Noch ein Buch, an dessen Beispiel man sich trefflich über Sinn und Unsinn des Krimi-Begriffes und seiner dramaturgischen Agenda streiten könnte. Claudia Piñero, seit „Ganz die Deine“ auch hierzulande mit einem guten Ruf, erzählt in „Die Donnerstagswitwen“ die Geschichte dreier Leichen in einem Swimmingpool und vieler Scheintoter in einer Luxussiedlung am Rande von Buenos Aires. Was sie uns da berichtet, ist nicht überraschend. Doch wie sie das macht, besitzt Raffinesse.
Von zahlreicher Security und sicheren Zäunen bewacht, leben die Reichen in Altos de la Cascada auf der Sonnenseite des Lebens. Man vergnügt sich auf akkurat gezirkelten Golfplätzen, stimmt die Farbe der Blumen akribisch aufeinander ab, schließt Freundschaften und fürchtet sich in trauter Gemeinsamkeit vor der brutalen Welt da draußen vor der Toren. Die Geschichte spielt um die Jahrtausendwende, Argentinien wird von einer Wirtschafts- und Finanzkrise größten Ausmaßes erschüttert, erste Anzeichen von Erosion werden auch im künstlichen Paradies der Auserwählten sichtbar. Virginias Mann Ronie etwa ist schon arbeitslos geworden, also muss seine Frau Virginia das Familienbudget als Maklerin in Altos de la Cascada verdienen. Aus ihrer Sicht wird ein großer Teil der Handlung reportiert, die mit dem Auffinden der drei Leichen im Swimmingpool anhebt. Jeden Donnerstag trafen sich dort einige Männer, ein Herrenabend, die dazugehörigen Frauen fristeten in dieser Zeit das Strohwitwendasein, doch jetzt hat der Begriff „Donnerstagswitwen“ eine andere, eine schreckliche Bedeutung. Nur Ronie ist, weil er die Gesellschaft früher als gewöhnlich verlassen hat, dem Tod entgangen.
Die andere Hälfte der Ereignisse wird quasi von der Siedlung selbst erzählt, einem nicht zu ortenden „Wir“. Abweichend von den üblichen Mustern des Genres geht es dabei nicht um die Aufklärung der Todesfälle, vielmehr lernen wir die Bewohner und ihre Obsessionen kennen, ihren Kampf um das selige Losgelöstsein von dem widrigen Umständen da draußen und die allmähliche Erkenntnis, dass diese Umstände einen doch mit in den Abgrund reißen können. Das alles ist sehr gekonnt komponiert, eine Symphonie aus privaten und beruflichen Desastern, aus wenigen Gesten der Auflehnung und vielen der Resignation, der Hilflosigkeit. Was man etwas vermisst, ist die Widersprüchlichkeit des Personals. Alle agieren so, wie man es von ihnen erwartet, sie sind Teil eines Gemäldes und nur in diesem plausibel. Das ändert nicht daran, dass „Die Donnerstagswitwen“ als Soziogramm durchaus überzeugt.
Interessanter ist jedoch der Spannungsaufbau. Alles was im Verlauf der erzählten Zeit – mehrere Jahre – geschieht, setzt sich im Gedächtnis des Lesers mit den drei Toten im Pool in Verbindung, ohne dass seine Neugierde, was denn hier eigentlich passiert ist, befriedigt würde. Man braucht einen langen Atem, bis sich der Fall am Ende ebenso überraschend wie folgerichtig auflöst. Das ist sehr gekonnt gemacht und zeigt, wieder einmal, dass Spannung nichts mit Ermittlungen zu tun haben muss und die Auflösung gelegentlich aus dem Lauf der Dinge selbst erfolgt und nicht unbedingt der logischen Deduktion bedarf. Sehr schön.
dpr
Claudia Piñero: Die Donnerstagswitwen.
Unionsverlag 2010
(Las Viudas de los Jueves. 2005. Deutsch von Peter Kultzen).
310 Seiten. 19,90 €