Slam Catchen oder: Suhrkamp-Adepten als Underground-Literaten
Poetry Slams sind der Versuch, Literatur ins tatsächliche Leben zu bringen: Raus aus den Schreibstuben der Autoren und nicht rein in die Wohnungen der Leser, sondern in Fabrikhallen, Clubs und Kneipen, wo die Autoren ihre Ergüsse präsentieren und das Publikum lautstark darüber votiert, wie sehr oder doch nicht der Text in die Hose ging. Nicht selten werden solche Veranstaltungen zu Happenings mit bleibendem Erinnerungswert. In Deutschland sind Slams erst im Kommen, in Amiland gehören sie bereits zum Alltag.
Andreas Neumeister und Marcel Hartges, der erste Autor, der zweite Lektor, haben sich darangemacht, eine Sammlung von Texten zusammenzustellen, die unter dem Titel „POETRY SLAM! – Texte der PopFraktion“ ihren Weg in den Buchhandel gefunden hat.
Unter den Autoren finden sich so bekannte Namen wie Rocko Schamoni, Katrin Achinger und Franz Dobler. Die meisten Autorinnen und Autoren kennt man jedoch bestenfalls in Szenekreisen, was beim Leser Entdeckerfreuden aufkeimen läßt. POETRY SLAM! ist eine Wühlkiste. Es finden sich Texte, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Lyrik, Kurzprosa und hysterische Miniaturen wechseln sich ab. Die Qualität ebenso. Sie reicht von ‚brilliant‘ bis hin zu nihilistischer Nabelschau auf Schülerzeitungsniveau, wobei die letztere Kategorie eindeutig den Schwerpunkt setzt.
Von ein paar wenigen Ausnahmen mal abgesehen, hat man jedoch binnen kürzester Zeit den Eindruck, sich literarischen Fake-Food in kultigtrendiger Verpackung zuzumuten. Dieser Bluff wird schon im Vorwort offensichtlich, das dann auch nicht so heißt sondern hip und neuwellig mit ‚Tecstasy‘ tituliert wird. Für die Aufnahme in diesen Reader, heißt es darin, „entschied neben ästhetischen Kriterien also weniger die faktische Slam-Teilnahme von Autoren als die Slam-Tauglichkeit von Texten.“ Ein paar Zeilen zuvor ist die Rede von einem neuen Verständnis von Literatur, das Spontaneität, Alltagsnähe, Gegenwartbezug, Sprachwitz, Lustprinzip und Unmittelbarkeit beinhaltet und das eben diese den Texten attestierte ‚Slam-Tauglichkeit‘ ausmacht. Der Schluß des Vorworts ist dagegen eher pragmatisch angelegt. Es gilt übereifrige Nörgler abzuwiegeln, die Transferverlußte zwischen Slam und Buch ins kritische Auge fassen könnten: „Klar, ganz von der Hand zu weisen ist das Argument nicht. Aber auch bei Übersetzungen käme niemand trotz vergleichbarer Einwände auf die Idee, darauf zu verzichten.“
Klar, ganz von der Hand zu weisen ist dieses Argument nicht, jedenfalls nicht, wenn es sich um Übersetzungen handelt. Beim Transfer von einem Medium in ein anderes, wird jedoch eine ganz andere Kiste aufgemacht: Nicht selten wurde ein gutes Buch durch die Verfilmung versaut, nicht selten gerät ein Hörspiel in gedruckter Form zur Qual. Die Argumentation der beiden Herausgeber erscheint um so fadenscheiniger, wenn man sich noch mal ihr ’neues Verständnis für Literatur‘ vor Augen hält, das einige Zeilen zuvor von Spontaneität und Unmittelbarkeit beseelt ist. Auch mit den restlichen Attributen ‚Sprachwitz, Lustprinzip und Gegenwartsbezug‘ scheinen sie es nicht so ernst zu nehmen, wenn man sich das Gros der Texte betrachtet, die trotz aller Formmühen zumindest auf dem Papier nicht über das Stadium der Belanglosigkeit herauskommen. Auffallend viele Autoren aus der Suhrkamp-Ecke sind vertreten, auch die Spex-Fraktion konnte einige Texte anbringen, die Social-Beats hingegen, die die ersten Slams in Deutschland auf die Beine stellten, gingen jedoch gänzlich leer aus.
POETRY SLAM! ist unterm Strich eine Anthologie, die, würde man sie einfach Anthologie nennen, durchaus lesenswert wäre. Gemessen an den Tönen, die die Herausgeber in ihrem Vorwort anschlagen, gerät das Konzept ins Wanken, präsentiert sich als prahlerisch, inkonsequent und tendentiös. Ein weiterer Versuch in diese Richtung könnte durchaus vielversprechend sein, man müßte nicht unbedingt wieder einen Autor des Suhrkamp Verlages damit beauftragen und einen Graphikdesigner, der Seitenzahlen haßt. Zum Schluß noch was Positives: Der Preis ist mit 19,90 DM für ein Buch in dieser Ausstattung wahrhaft niedrig angesetzt. Reinschauen lohnt sich allemal und die Texte von King ROCKO SCHAMONI, GERO GÜNTHER und die Songtexte von BERND im Bademantel BEGEMANN können durchaus begeistern.
Andreas Neumeister/Marcel Hartges
Poetry! Slam! - Texte der Pop-Fraktion
rororo 19,90 DM
ISBN 3-499-13736-4