Also irgendwie kann man langsam den Eindruck gewinnen, die Gegenwart sei die wohl ödeste Gegenwart seit langem, und einen Ausweg aus der Langeweile verheißt nur die Zukunft. Jedenfalls scheint es vielen Autoren und Zeichnern so zu gehen. Trendy ist momentan, ach was momentan, eigentlich schon seit dem Orwell-Revival im Jahr 1984, in das auch die Geburtsstunde des Cyberspace fällt, die nahe Zukunft. Die visionäre Ungestümtheit der Science Fiction Autoren der Fünfziger, Sechziger und Siebziger Jahre scheint vorbei, und die Autoren von heute halten sich lieber an das, was in den nächsten fünfzig Jahren eintreffen könnte.
Zu dieser Gruppe von Autoren gehören auch der 1969 in Le Havre geborene Zeichner Siro und sein neunzehn Jahre älterer Szenarist Didier Convard. Beide haben mit POLKA einen Science-Fiction-Thriller vorgelegt, der, wie sollte es auch anders sein, im Jahr 2038 angesiedelt ist und in Paris spielt. Die Stadt an der Seine ist bis dahin so weit vergammelt und im Smog versunken, daß sie wie die Kulisse aus der Bladerunner-Verfilmung anmutet. Die Wohnungen der Unterschicht haben den Charme eines Appartements aus Brazil, die Upper Class haust dafür in einem postmodernen Art-Deco-Ambiente, und die Figuren kleiden und stylen sich wie zu Anfang der Achtziger Jahre. Überhaupt wirkt das ganze Album wie eine Hommage an das goldene Zeitalter des New Wave und das ist noch das Beste.
Der Plot ist recht dünn geraten: Polka, ein Flic, „macht seineArbeit nicht besser oder schlechter als andere, aber er ist weniger korrupt“. Wohl deswegen wird er zum Opfer einer Intrige. Ihm wird der computerkontrollierte Zugang zu seiner Wohnung verwehrt. Fortan gehörter zu den „Kartenlosen“, die in den Slums der Banlieu vor sich hinvegetieren. Anschließend wird Polkas Assistent von einem ominösen Killer umgelegt, der sich fortan um Polkas Ableben bemüht. Es hängt wohl alles mit seinem letzten Fall, einem toten Arzt aus den besten Kreisen zusammen. Es hat ganz den Anschein, als ob er damit in ein Wespennest gestochen hat und die besten Kreise nun versuchen, ihn zu stechen. Gott sei Dank bekommt er Hilfe aus dem verschmähten Untergrund, und die Gerechtigkeit kann ihren Lauf nehmen.
Wie gesagt, besonders originell ist diese Geschichte nicht, oder inzwischen nicht mehr. Allerdings sind Siros Zeichnungen hervorragend und vermitteln eine dichte Atmosphäre. Jedenfalls im französischen Original. Die deutsche Ausgabe ist so lieblos bearbeitet wie selten. Französische Beschriftungen im Panel sind absolut lieblos überkritzelt, so daß noch das Original darunter hervorscheint, echt schlecht. Einziger wirklicher Pluspunkt ist die Druckqualität, damit verbunden die Farben und, was eine wirkliche Ausnahme in dieser Preisklasse darstellt, die Fadenheftung, die dem Album eine lange Lebensdauer garantiert. Falls Convards Plot doch noch eine originelle Wendung nimmt und die deutsche Bearbeitung besser wird, dürfte das zweite Album dieser Reihe (Februar 98) ein großer Wurf werden, falls nicht, wird es ein Anwärter im Regal der Comics, auf die die Menschheit nicht gewartet hat.
Convard/Siro
POLKA - Die Macht von Orpheus
Ehapa/Delta Verlag 16,80 DM
ISBN 3-7704-1372-5