Crime School – Spannungsstudien 4

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Geübte LeserInnen von Kriminalromanen kennen das Spielchen. Geht es nicht um das Werwars, dann wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit „psychologisch“. Oder, getreu der Hoffnung, Krimis als Aufklärungsflugzeuge über der Topografie der Wirklichkeit segeln zu lassen: gesellschaftskritisch. An Iain McDowalls aktuellem Roman „Zwei Tote im Fluss“ wollen wir uns anschauen, wie sich das „Spannungsverhältnis“ dieser einzelnen Schulen des suspense mustergültig aufbaut.

Die Geschichte beginnt altbekannt. Im Ort Crowby nahe Birmingham wird der Schwarze Darren McGee tot im Fluss aufgefunden. Da er unter Shizophrenieschüben litt und Spuren äußerer Gewalteinwirkung nicht eindeutig festzustellen sind, wird der Fall als Selbstmord zu den Akten gelegt. Bis McGees Cousin Paul Shaw, ein bekannter Londoner Journalist, in Crowby auftaucht und selbstständig zu ermitteln beginnt. Der Polizeiprotagonist Frank Jacobson, dem Shaw seine These, McGee sei Opfer eines rassistischen Anschlags geworden, unterbreitet, glaubt nicht daran. Er ändert seine Meinung erst, als auch Shaw tot aus dem Fluss gefischt wird.

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So beginnen Polizeiromane, und gemeinhin haben sie nach einer solchen Ouvertüre die Wahl, sich in zwei alternative Richtungen weiterzuentwickeln. Entweder sie fahren der Lösung auf der Whodunnitschiene entgegen (eine Gruppe möglicher Täter wird aufgebaut, der Mörder schließlich durch Indizien, Zufall, eine gestellte Falle inflagranti gestellt) oder sie benutzen den seit McBain und Sjöwall / Wahlöö äußerst populären Weg der zumeist im Team geleisteten Kleinarbeit. Beide Formen können natürlich auch gemischt werden.

In „Zwei Tote im Fluss“ werden sie das von Anfang an nicht. Whodunnit? Eine Gruppe von Rechtsradikalen, womit wir auch das „gesellschaftskritische, wirklichkeitstaugliche“ Element schon im Spiel hätten, was LeserInnen der englischen Originalausgabe bereits am Titel („Killing for England“) erraten konnten. Bliebe also nur der Ermittlungsweg als Spannungsbogen. Auch hier nun eröffnen sich zwei Möglichkeiten:

– die Ermittlungen konzentrieren sich auf das Opfer (klassisches Beispiel Sjöwall /Wahlöös „Endstation für Neun“, wo die Suche nach dem Täter erst beginnen kann, wenn man weiß, welches der neun Opfer NICHT zufällig und willkürlich getötet wurde)
– die Ermittlungen konzentrieren sich auf den Täter (der Regelfall)

Beidemale kippt die Spannung fast zwangsläufig ins „Psychologische“, die Ermittler versuchen sich ein Bild zu machen, sie entwickeln Psychogramme.

McDowall scheint uns dabei zunächst auf ganzer Linie zu enttäuschen. Seine Täter sind tumbe Nazis, die das übliche strunzdumme Zeug von sich geben, undifferenziert agieren und so bis zum Ende die Theorie zu bestätigen scheinen, dass ein gewiss ehrenhaft gewähltes und bearbeitetes Thema keinen automatischen Pluspunkt bei der Kritik erhalten sollte und schon gar nicht fehlende Spannung kompensieren kann. Auch Ermittler und Opfer eigenen sich kaum für tiefergehende psychologische Studien. Sie sind entweder biedere Geschöpfe mit den krimibekannten Alltagseheproblemen oder eben – Opfer.

Dass man dennoch bei der Stange bleibt, liegt an den handwerklichen Fähigkeiten des Autors, der seine Geschichte sprachlich flexibel mit lakonischer Ironie erzählt und perspektivisch geschickt aus diversen Blickwinkeln betrachtet. Aber auch hier scheint er einen großen Fehler zu begehen. Eine Person nämlich, die als Nebenfigur eingeführt wird, erhält entschieden zu viel Raum. Wir begleiten sie bei ihren Alltäglichkeiten, der Wohnungssuche zum Beispiel, und nichts von dem, was wir dabei erfahren, hat irgendeine Relevanz für die Story selbst. Glauben wir.

Aber genau das täuscht. Je harmloser diese Figur durch die Geschichte wandert, desto stärker wird unser Verdacht, das könne nicht alles sein. Und so ist es. Am Ende ist diese periphere Person der geheime Dreh- und Angelpunkt des Buches, die eigentliche „Spannungsmaschine“. Sie ist auch die einzige Angehörige des Personals, deren Werdegang „erzählt“ wird. Alle anderen kommen daher wie mit wenigen Strichen vorgezeichnete Umrisse, nicht schlecht gemacht, aber kaum geeignet für die „Psychologie“, die wir erwarten.

Der mit dem Kulminieren dieser Entwicklung einhergehende Handlungsumschwung ist nicht spektakulär, aber sehr effektiv. Die „gesellschaftsanalytische Komponente“ wird modifiziert, die Auflösung des Falles als natürlicher Zielpunkt des Spannungsbogens erst durch das Handeln dieser Person erreichbar.

Das Bemerkenswerte an McDowall ist nun, dass er unsere Erwartungen an die Spannungsentwicklung gleich mehrfach zu enttäuschen scheint. Wir wissens stets mehr als die Ermittler, ja, wir wissen ALLES. Das aber ist der Spannungskiller Nummer eins. Kein Nervenkitzel nirgends, nichts, was nicht vorhersehbar wäre (die Ermittlungen verlaufen unspektakulär, als einziger Hemmschuh tauchen die üblichen unfähigen Vorgesetzten und am Ende ein wenig „Staatsräson“ auf), wir finden uns schon ab, dass „Zwei Tote im Fluss“ allein hinsichtlich seines außerliterarischen Informationsgehalts (auch in England gibt es Rassisten!) geschrieben wurde – und das ist natürlich erschütternd wenig.

Aber die Spannung wird uns quasi subkutan injiziert, sie wirkt fast beiläufig, sie steigert sich, weil uns die Person, die diese Spannung entwickelt, dies geradezu beiläufig tut.

Krimihistorisch betrachtet hat McDowall die beiden großen Spannungsproduzenten des Genres hier souverän gegeneinander ausgespielt: die Frage nach dem Wer und die Frage nach dem Warum, die, wenn sie nicht lapidar mit „aus Geld- und Machtgier“ zu beantworten ist, zuverlässig im Psychologischen mündet. Die Ordnung des Äußeren und die des Inneren eben. Dass auch „Zwei Tote im Fluss“ am Ende „psychologisch“ ist, sei zur Kenntnis genommen. Entscheidend bleibt, dass McDowalls Dramaturgie Spannung als etwas sehr Unspektakuläres inszeniert, etwas, das die ganze Aufmerksamkeit der Leserschaft verlangt. Und erst zum Schluss, als sich die Spannung entlädt, wird klar, dass wir eigentlich schon sehr viel früher hätten drauf kommen müssen, wie sich hier eine Katastrophe entwickelt. Kleinste, alltägliche Indikatoren, kein Feuerwerk des Thrills. Auch so kann Spannung funktionieren. Und zwar bestens.

Iain McDowall: Zwei Tote im Fluss. 
Dtv 2007 (Original: „Killing for England“, 2005, deutsch von Werner Löcher-Lawrence).
379 Seiten. 9,95 €

Ein Gedanke zu „Crime School – Spannungsstudien 4“

  1. OK. Notiert.

    Sag ich doch immer: Was zählt, sind die „handwerklichen Fähigkeiten des Autors, der seine Geschichte sprachlich flexibel (…) erzählt“.

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