Keine Ausrede!

Man kennt das. Soeben hat der Kritiker den Krimi böse zerfleddert und, conclusio, den Daumen Richtung Hölle (oder wenigstens Fegefeuer) gesenkt. Aber das Ding war doch gar nicht so schlecht!? Warum hat der Kritiker denn nicht berücksichtigt, dass…Gewiss: Auch der Kritiker muss mit der Kritik an seiner Arbeit leben. Einige Argumente jedoch gelten nicht. Eine kleine Auswahl…

1. Das Buch gehört zu einer Serie. Die kennt der Kritiker nicht oder hat sie nicht berücksichtigt. Also ist seine Kritik unseriös.

Nein! Wohl ist es wahr, dass sich Serien im Krimigenre größter Beliebtheit erfreuen, was am höheren Grad der „Identifikationsmöglichkeiten“ des Lesers mit den Protagonisten liegen mag und völlig legitim ist. Ein Buch jedoch ist ein Buch. Wenn es nur als Teil einer Reihe von Büchern beurteilt werden kann, d.h. wenn benötigte Informationen zu Buch B leider in Buch A stehen, dann hat der Autor etwas falsch gemacht. Es geht auch anders, wie etwa die Dalziel / Pascoe – Reihe von Reginald Hill beweist. Auch wenn ich mittendrin anfange, gibt mir Hill alle Informationen, die ich benötige. Also: Wenn Buch B nicht ohne Buch A zu lesen ist, dann verkauft die beiden bitte nur gemeinsam! Oder setzt einen entsprechenden Warnhinweis aufs Cover. Dann lese ich erst gar nicht.

2. Die Geschmäcker sind verschieden!

Nein! Dass auch Kritiker sich von „Geschmack“ leiten lassen, ist ja unbestritten. BEGRÜNDETER Geschmack jedoch wird zum URTEIL. Beispiel: Ich mag den allenthalben geschätzten Ian Rankin nicht sonderlich. Er spricht „meinen Geschmack“ nicht an. Ich könnte das aber nicht begründen, erlaube mir also kein Urteil und mache Rankin daher nicht zum Gegenstand meiner Kritik. Ich will auch die Leser nicht von meinem Geschmack überzeugen, sondern ihnen eine möglichst fundierte und nachvollziehbare Analyse des Buches bieten.

3. Machs doch erst mal besser!

Der Klassiker unter den irrwitzigen Einwänden. Man kann nur beurteilen, was man selbst beherrscht. Bedeutet also: Kritisiere nie, dass die Suppe versalzen ist, wenn du selbst keine kochen kannst. Crazy.

4. Der Kritiker gehört doch gar nicht zur Zielgruppe!

Okay, sehe ich ein. Es gibt unbezweifelbar eine Zielgruppe „Schrottleser“, zu der kein Kritiker gerne gehört. Aber es geht hier nicht um den Anspruch der Leserschaft, sondern um den des Buches. Ein Krimi, der mit dem Aufkleber „Dieses Buch kümmert sich einen Scheiß um Sprache und Dramaturgie, weil sich auch seine Zielgruppe einen Scheiß darum kümmert“ daherkommt, wird von mir nicht besprochen. Ebenso wenig ein Krimi mit dem Aufkleber „Nur für Oberstudienräte, die es nach Feierabend mal so richtig krachen lassen wollen“. Alle anderen Krimis, also die OHNE solche Aufkleber, wenden sich an die Zielgruppe „Sämtliche KrimileserInnen“, zu der auch der Kritiker gehört.

5. Aber der will doch nur unterhalten! Der hat doch keine literarischen Ambitionen!

Erinnert an das bekannte „Der beißt nicht, der will doch nur spielen.“ Schön. Keine literarischen Ambitionen zu haben, ist allerdings kein Freibrief, schlechtes Deutsch zu schreiben. Gut unterhalten zu wollen, entbindet keineswegs von der Verpflichtung, einen sauberen Plot zu entwickeln. Die allermeisten der deutschsprachigen Krimis aber wollen eben nicht nur unterhalten. Sie bieten Einblicke in die Psyche oder geben sich als „Gesellschaftsromane“ aus. Wunderbar. Dann aber ist der Kritiker verpflichtet, sein gesamtes Besteck auszupacken.

6. Ist doch nur Krimi, ist doch nicht die Wirklichkeit.

Oho! Nichts könnte falscher sein! Jeder Text erschafft eine Welt, also auch eine Wirklichkeit, die Schnittmengen zu anderen Wirklichkeiten aufweist. Wenn mir also jemand dumm über Arbeitslose, Asylbewerber, Unternehmer, Fußballprofis oder sonstwas daherredet, kann er sich nicht mit dem Argument herausreden, alles sei doch nur „Fiktion“. Nichts ist allerdings dagegen einzuwenden, wenn eine FIGUR dumm über Arbeitslose, Asylbewerber etc. daherredet. Das nennt man Rollenprosa, das ist sogar erwünscht, das ist Wirklichkeit.

Aber keine Sorge: Es gibt viele gute Argumente, eine Rezension negativ zu kritisieren. Etwa wenn der Rezensent sein Urteil nicht begründet. Wenn er nur „Fan“ ist und alles „ganz supi“ findet. Oder eben keiner ist und lediglich seine Geschmacksparameter wiedergibt. Oder wenn er nicht weiß, was Rollenprosa ist. Oder…

5 Gedanken zu „Keine Ausrede!“

  1. Mein schönstes Erlebnis in puncto Kritikerschelte in letzter Zeit ging so: Ich sah mich genötigt meine erste Amazon-Rezension zu schreiben, um vor einem wirklichen Desaster von Buch zu warnen – das zufälligerweise im Saarland spielt -, woraufhin der Ehemann(!) der Autorin sich genötigt fühlte, diesen kurzen Eintrag mit: „Du bist echt frustriert, Mann!“ zu kommentieren. Nach solchen Machwerken schon…

  2. Ach, ist das schön, Jochen! Noch schöner finde ich ja, dass die beiden 5-Sterne-Rezensenten entweder voneinander abgeschrieben haben oder eine Person sind. Das zur „Credibility“ von Amazon-„Rezensionen“. Und um →dieses Werklein gehts (hab auch nur zehn Seiten geschafft).

    bye
    dpr

  3. Bericht aus der Redaktion:

    dpr hat es mittlerweile geschafft und für jeden Kommentar der im Verlauf der Zeit bei wtd abgegeben worden ist, zwar nicht einen Euro springen lassen, aber höchstselbst einen ml Saarsekt zu trinken.

    Soweit die versammelte Menschschaft ihn verstanden zu haben meint, forderte er Bernd auf, seine Verbindungen nach Passau spielen zu lassen, um den „Top 500 Rezensent“ für wtd zu gewinnen.

    Besagter Bernd wird wohl auch seine Verbindungen zur Apotheke spielen lassen müssen.

  4. Äh, isswas? Mir ist so schlecht…der Sekt schmeckt wie Nagellackverdünner…ach so, das war…könntest du mal in die Apotheke laufen und mir zwanzig Aspirin besorgen, Bernd? Danke…

    bye
    dpr

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