Andreas Laudan: Pharmakos

Die Menschen arbeiten nur noch zwei Stunden die Woche, bei vollem Lohnausgleich, versteht sich. Den Rest machen Roboter. Deutschland ist Abonnements-Fußballweltmeister, und am Wochenende erholen wir uns auf den Marskolonien. – So etwa hätte eine Zukunftsvision auf das Jahr 2009 in den Fünfziger Jahren aussehen können. Man führt Entwicklungen einfach linear fort, rechnet sie hoch. Dagegen lässt sich nichts einwenden, außer vielleicht, dass eh alles anders kommt, als man es sich zusammengereimt hat. Hoffen wir das auch von der wirren Vision des Andreas Laudan.

Und die geht so: Deutschland 2019. Der soziale Konflikt zwischen den Besitzern und Nichtbesitzern von Arbeitsplätzen hat sich verschärft. Man schimpft nicht mehr nur auf die Schmarotzer, man schlägt sie auch, pfercht sie in Ghettos zusammen, behandelt sie wie Aussätzige. Wer krank wird und dies – z.B. durch Rauchen – „selbst verschuldet“ hat, wird gnadenlos aus der Solidargemeinschaft verstoßen. Ist jemand arbeitslos UND krank – nimmt sich eine neue Form der Euthanasie seiner an. So ergeht es auch Volker Kühn, dem Protagonisten in „Pharmakos“.

Arbeitslos und an Kehlkopfkrebs erkrankt, wird ihm im Hospital ein langsam wirkendes Gift verabreicht. In ein paar Stunden ist alles vorbei. Doch der Held weiß, was dahintersteckt, sein Bettnachbar hat es ihm erzählt, bevor er selbst krepiert ist. Also flieht Kühn aus der Klinik und macht sich, zunächst ohne Geld, auf nach Hamburg, wo die Drahtzieher der Aktion sitzen. Sie haben auch das Gegengift…

Tja. Was nun folgt, ist so ziemlich das Deprimierendste, was ich in diesem Jahr an sogenannter Kriminal“literatur“ gelesen habe. Eine ununterbrochene Abfolge von „Action“, Verfolgungsjagden, Prügeleien, Schießereien, in einer stilistischen Manier verfasst, die Schreiber von Jerry-Cotton-Heftchen sehr rasch um ihren Job bringen würde. Dramaturgie? Fehlanzeige. Spannung? Ach wo. Irgendwelche tiefergehenden gedanklichen Konsequenzen? Keine. Ungereimtheiten? Massenhaft. Der Autor nimmt sich, was er gerade braucht: eine hilfreiche Journalistin, ein paar Idioten, die die These von der „sozialen Kälte“ belegen sollen, etliche Finsterlinge… Am Ende ist alles wieder in Ordnung, ja mehr noch. Nicht nur das Gegengift wird erfolgreich geschluckt, auch der Kehlkopfkrebs hat sich auf wundersame Art verflüchtigt, und die Journalistin ist so nett, dass für Volker Kühn neues Liebesglück winkt. Überhaupt: Alles wird gut. Das Volk, doch eigentlich in Pogromstimmung, ist empört ob solcher Missetaten, der Bundeskanzler verspricht Verklärung etc.

Wenns nicht so traurig wäre, man könnte nur lachen. Ein Autor hat aus dem wenig originellen Anflug einer Idee nichts weiter gemacht als ein biederes, zu jedem Zeitpunkt vorhersehbares Stückchen Actionreißer, nichts wird erhellt, nichts differenziert, das Personal ist so leblos wie alles in diesem Roman, das Ende ein schlechter Witz. Und der Verlag – doch, es ist tatsächlich dtv, bei dem auch Leute wie John Harvey und Iain McDowell verlegt werden – hat das alles durchgewunken, das Lektorat keine Einwände gehabt gegen diesen sprachlich ärmlichen, thematisch unglaublich verlogenen Schmonzes. Und das Publikum? Ist hoffentlich etwas schlauer.

Andreas Laudan: Pharmakos. 
Dtv 2009. 254 Seiten. 8,95 €

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