Schon mal das Adjektiv „schräpig“ gehört? So charakterisiert man in Westfalen eine rauchige, strapazierte, aber unverwechselbare Stimme. Und über eine solche verfügt auch Henry McCullough, seines Zeichens Sänger, Songwriter und Saitenvirtuose aus dem nordirischen Portstewart, der als einziger Ire beim „Woodstock“-Festival auf bei Bühne stand. Damals gehörte er Joe Cocker’s GREASE BAND an, verdarb es sich aber irgendwann mit seinem Boss (um ein Haar wäre Blut geflossen, denn sie waren mit Whiskey- und Cognac-Flaschen aufeinander losgegangen!) und verdiente seine Brötchen fortan als häufig beschäftigter Sessionmusiker (u. a. für Roy Harper, DR. FEELGOOD, Ronnie Lane und Paul McCartney). Seine Solokarriere verlief eher unspektakulär, und ein tragischer Unfall, der seine Spielhand praktisch lähmte, hätte ihn um ein Haar um seinen Musikerjob gebracht.
Aber Henry lässt sich halt nicht unterkriegen und werkelt auf bescheidenem Level weiter vor sich hin. Da Plattenverträge dem Blues- und Folkrock-Veteranen nicht mehr winken, versucht er sich mit „low budget“-Projekten, Live-Auftritten (meist im Duo) und als Songwriter (zuletzt brachte er seinen Song „Failed Christian“ bei Nick Lowe unter). Ausgerechnet in Polen hat Henry vor einiger Zeit ein Album eingespielt („an einem Sonntagnachmittag“), das bislang nur dort erhältlich war. Als Begleitband diente ihm das renommierte polnische Jazzquartett WALK AWAY (g, b, dr, org), mit der im November 2000 auch eine Irlandtournee bestritt.
Die CD ist leider recht kurz, gerade mal ’ne gute halbe Stunde, doch die lohnt sich für Roots-Blues- und -Rockliebhaber sehr wohl. Drei bis dato unbekannte Kompositionen bewegen sich gekonnt und mit Leidenschaft zwischen Boogie und Blues (z. B. „Locked In And Can’t Get Out“), dann gibt es noch ein passables Remake von „All I Wanna Do“ (vom ersten Soloalbum) und eine erdig-spröde Version des BEATLES-Songs „Come Together“. Der letzte Track ist aber gleichzeitig das Highlight von „Blue Sunset“: eine sehr freie Adaption des Traditionals „House Of The Rising Sun“, das eigentlich als längst „zerspielter“ Klassiker galt. Henrys Arrangement erinnert etwas an seine kurze Zeit bei den SWEENEY’S MEN, dem Trio, das Ende der 1960er Jahre den Irish Folk (Rock) revolutionierte.
Gewiss, „Blue Sunset“ wird kaum mehr als eine Fußnote in der europäischen Rockgeschichte spielen, dafür aber bietet sie den akustischen Beleg, dass Henry zum einen noch unter uns weilt und zum anderen keineswegs abgeschrieben werden kann.
The Henry Mccullough Band: Blue Sunset (SelleS / Ash'n'Ring Records) Bezug direkt über das polnische Label SelleS (http://www.selles.pl)