Garrydisherland scheint aufgeteilt. Der Zürcher Unionsverlag kultiviert in seiner metro-Reihe die Entwicklung des Polizisten Hal Challis, Pulp Master widmet sich dem Ganoven Wyatt. Mit „Schnappschuss“ und „Port Vila Blues“ ist nun der neue Doppelpack erschienen, Gelegenheit, beide Terrains zu erkunden.
Unwegsames Gelände sind beide Fälle nicht. In „Schnappschuss“ hat es Inspector Hal Challis mit dem Mord an einer Psychologin zu tun, einer regelrechten Hinrichtung vor den Augen ihrer kleinen Tochter. Die üblichen Prozesse laufen ab, Zeugenbefragungen, Suche nach dem Tatmotiv, dass es sich bei der Ermordeten um die Schwiegertochter des Polizeichefs handelt, erschwert die Ermittlungen naturgemäß.
Unkonventioneller, weil fernab vom Gut/Böse-Schema kommt „Port Vila Blues“ daher. Wyatt, der Protagonist, ist ein Gangster, seine Widersacher von der „Magnetbohrer-Bande“ sind Polizisten und Richter, die ebenfalls als Gangster agieren. Ein Noir-Musterbeispiel also, Verwischen der Grenzen und Moralvorstellungen. Wyatt hat auf einem seiner Raubzüge ein Schmuckstück erbeutet, das die „Magnetbohrer-Bande“ auf einem der ihren hat mitgehen lassen. Nun jagen die Magnetbohrer Wyatt und Wyatt setzt sich notgedrungen auf Spur der Magnetbohrer.
Das klingt vielleicht nach gegensätzlichen Konzepten, Paralleluniversen, in denen Disher seine Vorstellungen von Wirklichkeit, wie sie der Krimi spiegeln und damit schaffen kann, umsetzt. Hier der nach altbekannten Genreregeln strukturierte Polizeiroman, in dem ein Team Licht ins Dunkel bringt, dort der einsame, außerhalb der Gesetze stehende Einzelgänger, der dieses Licht als eine Variante von Dunkelheit kenntlich macht.
Aber so einfach ist es nun nicht; denn erstaunlicherweise ist es die nach den Krimiregeln geschaffene Welt von „Schnappschuss“, die sich als äußerst fragil erweist, während uns „Port Vila Blues“ durch einen in seiner moralischen Indifferenz erstarrten Kosmos führt. Hal Challis ist ein nur notdürftig zusammengehaltener Charakter: nach außen hin weitgehend beherrscht, nicht selten servil, in sich selbst emotional verkantet, „im Fluss“. Ganz anders Wyatt: unnahbar, berechnend, eine Maske, auch für sich selbst, ein unverrückbarer Monolith in einer Welt, die moralisch längst aus allen Fugen geraten ist.
In „Schnappschuss“ leuchtet diese generelle Fragilität der Charaktere den Text aus. Alle haben ihre Päckchen zu tragen, sind hin und her gerissen, die Guten wie die Bösen. Was in anderen Romanen störend wirkt, das ständige Reflektieren über den Übelstand, in dem sich der oder die Einzelne befindet, wird hier zum Gestaltungsmittel. Alle leiden unter dem Zwang wissen und akzeptieren zu müssen, was gut und böse, richtig und falsch ist. Dagegen wirkt „Port Vila Blues“ wie ein Spaziergang durch eine in Grund und Boden definierte Gefühlswelt, in der für Zweifel und Ungewissheiten kein Platz mehr ist, und in der sich nur zurechtfindet, wer seine Nichtidentität verinnerlicht hat.
Zwei Konzepte also, die sich dort überschneiden, wo sie sich unterscheiden. Das Chaos in der Schablone („Schnappschuss“), die Erstarrung im Entmoralisierten („Port Vila Blues“). Dass beide Krimis als solche prächtig funktionieren und die Lesebedürfnisse auf ihre Art unbedingt befriedigen, sei der Form halber erwähnt. „Schnappschuss“ bedient sich der klassischen Elemente des Detektivkrimis und Whodunit und nähert sich der Auflösung aus verschiedenen Perspektiven. „Port Vila Blues“ ist eine rasante Mischung aus Reisen und Jagen, Agieren und Bedrohtsein. Also: Nicht Challis ODER Wyatt – beide, bitte.
Garry Disher: Schnappschuss. Ein Inspector-Challis-Roman.
Unionsverlag 2006. 380 Seiten. 19,90 €
Garry Disher: Port Vila Blues.
Pulp Master 2006. 280 Seiten. 12,80 €