Joe Gores: Hammett

Joe Gores’ „Hammett“, der Krimi über einen Klassiker des Genres, ist seit seinem Erscheinen 1975 selbst zum Klassiker dieses Genres geworden und die Neuauflage in der metro-Reihe des Unionsverlages entsprechend löblich. Denn hierzulande wurde der Roman öffentlich vor allem als Grundlage eines Films von Wim Wenders wahrgenommen, über dessen chaotisch-desolate Genese Wenders wiederum einen Film („Der Stand der Dinge“) gedreht hat. Das ist, wohl ohne Absicht, putzig, denn „Hammett“ selbst ist – unter anderem – ein Krimi über Krimis.

Müßig, die Story in ihrer Entwicklung nachzuerzählen. Sie spielt im San Francisco des Jahres 1928, ihr Held heißt Dashiell Hammett, ehedem Detektiv bei Pinkerton, jetzt Krimiautor, great things to come: „Rote Ernte“, „Der Fluch des Hauses Dain“, „Der Malteser Falke“. Als ein früherer Kollege, damit beauftragt, das Korruptionsgeflecht in der Stadtverwaltung aufzudecken, ermordet wird, schaltet sich Hammett ein.

Doch genug. Was erwarte ich von einem Kriminalroman, der „Hammett“ heißt? Natürlich Korruption und organisiertes Verbrechen, ein wenig Chinatown, viel Gewalt. Gibt es alles reichlich, wohlportioniert, „atmosphärisch dicht“ (was hier nichts anderes heißt als: wie in den zahlreichen Verfilmungen der Schwarzen Serie). Viel interessanter als die Frage nach dem Inhalt ist jedoch die nach dem Grund, warum Gores nicht, wie etliche vor und nach ihm, einfach einen Nachbrenner des hartgekochten Noir gezündet hat (hätte „John Doe“ heißen können), sondern ganz offensichtlich einen Krimi geschrieben, der – und hier trifft die Plattitüde zu – „mehr“ ist als das. Biografische Skizze, praktische Analyse eines Subgenres, das Ventilieren der alten Problematik von Wirklichkeit und Fiktion.

All das liegt auf der Hand und lässt sich mühelos aus dem Text schaufeln. Gores stützt sich – wie er im beigegebenen Interview exemplarisch vorführt – auf „die biografischen Fakten“, hier und da großzügig gebogen, aus ihrem Zeitrahmen genommen, in einen anderen versetzt. Geht in Ordnung, so schreibt man nun einmal fiktive Geschichten. Und konsequenterweise entspricht der Umgang mit den „Fakten“ dem, den wir bei der Kunstfigur Hammett selbst beobachten können. Es fehlt eine Szene in „Rote Ernte“? Na, da geht Hammett eben mit der flotten Nachbarin zum Boxkampf – und schon findet sich die treffende Anregung.

Das klingt, mit Verlaub, rührend naiv – und Gores weiß das sehr wohl. Es ist ein Spiel ohne Regeln und endgültiges Ergebnis, das er hier mit uns spielt. Es beginnt mit einer großen Leserdüpierung, der nämlich, uns vorzugaukeln, etwas über den Autor Dashiell Hammett zu erfahren, darüber auch, wie der sich sein Material aus der Wirklichkeit geholt hat, um es zu Literatur zu machen. Aber dieser „Hammett“ in Anführungszeichen lebt ja selbst in der Literatur. Er ist selbst Kunstfigur, so wie jeder Autor während des literarischen Schöpfungsprozesses Kunstfigur im Roman Wirklichkeit ist.

Somit schreibt Gores über eine Kunstfigur, die einen Roman schreibt, einen Roman. Normalerweise berücksichtigen wir lediglich zwei dieser Ebenen, die erste (den Autor) und die letzte (sein Werk) und vermuten dazwischen ein Etwas namens „kreativer Prozess“. Genau der wird in „Hammett“ durch die beiden Zwischenebenen „fiktiver Autor“ / „fiktiver Text“ abgedeckt. In diesem Prozess ist der Autor kein biografisch zu fassendes Subjekt, sondern Protagonist eines Gedankenspiels.

Was so entsteht, ist also mitnichten ein Kriminalroman im Stile Hammetts, der einen Protagonisten wie sein fiktives Abbild selbst wohl nicht als Ermittler genommen hätte. Gores „Hammett“ ist viel mehr ein profundes Stück zum Wesen der Literatur im Allgemeinen und des Hardboiled im Besonderen (und das Beste: Auch wem das schnuppe ist, hat etwas davon).

Clou ist dabei, dass wir dieses Modell selbst verallgemeinern können. Etwa so: Hammett schreibt über sein fiktives Ich, das einen Roman schreibt, einen Roman. Wir Leser aber wissen nur, dass Hammett einen Roman geschrieben hat und jeder Versuch, von diesem Roman auf seinen Urheber zu schließen (oder vice versa), scheitert daran, dass wir die Zwischenwelt nicht kennen.

Es ist kein Zufall, dass wir nicht nur viele Motive aus Hammetts Romanen und Erzählungen bei Gores wiederfinden, nein, auch Meisterschüler Raymond Chandler ist – von „High Window“ bis „Long Goodbye“ – motivisch zu identifizieren. Fast sämtliche Topoi des Hardboiled-Kosmos werden so vor uns ausgebreitet, von problematischer Freundschaft über unweigerlich beschmutzte Unschuld bis zur allgegenwärtigen Korruption. Und ist Gores Held, recht überlegt, nicht sowieso eher eine Chandler- als eine Hammett-Figur?

„Hammett“ erzählt die Geschichte einer Weltanschauung , aus der heraus einer der großen Paradigmenwechsel der Kriminalliteratur initiiert werden konnte. Die Welt ist nicht das, was wir sehen, sie ist das, was wir im kreativen Prozess ihrer Verdichtung und Reduzierung erleiden.

Beinahe jede Person, jede Szene in „Hammett“ verdeutlicht diese Bild von der Welt, diesen „Roman Wirklichkeit“, der die Meisterwerke des Hardboiled und des Noir hervorgebracht hat. Dass der Mensch von Natur aus korrumpierbar ist und genau das der Leim, der die Welt zusammenhält, wird besonders im Hauptstrang des Romans zur Maxime erhoben, wenn ein exemplarisches Opfer zur exemplarischen Täterin wird. An ihr scheitert Hammett, der Detektiv. So wie Hammett, der Autor, die Wirklichkeit erst erfinden musste, um sie zu finden.

Joe Gores: Hammett.
Unionsverlag (metro) 2007
(Original: „Hammett“, 1975, deutsch von Friedrich A. Hofschuster).
320 Seiten. 9,90 €

3 Gedanken zu „Joe Gores: Hammett“

  1. Das, mein Lieber,
    hast Du sehr trefflich gesagt! Fein!
    Wer den Film von Wenders anschaut, findet gegen Ende ein Tableau, in das Ross Thomas (der den Film für F.F. Coppola gerettet hat so gut es ging …)alle beteiligten Autoren auftreten, resp. sitzen lässt – u.a. himself und Joe Gores.
    Das aber nur nebenbei …. Best, as ever yours
    TW

  2. Es gibt ein schönes Zitat von Jean-Patrick Manchette zu Joe Gores „Hammett“:

    „Wenn ihr den ganzen Hammett und den ganzen Chandler gelesen habt (oder gelesen haben werdet), könnt ihr mit Hammett von Joe Gores (Super noire Nr. 57) eine Pause einlegen, der erzählt, wie Hammett, Ex-Privatdetektiv (das ist wahr), die Arbeit wieder aufnimmt (das ist Fiktion, Jungs), während er gleichzeitig an seine Werke denkt, so gegen 1927-1928. Joe Gores weiß eine Menge über Hammett und hat fast alles verstanden, was er weiß, was man nicht von jedem sagen kann. Obwohl Hammett von Joe Gores ein Buch über Hammett ist, folgt daraus nicht, daß Chandler – ein schöner illustrierter Thriller von Steranko, der, bis ihr dies lest, zweifellos bereits in Frankreich erschienen sein wird – ein Buch über Chandler ist. Dennoch enthält Chandler, das kein Buch über Chandler ist, ein Vorwort von Joe Gores, dem Autor von Hammett, das ein Buch über Hammett ist. Verstehe, wer wolle. All das ist verdammt à la Borges.“
    (Zitat aus Jean-Patrick Manchette: Chroniques. Essays zum Roman noir. DistelLiteraturVerlag, Heilbronn 2005)

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