Vom Kosovo bis Rußland

Der Chefredakteur warnt schon lange vor Heiner Bremer, aber nie konnte er Dr. Zapp überreden, mal gemeinsam das RTL-Nachtjournal zu glotzen – doch jetzt (in der Nacht zum 7. April) ist es passiert, und prompt muß der Ressort-Leiter der Abteilung „Fernsehkritik“ das Gesehene in seiner Kolumne therapeutisch verarbeiten.

Hilfe, hilfe, hilfe! Wie oft kann man in die Scheiße greifen bei der Präsentation der neuesten Kosovo-News? Sehr oft, und nicht alle Fahrlässigkeiten gehen dabei auf das Konto Heiner Bremers, nein, er hat auch genau die Berichterstatter, die sein Magazin verdient!

Aber dazu später mehr, zunächst an die Adresse von Herrn Bremer: es heißt „Kosovaren“, nicht „Kosovaner“ – es sollte doch Balkan-kompetente Kollegen geben (vielleicht auch nicht…?), wo man zur Sicherheit mal vorher nachfragt!

Punkt zwei: 10 Peitschenhiebe oder gern auch mehr für den Autor des Beitrags über das Flüchtlingslager in Mazedonien, wo die „mazedonischen Soldaten Gasmasken tragen, um ihren Ekel vor den albanischen Flüchtlingen auszudrücken“ – großer Gott, wieviele Korrespondenten öffentlich-rechtlicher Sender haben am selben Tag über den Gestank in den Flüchtlingslagern berichtet, wo zwar „dank“ der Kälte noch keine Seuchen ausgebrochen sind, aber die hygienischen Verhältnisse mangels sanitärer Anlagen zu wünschen übrig lassen und die lagerverwaltenden Soldaten aus diesem Grund Schutzmasken tragen?! Um ihre Verachtung für die Flüchtlinge zu zeigen, haben mazedonische Soldaten weiß Gott andere Mittel.

Und last not least noch eine Kopfnuß für den „Journalisten“, der uns – alles in der gleichen Sendung!!! – die Folgen der Entvölkerung des Kosovos ausmalte: „dann hat Europa ein Palästinenser-Problem“! Die Erläuterung, daß u. U. ein vertriebenes Volk ohne Heimat seinem Schicksal überlassen und dies eventuell nicht ganz ohne Murren hinzunehmen bereit sein wird, wurde zwar noch rasch nachgeschoben, aber das ändert nichts an dem vollkommen deplazierten Begriff „Palästinenser-Problem“ und dem grotesk hinkenden Vergleich zwischen Palästinensern und Kosovoern, Kosoviten, Kosovaken oder wie die nochmal heißen.

Gibt es denn bei RTL keinen ausbildenden Redakteur mit Rotstift, der seinen Praktikanten mal auf die Finger schaut, bevor ihr Gesabbel über den Sender geht? Scheinbar nicht, die Stufe der Ausbildung wird hier ohnehin, vermute ich mal, aus Kostengründen übersprungen, und warum zur Präsentation dieses Mülls dann noch fachkundige Präsentatoren einsetzen, wenns auch ein debiler Freigänger aus dem Altenheim tut?! Unvergessen auch sein umstandsloser Schwenk zum Fußballspiel Bayern-Kiev, so ganz ohne jedes Betroffenheitgeheuchel oder eine auch nur versuchte Überleitung, nein, aber dafür wieder in gewohnt plump-steifer Manier – Heiner Bremer eben. Holt mich hier raus…

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…und setzt mich bloß nicht wieder vor die ZDF-„“““Polit-Historik““““-Reihe „Kanzler„, die neuste Mißgeburt aus dem Hause Knopp und vermutlich die heimliche Fortsetzung der Serie „Hitlers Helfershelfer“ – wobei Konrad Adenauer in der Tat die optimale Verknüpfung leistet!

Wer konnte, hat Guido Knopp schon am selben Tag im „Morgenmagazin“ als fleischgewordenen Trailer erlebt und war gewarnt: „Wir wollen Geschichte spannend machen“ und zeigen, wie unterhaltsam und fernsehtauglich sie doch ist. Warum also sachlich und informativ, wenns auch reißerisch und selektiv geht?! Sex-and-crime halt, aber dazu später.

„Populärwissenschaftlich“ ist ein gern gebrauchtes Schimpfwort, wenns um verständlich aufbereitete Bildungs-Materie geht – aber um Himmels willen keine Charakterisierung für diesen melodramatisch verbrämten Mist, den das ZDF mit Vorliebe dienstagsabends sendet. Und nachdem die Grusel-Soap über die Nazi-Schergen abgesendet war und endlich, endlich auch Helmut Kohl als Kanzler abgedankt hatte, konnten Knopp und Co. hurtig aus ihren Startlöchern spritzen, um ihre Klientel nun mit Trivial-Scheiße über Deutschlands dritte Männer im Staat zuzukleistern. Geschichte als B-Movie!

Jetzt also Folge 1: „Adenauer. Der Partiarch“, eine Collage aus Doku-Material in Schwarzweiß, nötigenfalls zu dramatischen Zeitlupen aufgeblasen, Interview-Fetzen einer bunten Schar von Antwortgebern aus noch lebenden Alt-Kanzlern, aktuellen Kanzlern, Adenauer-Sohn Max, Alt-Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (kein Wort über ihre damalige Funktion als Sekretärin des SPD-Vorsitzenden und Adenauer-Widersachers Kurt Schumacher, kein Wort überhaupt zu Kurt Schumacher…), diverse Alt-Dolmetscher und alt-sowjetische Außenpolitiker, Alt-Journalisten, Regine Hildebrandt (warum auch immer…), „Meinungsfälsch- äh -forscherin“ Elisabeth Noelle-Neumann und natürlich der unvermeidliche Alt-US-Außenminister Henry Kissinger, der ja nun nicht mehr mit Prinzessin Di bei Festbanketten oder ihrer Beerdigung rumsitzen muß, sondern wieder mehr Zeit für Interviews hat usw… Diese Interviews immer vor schwarzer Wand und der Rest zu klebrigen Streicher-Akkorden unter der Leitung des Orchester John Williams – ach nein, aus dem Computer eines Projekts namens „Klangraum“.

Sichtung und Auswahl des Filmmaterials erfolgten unter konsequenter Orientierung an den Bedürfnisses der Zielgruppe: ein bißchen politische Zeitgeschichte (Adenauer auf dem Teppich, Adenauer mit Chruschtschow, Adenauer mit Kennedy), dezent geklittert (Adenauer, der Anti-Faschist), der Unterhaltungs-Adenauer mit Enkeln, Rosen und Bocciakugeln, der Erfinder-Adenauer (von innen beleuchtetes Stopfei, Toaster mit Anti-Verkohlungs-Vorrichtung) und ansonsten natürlich Sex and Crime: Adenauer und die Frauen (dazu unten mehr) und Adenauer-Attentat-von-zwei-kleinen-Jungs-verhindert (und, ach ja, einem Polizisten, der bedauerlicherweise den tödlichen Sprengsatz des Pakets abfing). Kurz: alle Klischees vereint, kaum Positionen damaliger Gegner und Kritiker, keine tiefergehenden Einschätzungen von Politikwissenschaftlern oder Historikern, dafür jede Menge Schlagworte sowie pathetische Redeausschnitte Adenauers mit der üblichen Wahlkampf-Rhetorik und Interviewschnipsel mit dem ersten Kanzler der Republik ohne jeden Erkenntniswert.

Den verbalen Kitt des ganzen Sammelsuriums leistet eine wohlvertraute Stimme aus dem Off: Christian Brückner, renommierter Synchron-Sprecher mit Kult-Status – unverdientermaßen, denn wer diese offenbar von BILD-Journalisten verfaßten Zwischentexte ablesen kann, ohne zu kichern oder rotzuwerden, dem gehört augenblicklich das Robert-de-Niro-Monopol entzogen, allermindestens! Grammatikalischer Minimalismus auf Courths-Mahler-Niveau! Gereihte SPO-Sätze (Subjekt-Prädikat-Objekt als satztechnische Grundausstattung) und viele Punkte. Nie Kommata! Dr. Zapp präsentiert hier lediglich eine kleine Auswahl von Sätzen, bei denen er am lautesten gelacht hat – quasi „Adenauer. Der Partiarch“ im Schnelldurchlauf:

Die schwerste Zeit in seinem Leben. Doch der Witwer übersteht den Schmerz Nach der Katastrophe schlägt die große Stunde. Am Rednerpult ist der Kanzler Mann des Volkes. Kleiner Wortschatz, große Wirkung. Besuch bei der neuen Truppe. Der ungediente Adenauer ist ihr Taufpate. Antrittsbesuch beim Gegner. Natürlich hat der Kanzler seinen eigenen Wagen mitgenommen. Der ist abhörsicher. Mögliche Rivalen haben nichts zu lachen. Das ganze Volk ist dankbar. Nie waren ihm die Herzen näher. Macht macht attraktiv. Kein Kanzler war so einsam. Das Loslassen von der Macht fällt schwer. – Die letzten Jahre. Endlich Zeit für Rosen. Mit dem Verlust der Macht holt ihn das Alter ein. Es wird einsam um den Patriarchen.

Und zum Schluß noch zwei besondere Leckerbissen:

Erzähler: „Adenauer ist schon 79. Doch er weiß, daß in Rußland erst beim Wodka Tacheles gesprochen wird. Wie kann der Kanzler diese Prüfung überstehen?

Hans Ulrich Kempski, Alt-Journalist, leistet die Zusatzinformation, daß Staatssekretär Globke den Mitgliedern der deutschen Abordnung vor den abendlichen Vergnügungen je einen Eßlöffel Olivenöl verabreicht.

Erzähler: „Solche Ölung macht den Alten stark.

Chruschtschows Dolmetscher (der eigenartigerweise kein Wort Deutsch spricht): „Er konnte trinken wie ein Mann, obwohl er doch so lang und dünn war.

Erzähler: „Beim letzten Festbankett gelingt die Einigung.

Und schließlich dieser:

Erzähler: „Und täglich kommen Liebesbriefe für den 80jährigen. Der Kanzler hat keinen Bedarf. Er ist ja eingedeckt mit Sekretärinnen und Töchtern. Doch Ausstrahlung, die hat der Alte noch.

Dazu dann Meinungs“forscherin“ Elisabeth Noelle-Neumann: „Er faszinierte mich, und zwar – ich hatte irgendwie das Gefühl, er sei der bedeutendste Mann, dem ich bis dahin begegnet war. Und das ist ein sehr schönes Gefühl, ich hab das sehr gerne.