Laudatio 2006

Die Verleihung des Glauser für den besten Kriminalroman des vergangenen Jahres war auch heuer in Koblenz wieder der Höhepunkt des „Criminale“ betitelten Autorenauftriebs der „Syndikats“-Gruppe. Kosten und Mühen wurden wie üblich nicht gescheut. So hielt keine Geringere als Nelke Leidengleich die Laudatio auf den Gewinnertitel. Frau Leidengleich, die nicht nur Besitzerin einer Fernsehsendung ist und „auch schreibt“, sondern durch ihren Auftritt als Mordopfer in einem legendären → Internetkrimi (der Name wurde aus Diskretionsgründen leicht abgewandelt) quasi prädestiniert scheint für das kriminelle Wort zur kriminellen Tat der kriminellen Vereinigung. Hier nun exklusiv einige Ausschnitte aus dieser Laudatio.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren. ‚Aber ich lese doch keine Krimis!’ rief ich aus, als mich eine Delegation ihres Vereines bat, hier im schönen Koblenz zu Ihnen zu sprechen. ‚Wir auch nicht’, antwortete der Delegationsleiter, ‚wir schreiben nur welche.’ Und so kommt es nun, dass ich zu Ihnen über etwas spreche, das ich nicht kenne. So etwas nennt man Fernsehen, und wie ich sehe, sind die Kameras auch schon aufgebaut.

Ich besitze auch, es sei eingestanden, überhaupt keinen Fernseher. Aber wenn ich ihn einschalte, dann nur für die kulturell wertvolle Sendung. Und da wollte es nun der Zufall – der Zufall? – dass ich just in jene Sigmund-Freud-Wochen geriet, die der Sender 3Sat jüngst veranstaltete. Da haben sich viele kluge Menschen Gedanken über diesen Erfinder der Psyche gemacht, und ich habe wirklich etwas dabei gelernt. Nämlich das: Sigmund Freud hat Krimis geschrieben, ja, die ganze Psychoanalyse ist ein einziger, gigantischer Whodunit, wie man so sagt. Wir haben zunächst einmal das ICH, das Opfer gewissermaßen, dem das ES Böses will, welches nun aber das ÜBERICH als Vertreter von Recht und Gesetz und Ordnung überhaupt nicht leiden kann.

Später kam, wie das bei Krimis leider nie ausbleibt, noch der Sex dazu (ich nenne nur Wilhelm Reich, das alte Dreckferkel), sowie die Fantasy, für welche Herr C.G. Jung verantwortlich zeichnet. Aber das Grundmuster jedes psychologischen Krimis blieb freudianisch: Hau dem Es auf die Schnauze, bevor du mit einer Neurose das Bett hüten musst.

Wenn ich mir die Liste der für den Glauser in die engere Wahl genommenen Titel anschaue, muss ich sagen: Freud hat auch hier seine Hand im Spiel. Nehmen wir nur „Die Höhle der Löwin“ von Frau Astrid Paprotta. Das ist nur vordergründig ein Großkatzenkrimi. Jene Höhle, von der schon im Titel die Rede ist, kann nichts anderes sein als die Geburtshöhle, der Mutterleib, und wer so löwenähnlich brüllt ist das gequälte ICH, das da gleich durch den Geburtskanal in die böse Welt des ES geschickt werden soll. Frau Paprotta ist übrigens gelernte Psychiaterin, und das ist kein Zufall – Zufall? – nein, das hat sie sogar studiert.

Frühkindliche Beschädigungen sind auch das Thema von Elisabeth Herrmanns sensiblem Debütroman „Das Kindermädchen“. Frau Herrmann ist, wie der Name schon sagt, ein Mädchen, das einmal Kind war. Und das Kindermädchen? Ist das ÜBERICH, diese sowohl schützende als auch reglementierende Instanz, die einem häufig genug auf den Sack geht, gerade wenn man ein Kind oder ein Mädchen ist oder beides, nämlich ein Kindermädchen.

Ein drittes Beispiel: „Blutmond“ von Würth / Kehrer. „Blutmond“, das ist natürlich eine Metapher für den weiblichen Zyklus, der von der Firma OB erfunden wurde, aber auch, wenn ich den Klappentext richtig gelesen habe, eine Metapher für das Sado-Masochistische in uns allen, den freudschen Todestrieb namens Eros Tantalus wie auch die reichsche Sexualverklemmung und die jungschen Archetypen.

Und noch ein Beispiel: „Glennkill“ von Leonie Swann. Freud hat, wie ich gelernt habe, das Tierische in uns zum Reden gebracht. Und auch in „Glennkill“ reden die Tiere. Sollte das Zufall – Zufall? – sein? Mitnichten. Lasset die Tiere zu mir reden, heißt es schon in der Bibel, denn was sie sagen, das geht auf keine Kuhhaut.

Was aber will ich damit sagen? Nun, ich will damit sagen, dass man das Fernsehen nicht in Bausch und Bogen verdammen soll, so lange es uns solche lehrreichen Stunden beschert. Und auch den Krimi möchte ich nicht zur Gänze ignorieren, obwohl ich mich nach wie vor weigere, einen zu lesen. Nicht einmal den diesjährigen Glauser-Gewinner, welchen ich jetzt die Ehre habe aus der unter notarieller Aufsicht gefüllten Lostrommel zu ziehen. Es ist — Frau Astrid Paprotta. Sind Sie da, Frau Paprotta? Bitte alle die Hand heben, die Frau Paprotta sind! Aber glauben Sie bloß nicht, ich lade Sie in meine Sendung ein.“

dpr

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