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8 Die Pfauenfeder

Heute muss ich durchhalten, darf nicht einschlafen. Gesine hat sich ein paar Tage frei genommen - "regenerieren; meine Haut ist ganz grau.". Tatsächlich sieht sie abgezehrt aus.

Einen Happen Frühstücksfernsehen gönne ich mir; doch als das allfällige "WM Kompakt" droht, wird abgeschaltet. Psychologisch bedenklich mag es ja sein, daß ich jetzt nicht einmal mehr in der Lage bin, mir Fußballspiele anzuschauen, deren Verlauf mich nicht überraschen kann. Liebe ich das Resultat um des Resultates willen? Wenn ja: warum?

Gegen die gewohnheitsmäßig einsetzende Müdigkeit hilft Musik der härteren Gangart. Erfreulicherweise bringt mir die mit den Aufräumarbeiten in meiner Wohnung voll beschäftigte Praktikantin kurz vor neun einen weiteren Stapel CDs.

"Ich hab ma nach meinem Geschmack ausgesucht. Sie ham ja auch Punk! Hut ab!"

Mädchen, Mädchen! Als der Punk abging, war ich Anfang zwanzig! Sie überbringt mir die redaktionelle Nachricht, man respektiere zwar meinen Krankenstand, sei aber nicht der Meinung, er berechtige zu totaler Faulheit.

"Ebbes Fötonistisches halt." schlägt das brave Kind im Leinenhosenanzug vor. "Machen Sie doch was darüber, warum Punk auch für ältere Menschen gut sein kann."

Ich bin versucht, sie mit einem gezielten Traubensaftflaschenwurf in den Praktikantinnenhimmel zu befördern und damit gleich zwei Ärgernisse aus der Welt zu schaffen. Ist aber was dran. "Punk und Alter". Clash hören und Gedanken in den Laptop tippen. Nach zwei Seiten weiss ich immer noch nicht, wos denn hingehen soll und lösche den Schmand. Bis zum Mittagessen habe ich es wenigstens schlaflos geschafft.

Die Frau mit dem Hauch von feuchten Stoffen am Leib kommt zum Nachtisch. Dass es gestern nacht kühl war, ist historisch geworden, irrational und nicht mehr nachzuvollziehen. Die Frau mit dem Hauch von feuchten Stoffen am Leib kniet auf der Bettkante, stützt sich mit der Linken zwischen den Gipspipelines ab und legt mir die Rechte vor die Augen. Blind rieche ich ihren Atem, rieche ihren Schweiss und schmecke ihn dann. Ihre Zunge zählt meine Zähne, ihre Linke stellt sich wie eine gereizte Klapperschlange auf, schießt vor und schnappt die Beute. Die Frau mit dem Hauch von feuchten Stoffen am Leib tut Dinge, die Schwester Benedikta einen Märtyrertod bescheren würden. Der Mann mit den zwei Zungen im Mund und der heissgeriebenen Vorhaut tut Dinge, die die Frau mit dem Hauch von klitschnassen Kleidern auf dem Fußboden zu einer Weltvergesserin machen. Und weil beide solche Dinge tun, stöhnen sie auch beide ein längliches O, als es vorbei ist. Wieder eine Viertelstunde ohne einzuschlafen überstanden.

"Müde?" Petra schlüpft in Rock und T-shirt. "Oder einfach nur erschöpft? Darf man hier rauchen?"

"Untersteh dich!"

"Du rauchst doch auch! Wozu bring ich dir sonst Zigaretten mit?"

"Nur nachts. Am Fenster."

"Und wie kommst du dort hin?"

Das Gespräch nimmt eine gefährliche Wendung und mein nach getaner Arbeit nur ungenügend zu kontrollierendes Gesicht verrät zu viel.

"WIE heisst doch gleich noch mal diese Ärztin?"

"Gesine?"

"Gesine? Schiebt die dich - und dann?"

"Rauchen wir."

Nichts sei dir zuwiderer als ein eifersüchtig Weib. Sie fährt sich mit den Krallen durchs Haar, entblößt ihre von Ärger zergrabene Stirn und schleudert mir die Hand verfluchend entgegen, so dass, führen Blitze aus den Fingern, solches nicht überraschend wäre.

"Bleib vernünftig und sachlich." mahne ich. "Stell dich ans Fenster und rauch für mich mit. Dann erzähl ich dir etwas."

Sie gehorcht, wenn auch ungern. - Und pafft das Ding in zwei Minuten bis zum Filter!

"So. Schwätz."

"Am 12. Juli -" setze ich an.

" - ist das WM-Finale in Paris." ergänzt sie vorlaut.

"Gemach. Am 12. Juli tagt im Konferenzzimmer des Maienhotels die Spitze unserer derzeit stimmenstärksten Partei!"

"Ach!"

"Wusstest du das nicht? Kein Wunder. Die Herrschaften legen ausnahmsweise mal keinen Wert auf Öffentlichkeit. Es geht - summa - darum, den alten Vorsitzenden zugunsten eines neuen abzusägen."

"Ich tipp mal: Egbert."

"Egbert. Kannst du dir den Job besorgen?"

Petra schiebt Unter- über Oberlippe. "Wie ich das sehe, gibt es überhaupt keinen Job. Am 12. Juli brauchen wir sämtliche Teams für die WM-Berichterstattung. Reaktionen aufs Finale, du kennst ja den Mist. Wenn Italiener oder Franzosen oder alle beide ins Endspiel kommen, sind wir den ganzen Tag vor Ort und filmen später, wie sie sich aus Freude oder Enttäuschung besaufen, hupend durch die Straßen fahren und Fahnen schwenken. Frag mich nicht, was los ist, wenns die Deutschen schaffen sollten. Also die Jungs sind schon clever, ihre Revolution am 12. zu machen, damits keiner mitkriegt."

"Keine Chance, doch dort aufzukreuzen? Du allein. Ne kleine Kamera im Anschlag."

"Zieh den ganz kurzen Rock an. Und koch unaufgefordert Kaffee. Dann klappts. Aber was bringt es mir?"

Ich beginne zu flüstern, sie drückt mir ihren Kopf auf die Nase. "Fünf Schlafzimmer, ja? Kein Puff. Aber in einem Bett kams doch zum Akt. Und davon existieren Fotos. Ein nackter Hintern mit einer Pfauenfeder drin. Und zu wem gehört der nackte Hintern?"

Sie richtet sich auf und schnappt nach Luft. "Egbert? Und hat mit dieser alten Schachtel...? Und du hast die Fotos? Zeig her!"

"Egbert. Und ich habe die Fotos. Aber natürlich nicht hier. Um die geht’s auch gar nicht. Es geht um das, was sie auslösen werden."

"Und ich muss unbedingt zu diesem Dingsda, dem Treffen von denen? Was wird dort passieren?"

"Richte deine Kamera immer nur auf Egbert. Egbert, Egbert, Egbert. Vor allem, wenn er seine Rede hält. Es wird etwas geschehen, und danach - adieu Kaffeemaschine."

"Und wenn die mich nicht reinlassen? Wo doch im Stillen getagt werden soll."

"Sie werden. Ich sorge dafür."

Sie überlegt. "Ich muss die Fotos sehen. Vorher."

"Traust du mir nicht?"

"Nein."

"Musst du aber. Das Ganze, mein Liebling, wird medial perfekt inszeniert. Du bekommst Bilder, wie gemacht für die Tagesschau. Und jetzt geh. Zieh dir den kürzesten Rock an, koch den stärksten Kaffee."

 

Egbert Karl-Olaf Horst Gesine Krund Petra Malter
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