Joe Strummer – The Future is unwritten

Egal wie man zu U2-Star Bono steht, in „Joe Strummer – The Future is unwritten’ sagt er einen Satz, den man ihm voll und ganz abnehmen muss: „Was mich an The Clash wirklich anpisst, ist die Tatsache, dass es diese phantastische Band nicht mehr gibt.“

1985 löste sich die Gruppe auf, eine Reunion ist bekanntermaßen ausgeschlossen: Joe Strummer, Sänger und Gitarrist der Band, starb 2002. Einen Tag vor Heiligabend, an einem angeborenen Herzfehler. Der 50-Jährige saß auf dem Sofa und las den „Observer“. Julien Temples Film „The Future is unwritten“ setzt ihm ein Denkmal. Und was für eines: It´s a hell of a film.

In atemberaubenden Tempo montiert der Regisseur („The Great Rock And Roll Swindle“, „Absolute Beginners“) und Freund Joe Strummers Archivaufnahmen mit Interviews mit Weggefährten und virtuos eingestreuten Ausschnitten anderer Spielfilme. One, two, three, four! – und ab geht´s. Chronologisch erzählt er das Leben des John Mellor, der sich später Joe Strummer nannte (weil, wie er kokett zugibt, seine Gitarrenkünste beschränkt waren und er nur alle sechs Saiten gleichzeitig anschlagen konnte). Ein Sohn eines britischen Diplomaten, geboren in der Türkei, der als Kind im Iran, in Ägypten, Malawi, Mexiko und kurze Zeit sogar in Bonn lebt. Dessen älterer Bruder sich mit einer Überdosis Pillen das Leben nimmt. Der nach dem Besuch einer Privatschule (wofür er sich später als einer der Gründerväter des Punk immer schämte) beschließt, auf die Kunsthochschule zu gehen, weil das der einzig angemessene Ort für „Simulanten, Angeber und Arbeitsscheue“ sei. Dort fliegt er allerdings relativ bald wieder raus, weil er für eines seiner Kunstwerke gebrauchte Tampons benutzt. Doch wie etliche andere britische Kunsthochschüler findet auch er ein neues Betätigungsfeld in der Musik: Er wird Sänger und Gitarrist einer Rockband, die sich Mitte der 70er in London lokale Berühmtheit erspielt: The 101-ers, benannt nach der Hausnummer des besetzten Hauses, in der Woody lebt – so nennt sich Strummer zu dieser Zeit. Seine Haare sind lang und seine Band spielt eine etwas eigenartige Form von Bluesrock.

Die vielleicht spannendsten Momente hat dieser unglaublich spannende Film, wenn Julien Temple – wieder mit teilweise wilden Montagen – erzählt, wie aus dem Hippie und Hausbesetzer-Kommunarden im Laufe des Jahres 1976 der Frontman einer der berühmtesten englischen Punk-Bands wird. Von außen betrachtet ist der Übergang hart und klar: kurze Haare, andere Klamotten, neue Freunde und sogar ein neuer Name (den er sich allerdings bereits kurz vor der Clash-Gründung zulegt). Aus Woody ist Joe Strummer geworden, und der lebt seine neue Rolle so fanatisch, dass er die alten Hippie-Freunde noch nicht mal grüßt, wenn er ihnen zufällig begegnet.

Aber die Äußerlichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Protagonisten – nicht nur die Band, sondern auch die Zeitgenossen – offenbar keinen blassen Schimmer haben, was der Zeitgeist mit ihnen vorhat. In den alten Aufnahmen staksen die vier Clash-Mitglieder seltsam entrückt durchs Bild (was vermutlich ausnahmsweise mal nicht an den Drogen liegt): Vier junge Männer suchen sich selbst, zu einer Zeit, als die ganze Welt nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Oder um es mit den Worten Bonos zu sagen (der in diesem Film erstaunlicherweise viel Vernünftiges erzählt): „1976/1977 stand die Welt für einen Augenblick still, und alles veränderte sich … Plötzlich war es wichtiger eine Idee zu haben, als einen Rolls Royce in den Swimming Pool zu fahren. Die Rockmusiker damals waren wie griechische Götter.

Dann kommt Punkrock und machte auch damit Schluss. Eine Musikszene, eine Stadt, ein Land, die ganze Welt an der Schwelle einer Zeitenwende – Temples Film fängt das ein, was man nichts weniger als das Ende von 68 nennen muss.

Was folgt, ist zu schön, um wahr zu sein – ist aber tatsächlich passiert. Vier Jungs erobern die Welt. Erst Großbritannien, dann die USA, dann den Rest. Mit Wut, Leidenschaft und schönen Melodien. Und dem Punkrock-Ethos, das da heißt: Du kannst es. Du bist, was zählt. Tu, was du willst. Tu das, was richtig ist. Hab Spaß dabei.


Es sind herrliche Szenen, die Julien Temple uns von den besten Clash-Jahren Ende der 70er und Anfang der 80er zeigt: entfesselte Live-Konzerte, Band-Pöbeleien gegen Journalisten, Angry Young Men im Kampf gegen das Establishment und den schlechten Geschmack.

Aber wie in jedem guten Drama folgt auch im Leben der Clash die Krise: zu viel Geld, zu viel Ruhm, zu viele Drogen. „Wir sind das geworden, was wir zerstören wollten, als wir anfingen.“ Die Band zerfleischt sich, Strummer glaubt, er kann den Laden zusammenhalten, aber er scheitert.

So wie die Anfänge des Punk die spannendsten Momente des Films ausmachen, liefert Joe Strummers Leben nach The Clash die emotional bewegendsten Bilder und Sätze. Obwohl er jetzt Familienvater ist und zwei Töchter hat, ist Strummer von Harmonie und innerem Frieden so weit entfernt wie Green Day von echtem Punkrock. Er macht Filmmusik, versucht sich als Schauspieler.

Gerade als er sich vornimmt, seine Trinkgewohnheiten zu ändern, machen ihm die Pogues das Angebot, auf deren Tour die Rhythmusgitarre zu spielen. Strummer driftet durchs Leben, „Häuptling Donnerwolke“ nennt ihn eine befreundete Regisseurin, „weil er immer in dieser Düsternis lebte“.

Erst die Musik bringt ihn wieder dahin, wo das Leben schön ist. Er befasst sich mit Raves, mit Techno, mit Weltmusik, moderiert eine Musiksendung beim World Service des britschen Radiosenders BBC – und er gründet Joe Strummer & The Mescaleros. Er sucht die Nähe zu alten Freunden, bekennt sich dazu, im Grunde doch ein Hippie zu sein, veranstaltet regelmäßige Treffen, bei denen alle ums Lagerfeuer sitzen, reden, musizieren, singen. Das klingt klischeehaft und peinlich, aber die Intensität der Bilder und Interviews im Film verdrängen jeden Zweifel an der geradezu altmodisch wirkenden Aufrichtigkeit des Mannes, dessen Credo lautete: Ohne Leidenschaft ist alles nix.

Auch in bewegten Bildern eingefangen und in der Symbolik zu schön für diese Welt: Strummers Aussöhnung mit dem alten Clash-Kollegen Mick Jones vollzieht sich, als beide zum ersten Mal wieder gemeinsam Musik machen: Sie spielen, um einen Streik der Feuerwehrleute für gerechtere Bezahlung zu unterstützen. Mick Jones kommentiert rückblickend: „Ich dachte immer, wir würden wieder gemeinsam auf der Bühne stehen, um in die Rock ´n´ Roll Hall of Fame aufgenommen zu werden. Aber es war ein angemessenerer Anlass.“ Sie spielen für die Feuerwehr – und nicht für Geld.

Auch wenn das überrascht: Phantastisch und beeindruckend an „Joe Strummer – The Future is unwritten“ ist die Tatsache, dass es nicht darum geht, einen jugendlichen Punkrock-Helden abzufeiern, sondern dass Julien Temple das Porträt eines Lebens gelingt – eines, das leider nur 50 Jahre dauerte. Nicht die Glorifizierung des Angry Young Man ist das Thema, sondern die Frage, wie ein Angry Young Man in Würde altern kann und welche Schwierigkeiten dabei auf ihn lauern. Joe Strummer hat sie alle gemeistert. Er hat nie aufgehört, zu suchen und zu kämpfen. Ein Film über Musik? Ja. Auch. Natürlich. Aber auch einer über das Leben.

Joe Strummer - The Future is unwritten
Doku Großbritannien 2007
Regie: Julien Temple
124 Minuten
Website zum Film:→ strummer-derfilm.de