Konkret vs. Abstrakt – 1:0 für Plaid
Bei einem Bandinfo, das die Eigenschaften des zu beschreibenden „Produkts“ so diffus hält, wie jenes von Plaid, denkt man entweder an Nichtigkeit oder eigene Liga. Bei einem Label wie es Warp vormacht, kann man sich blind darauf verlassen, daß der gefeaturte Act letzter Kategorie angehört. Kennt man sich ein wenig mit experimenteller, elektronischer Musik aus, weiß man schon längst welche bedeutende Künstler hinter diesem Sheffielder Pionierlabel stehen. Die populärsten Auswüchse lesen sich wie das „Who is who“ der elektronischen Intelligenzia: Autechre, LFO, Aphex Twin oder auch der durchgeknallte Finne Jimi Tenor haben den Initiatoren Rob Mitchell und Steve Beckett längst zu etwas Kleingeld verholfen. (Wer einen vollen Überblick über das Warp – Programm haben möchte, sollte sich die Collection „wap 100“ anhören.) Auch Plaid gehören – vielleicht sogar mehr als die hier aufgezählten Knöpfedreher – zu der Gattung Underground mit starker Verbindung zum Pop-Biz. Das Vorgängerprojekt Black Dog genoß schon in den frühen neunziger Jahren Kultstatus. Man umgab sich mit allerlei Mystik, gab Interviews ausschließlich via Internet, Photos der einzelnen Mitglieder suchte man vergeblich, und die Musik selbst war alles andere als leicht verdauliche Kost.
Auch heute fühlt sich Ed Handley, ein Teil von Plaid, nicht immer wohl bei der Präsentation ihrer selbst: „Eigentlich spricht die Musik für sich selbst. Es ist manchmal ein komisches Gefühl sich verkaufen zu müssen. Das Image, das wir mit Black Dog verfolgten war eine Art des Glamours, sich mit Mysteriösität und dem Geheimnisvollen zu umgeben.“ Ihre beiden Warp-Klassicker „Spanners“ (1994) und „Musik For Adverts“ (1995) klingen fragmentarisch, verspielt, aber nie ganz zu Ende gedacht. Zu dieser Zeit entstanden auf der Overground-Seite einige Remixe für etwas bekanntere Namen der Popwelt, namentlich Björk und Nicolette. „Das Remixen ist auf der einen Seite eine gute Geldquelle. Es hilft Dir dabei weiterzumachen und zu expandieren, aber auf der anderen Seite würde ich niemals einen Song remixen, der mir nicht gefällt. Idealerweise kommt dabei ein weiteres Plaid-Stück zustande. Die Idee ist nicht das Original einfach mit einem Drumloop zu unterlegen. Es macht viel mehr Spaß die Spuren zu zerhacken und zu etwas Neuem zusammenzufügen.“ Ed Handley sieht die damals entstandene Fusion mit der Popwelt als Zufall und nicht als verkaufsfördernde Strategie: „Wir wußten, daß Leute uns nur wegen Björk oder Nicolette kannten, damit muß man rechnen, schließlich sind diese Namen viel populärer als der unsere. Aber das macht nichts. Das Kennenlernen zwischen uns lief jeweils natürlich ab. Wir trafen uns auf einer Ebene jenseits der Geschäftswelt und wurden gute Freunde. Schließlich boten uns die beiden an, auf unserem Album („Not For Threes“, 1997) einzusingen.“
Die inszenierte Anonymität wurde damit weiter zum Kult ausgebaut. Nachdem sich Mysterioso Ed Downie (der als Black Dog weitermacht) von seinen Partnern Ed Handley und Andy Turner getrennt hatte, beschlossen letztere unter dem Namen Plaid die Marschrichtung zu ändern. Die 1997 entstandene LP „Not For Threes“ (Warp) dokumentiert, daß die Fragmente ihrer bisherigen Musik in der Zwischenzeit eine festere Gestalt angenommen hatten, man immer mehr auf das Samplen verzichtet hatte und dafür lieber „live-einspielt“. „Mit Black Dog waren wir viel minimalistischer und einfacher. Die Entwicklung führte uns linear zu dem, was wir heute sind. Nichts wurde geplant, die Verstärkung der Harmonieseite unserer Musik geschah ohne direktes Vorhaben. Es war mehr ein Reifeprozess und die Erfahrung im Umgang mit Equipment.“ Die Popkompatibilität wurde verstärkt und mit den beiden Leihstimmen von Björk und Nicolette hatte man gleich zwei Gesangsnummern auf der gegenständlichen Seite zu verbuchen. Allerlei Instrumente geben auch dem neuen Album „Rest Proof Clockwork“ ein heterogenes, aber nie diffuses Gesamtbild. Die Harmonien sind zwar immer leicht angeschrägt, die Rhythmik verspielt und es klingelt aus allerlei Richtung, und dennoch weiß man schon bei den ersten Tönen eines Plaid-Stückes, um wen es sich handelt. Auch diesmal verzichten Handley und Turner nicht auf Gastauftritte, wie zum Beispiel denen von Mara Carlyle, Benet Walsh oder Scratch Daddy Addy (Kushti); denn sie benötigen diese Unterstützung, um ihren Sound weiter zu konkretisieren. Handley: „Es ist eben interessant mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten. Manchmal lernt man diese Leute nicht persönlich kennen. Dann gibt es hin und wieder Fälle, in denen aus einer Zusammenarbeit Freundschaften entstehen. Das Ganze läuft sehr organisch ab. Wir mögen den Aspekt mit ausgebildeten Musikern zu arbeiten, da wir selbst keine musikalische Erziehung genossen haben.“
Die Einflüsse auf dieser neuen LP sind so mannigfaltig wie nie zuvor, aber dennoch klingt „Rest Proof Clockwork“ gleichzeitig auch homogener als je zuvor. Die Leichtigkeit der Klänge becircen den Zuhörer mit einer fast nie dagewesenen Unaufdringlichkeit, daß man schon genau hinhören muß, um zu erfahren, wie trickreich hier gearbeitet wurde. „Ich mag sogenannte Spezialistenmusik, die nur darauf ausgelegt ist ein Genre zu bedienen. Wir selbst haben aber keinerlei Ambitionen uns festzulegen. Der Stil ergibt sich aus uns selbst.“ Grund für diese Aufgeräumtheit ist die Plaidsche Arbeitsweise, die mehr einem Jam von „Bandmitgliedern gleicht“ als einer kompliziert einprogrammierten Sisyphusarbeit. Selbst die Rhythmik ist im Vergleich zum Vorgänger „einfacher“ geworden. Ed Handley bestätigt: „Unsere Art zu produzieren ist total experimentell. Wir nehmen uns nicht vor so oder so zu klingen. Wir gehen ins Studio und schauen was passiert, ob irgendwas Brauchbares, Stimulierendes dabei rauskommt; insofern sind wir keine normative Musiker. Manchmal gibt es eine vage Idee wie ein Track aussehen könnte, aber wir nehmen uns nicht vor einen Gitarren – oder Hiphop – Tune rauszuhauen. Es gibt Themen und Anfangspunkte, aber der Prozess ist mehr dem Zufall überlassen. Hip-Hop war und ist immer schon ein Einfluß für unsere Musik gewesen – angefangen bei den Zeiten, in denen wir uns als Kids die Clubnächte um die Ohren schlugen, bis heute. Demnächst remixen wir einen Grandmaster-Flash and The Sugarhill – Gang Klassicker namens „Scorpio“ der bald veröffentlicht werden wird.“
Man orientiert sich mehr am klassischen Track und läßt sich von der Vorgehensweise traditioneller Songwriter beeinflussen. Trotz der zunehmenden Popkompatibilität steht die Befürchtung im Raum, daß man niemals am großen Pott der Stars mitessen können wird. Der Sprung in die Nähe wurde zwar schon vor etlichen Jahren gemacht; dennoch reicht der Wille nie aus, Musik für die große Masse zu produzieren. „Letztendlich muß es einem selbst gefallen, will man überzeugende Arbeit abliefern. Wir wollen nicht die Massen bedienen, solange uns das Resultat nicht selbst befriedigt. Die Melodien stehen bei uns im Vordergrund, weil wir Melodien mögen, nicht weil wir keinen tanzbaren Techno produzieren wollen. Wir wollen auch nicht auf Teufel komm raus origenell sein. Wenn es passiert, daß Etwas Neues entsteht, ist es großartig, aber es ist nicht unsere über allem stehende Agenda,“ gibt Ed Handley zu Bedenken. Der Zeitpunkt ist jedenfalls gekommen, um mit einem der erfolgreichsten Dance-Acts Englands auf Tournee zu gehen. Plaid begleiten den Dinosaurier Orbital auf ihrer England-Tournee. „Das ist schließlich der beste Weg unsere Musik zu verkaufen. Ich wäre dumm genug zu behaupten, daß wir keinerlei Ansprüche darauf hätten. Außerdem besteht schon eine Art Freundschaft zwischen Orbital und uns. Vor vielen Jahren hatten wir die Gelegenheit die Hartknoll – Brüder zu supporten, und zwar auf den legendären Londoner Megadogparties.“
Die Aufgeschlossenheit der Engländer und deren Verständnis von „Mesh Culture“ wird Plaid zu offenen Ohren verhelfen. Für den Rest Europas sehe ich da eher schwarz. In Amerika ticken die Uhren im elektronischen Bereich, trotz Detroit-Techno und Chicago-House, rückwärts und gerade in Deutschland werden wohl nur einige Spezialisten die Mühe auf sich nehmen, um Plaid zu erleben. Die Aussicht auf Erfolg im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sieht Ed abschließend eher pessimistisch: „In den Staaten werden wir von Trent Reznors Label vertrieben und die Akzeptanz für elektronische Musik ist nicht sehr hoch dort. Wir traten mal zusammen mit Autechre in New York auf, hatten eine Performance in San Franzisko auf einer Reflexive- Labelparty, aber das ist bis jetzt alles, was wir von den U.S.A. gesehen haben.“ Es bleibt zu hoffen, daß diese Ungerechtigkeit ein Ende nimmt und sich Qualität durchsetzten wird. Wenn Björk und Nicolette diese schon früher erkannt haben, liegt es an den Elektroexperten, die wunderbare Welt der Popmelodien zu entdecken und sich nicht nur auf Technokraten-Fachsimpelei zu beschränken.