Letzte Grüße von der Saar

Ha, zu früh gefreut! Der Blogger verabschiedet sich nicht mit einem letzten „bye“, nein, er stellt die erste saarländische Krimi-Anthologie vor, „Letzte Grüße von der Saar“ eben, wo man nicht nur das Savoir Vivre schätzt, sondern auch das Saarvoir Mourir.

Krimi-Anthologien, hm. Dieses kurze Zeug halt, das nicht schwieriger oder einfacher zu schreiben ist als der herkömmliche Ziegelsteinroman, aber anders auf jeden Fall. Was der Roman an Spannung entfaltet, das ersetzt der Kurzkrimi zumeist durch die finale Überraschung oder das Augenzwinkern. Nehme ich bei einem Roman Längen notgedrungen in Kauf und gehe gnädig über sie hinweg, wenn sonst alles stimmt, so kann ich das beim Kurzkrimi nicht durchgehen lassen, denn dort ist selbst die kürzeste Länge schon zu lang und die Geschichte aus, bevor sie überhaupt begonnen hat. Kurzkrimis sind auch keine „kleinen Romane“, die das, was sich dramaturgisch entwickeln soll, eben im Schnelldurchlauf abhaken.

Dies zur Theorie, nun zur Praxis, zur ersten saarländischen Krimi-Anthologie. Herausgegeben wurde sie von Markus Walther, der als Betreiber der Website „saarkrimi.de“ ausgewiesener Fachmann für das Morden zwischen Hochwald und Bliesgau ist. Er versammelt insgesamt 22 Autoren, darunter im Zuge der Entwicklungshilfe auch ein paar Pfälzer, die Crème hiesigen Krimischaffens, versteht sich.

Dass dies nun ein Bändchen mit durchgängig hochklassigen Kurzkrimis ergibt, war nicht zu erwarten, eine solche Anthologie gibt es nirgendwo, nicht mal an der Saar. Insgesamt jedoch kann das Projekt als überraschend gelungen bezeichnet werden. Echte Nieten gibt es nur wenige, der Durchschnitt ist halt Durchschnitt, ein paar Perlen finden sich.

Die Nieten. Wenige, wie gesagt, vor allem Carin Chilvers völlig uninspirierte und lustlos zur „Pointe“ geschriebene Story einer überängstlichen Mutter wäre hier nennen. Oder Thilo Mörgens „Oh leck“ (der Saarländer weiß, was damit gemeint ist), eine leicht verworrene Geschichte, die halt als Krimi enden muss und es auf sehr unbefriedigende Weise tut.

Der Durchschnitt. Nette Sachen, die teilweise über die eingangs genannten Fallstricke stolpern. Karin Mayers „Kanada“ etwa, das ist so ein Kurzkrimi als Stichwortdepot für eine längere Erzählung. Spannung kommt nicht auf, das Ganze hat unbezweifelbar Potential, wirkt in der vorliegenden Form aber eher wie ein ausführliches Exposé. Auch Martin Conrath vermag nicht recht zu überzeugen, wenngleich seine Geschichte hoffnungsvoll beginnt, eigentlich auch eine schöne Pointe hat, die sich aber aus dem Vorangegangenen nicht erschließt und wie drangepappt wirkt. Auch Jochen Senfs „Ei Ei“ hat phasenweise Qualitäten, ist aber in der Summe zu vorhersehbar, zu routiniert vorgetragenes Deklamieren.

Über dem Durchschnitt, wenn auch noch nicht in Perlennähe liegen die Beiträge von Christoph Marzi und Walter Wolter. Ersterer ist wohl eher im SF- und Fantasygenre zu Hause, was man seiner schaurigen Story „Der Aufzug“ auch anmerkt. Krimi? Nun ja. Es gibt Tote und ist nett erzählt. Walter Wolter greift zu dem bei Kurzkrimis häufig zu beobachtenden Trick des „betrogenen Betrügers“ und entfaltet das Schicksal eines bösen Buben, der noch böseren Mädels auf den Leim geht. Hübsch.

Die Perlen. Zwei sind es und sie werden uns, was den Rezensenten nicht überrascht, von →Wolfgang Brenner und →Kerstin Rech präsentiert, deren Romane in diesem Blog ja schon gebührend gelobt worden sind.

Brenner erzählt keinen Krimi, sondern beginnt mit vielleicht wahren, vielleicht erfundenen, immer aber bizarren Anekdoten. Das ist schon sehr schön, doch in der letzten „Anekdote“ verdreht sich das Gemütliche plötzlich ins Grausige, ins historisch belegte Grausige eines „stolzen Mörders“, der unumwunden zugibt, während des Krieges als SS-Offizier 500 Zivilisten an einem Tag erschossen zu haben. Er hat einige Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbracht, seine Strafe mithin erhalten und kann, glaubt er, in Deutschland nicht mehr belangt werden. Wenn er sich da mal nicht täuscht.

Das ist nun auch nicht „Krimi“, aber eine völlig legitime und sehr gelungene Art, sich innerhalb des Genres zu bewegen und die künstlichen Grenzen zur ebenso banalen wie schaurigen Wirklichkeit zu überschreiten.

Die gelungenste Erzählung des Bändchens aber stammt von Kerstin Rech. „Der längste Tag des Bertram Hussong“ schildert uns das, was der Titel verspricht. Ein kleiner Ganove wird plötzlich mit dem großen Verbrechen konfrontiert und gerät, auf einem Bahnsteig des Saarbrücker Hauptbahnhofs, in eine schier ausweglose Situation. Was ihm nun widerfährt, wie er diesen Tag verbringt, das ist die große Überraschung. Völlig anti-Krimi, gegen die dramaturgischen Gesetze des Genres – und genau dadurch spannend.

Fazit: Vor den Leistungsschauen anderer Regionen in Sachen Krimi braucht sich „Letzte Grüße von der Saar“ nicht zu verstecken. Der Band bietet nur wenig Ärgerliches, viel Gefälliges zwischen „Nun ja“ und „Nett“ sowie ein paar echte Glanzlichter, die allein den Kauf lohnen. Nicht nur für Saarländer.

Markus Walther (Hrsg.): Letzte Grüße von der Saar. 
Conte 2007. 244 Seiten. 12,90 €

21 Gedanken zu „Letzte Grüße von der Saar“

  1. das finde ich schön, dass du mal was zu krimikurzgeschichten sagst.

    🙂

    total unterbewertet. kurzgeschichten. aber sie zeigen im kleinen, ob ein autor was draufhat oder nicht.

  2. Zeigen Sie. Gleichzeitig zeigen Sie aber auch, dass gerade Kurzkrimis die gängigen Genrekonventionen hinsichtlich Plot und Dramaturgie nicht guttun. So tragen Werwarskonstrukte immer schon das Scheitern in sich. Kurzkrimis wären somit ein ideales Feld für das gemäßigte Experiment.

    bye
    dpr

  3. Ha! Vielleicht kann ich dich widerlegen. Ich glaube, ich habe ein paar gute Ermittlerkurzkrimis aufgetrieben. 2 von 15.

    *Februar 2008
    **schreibt in Kurzkrimis Suspense

  4. Ja, hast recht, Dschorsch. SIND. Optimaltheoretisch. Alltagspraktisch: WÄREN.
    @Anobellileinchen: Du setzt natürlich alle Gesetze außer Kraft. Aber suspense ist ja nicht werwars.

    bye
    dpr

  5. „total unterbewertet. kurzgeschichten. aber sie zeigen im kleinen, ob ein autor was draufhat oder nicht.“

    Also nach fünfzig Seiten Romanmanuskript finde ich ja, dass Kurzgeschichten BEDEUTEND einfacher zu schreiben sind und dass man vom einen überhaupt nichts aufs andere schließen kann.

  6. klar sind sie einfacher zu schreiben, du kannst sie in einem rutsch runterschreiben und bleibst leicht im gleichen ton.

    aber wenn ich mir zum beispiel so eine reihe wie kaliber 64 von nautilus nehme (bei axel bussmer hatte ich es gerade auch davon, man siehts aber nicht, weil die kommentare in der sidebar fehlen) …

    *nörgelt

    … also das kaliber 64 nehme – das ich wunderbar finde – dann habe ich da doch die möglichkeit, anhand eines 30seiters (grob gerechnet, eine stunde lesezeit jedenfalls) mir als leser ein bild von einem autor zu machen, ohne gleich einen 300-seiter von ihm lesen zu müssen.

    klar kann der auf 30 seiten eine superstory hinhauen und dann geht sein roman trotzdem schief.
    aber ich kriege trotzdem ein b i l d ob mir die ganze art zu schreiben liegt.

  7. Nee, nee, Mister Albertsen hat schon recht. Kurzkrimi sind ANDERS. Und auch nicht mit der KriminalERZÄHLUNG zu verwechseln, wie sie in Kaliber 64 gepflegt wird. Das ist WIEDER ANDERS. Wenn du eine schöne Idee hast, kannst du einen KuKri natürlich runterscheiben, im Gegensatz zu einem LaKri. Der MiKri (zwischen 30 und 80 Seiten, mal übern Daumen) kann ein längerer KuKri(also ein LäKuKri) oder ein kürzerer LaKrimi (also ein KüLaKri) sein. Ganz einfach.

    bye
    dpr

  8. Na gut, anobella, mit dem Bild machen hast du natürlich recht. Wobei es natürlich auch passieren kann, dass man sich nach einer Kurzgeschichte ein prima Bild gemacht hat und sich dieses nach einem Roman zerstören lässt.

    Und bei LaKri, muss ich natürlich kalauern: „Häng doch noch ein TZ dran!“

  9. schön, dass wir die längen hier mal ausdifferenzieren, auch wenn der kollege rudolph versucht, es durch seine mimikri ins lächerliche zu ziehen. ich erwarte eine fundierte crime-school-lesung zu dem thema.

    *schlägt kurzgeschichte, erzählung, novelle und roman vor
    **pocht auf dprs tisch

  10. Mimikri? Meinten Sie „Mimikry“? Das ist ein LaKri von AsPa, aber mitnichten der Versuch, hier irgend etwas ins Lächerliche zu ziehen! Crime School? Pah! Liest ja eh keiner! Faules Volk!

    bye
    dpr
    *morgen in einer Woche in Köln

  11. gehst du in den dom?!

    *möchte endlich einen authentischen eindruck vom richter-fenster hören
    **“kirche, anobella? danke. und kunst … pfui teufel! mein geschmack ist BESSER ALS DAS!“
    ***zieht die krawatte von ludger zu, weil er die crime-school geschwänzt hat

  12. Dom? Da gibts nen Dom? Und da soll ich Fenster gucken? Von innen oder von außen?
    Ja, zieh nur zu. Noch ein bisschen fester und ich mach nen schönen Krimi draus. True crime, „Bloggöd“.

    bye
    dpr

  13. Nochmal zurück zum Wert von Anthologien. Ich mag sie, weil sie mir Gelegenheit geben, mir unbekannte Autoren zu entdecken. Ich weiß, das eine Kurzgeschichte andere Anforderungen an einen Autor stellt als ein Roman. Nichtsdestotrotz, bekomme ich einen Eindruck vom Handwerk eines Autors.
    Es war z.B. die Kurzgeschichte „Goodbye, Pops“, die mich den großartigen Autor Joe Gores entdecken ließ (und von dem es nach langer, langer Zeit wieder einen lieferbaren Roman gibt!). In dieser short story erzählt Gores in einem bemerkenswert dichtem Stil von einem Verbrecher, der ausbricht, um seinen Vater am Sterbebett zu besuchen. Grandios, wie es Gores versteht, mit wenigen tausend Wörtern das Beziehungsgeflecht der Familie zu durchleuchten. Eine Geschichte, die vor allem durch das im Kopf des Lesers zum Leben erweckt wird, was nicht ausgesprochen wird. Sehr empfehlenswert!!!
    Claus

    PS: Das er Figure Crossing mit Donald Westlake betrieben hat, sollte ebenfalls neugierig machen

  14. Das ist zweifellos ein Vorzug von Anthologien, Claus. Auffällig ist dabei aber, dass die beiden von mir gelobten Stories, was Plot und Dramaturgie betrifft, als ROMANE niemals funktionieren würden. Das spricht für die Unterschiede, aber auch dafür, dass Kurzkrimis generell anderen Gesetzen zu folgen haben als längere Texte.
    —Gores, ja! Bei dem lieferbaren Titel handelt es sich um „Hammett“ (oder gar noch ein anderer? Mal gucken), den der Unionsverlag in der metro-Reihe (gleich kommen mir wieder die Tränen) neu veröffentlicht hat. Und den ich momentan revisitiere.

    bye
    dpr

  15. Bei dem angesprochenen Gores-Roman handelt es sich tatsächlich um die Neuauflage von „Hammett“. Gores soll übrigens derzeit an einem zweiten Hammett-Roman schreiben!
    Manchmal gibt es ganz interessante Beziehungen zwischen Kurzgeschichten und Romanen eines Autors. Um bei Joe Gores zu bleiben, es gibt zu „Goodbye, Pops“ noch eine Fortsetzung als Roman („Come Morning, 1986), der 16 Jahre später erschien.
    Die Figuren seiner Dan Kearny Associates- (DKA-) Romane hat Gores zuerst in einer Reihe von Short Stories eingeführt. Manche sagen, dass man die Romane mit größerem Genuss liest, wenn man zuvor die short stories gelesen hat, weil Gores nur sehr dosiert die Figurenzeichnung aus seinen Kurzgeschichten in den Romanen wiederholt.

    Die vor einiger Zeit erschienene und von Ed McBain herausgegebene Anthologie „Die hohe Kunst des Mordens“ enthält eine Reihe von Novellen, in denen ein Autor ein Figur „ausprobiert“ und die vielleicht später ein prequel für eine Serie sein könnte.

    Ich gebe Dir recht, dass einige Kurzgeschichten nur als solche, aber nicht als Roman funktionieren würden, z.B. wenn sie auf eine Pointe hin geschrieben werden. Manchmal ist auch der Plot nicht tragfähig genug, um eine Geschichte über mehrere hundert Seiten zu erzählen. Das entmutigt aber manche Autoren nicht, das Konzept einer Kurzgeschichte durch die Darstellung der persönlichen Probleme z.B. eines Ermittlers auf Romanlänge aufzublähen.

  16. Ja, Claus, Kurzkrimis eignen sich sehr gut, etwas auszuprobieren. Ob nun Personen oder bestimmte Schreibweisen. Besonders nützlich erweist sich die aus der schieren Platzbeschränkung resultierende Notwendigkeit, mit möglichst geringem quantitativen Aufwand eine intendierte Wirkung zu erreichen (ökonomisches Prinzip). Wie du richtig schreibst: „Grandios, wie es Gores versteht, mit wenigen tausend Wörtern das Beziehungsgeflecht der Familie zu durchleuchten.“ Klar; er hatte eben nicht 300 Seiten zur Verfügung, was selbst die Besten manchmal zur Weitschweifigkeit verführt.

    bye
    dpr

  17. um nochmals auf den Anfang zurückzukommen: es war von zwei Perlen in der Anthologie die Rede, ich finde, es gib deren mindestens drei: die Erzählung „Gipfeltour“ von Elke Schwab gehört m.E. auch noch dazu, denn sie hat raffiniert Spannung und Taktik verküpft. Ansonsten zeigen Kurgeschichten neben der Spannung oder dem Überraschungseffekt, dass die Schreibenden in der Lage sind, sich auch in einem anderen Genre als dem Kriminalroman künstlerisch zu entfalten.

  18. Ich gebe zu, dass mich Elke Schwab insofern angenehm überrascht hat, als mir nicht schon gleich nach zwei Sätzen die Augen tränten. Allerdings weiß man relativ schnell, wies wohl enden wird, Überraschung mit Ansage nennt man das. Aber okay. Sie hat sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht schlecht geschlagen. Kein Abstiegsplatz.

    bye
    dpr

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