeesatzlesen“ das Phänomen endgültig zementieren können. Soeben liefert mir der Postbote frisch von Joe R.Lansdale den im Golkonda Verlag erschienenen Roman „Gauklersommer“. Ich schaue in die Tristesse des Herbstes, der mir vorgaukelt, ein Sommer zu sein und denke: Jetzt können einem die Burschen sogar schon das Wetter vorhersagen. Erstaunlich. Unheimlich.

dpr

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