Extremlesen

Es sei eingeräumt, dass Extremlesen im Vergleich zum →Extrembügeln eine eher unspektakuläre Sportart ist. Es gibt auch noch keine Weltmeisterschaften, keine Rekorde, keine Regeln – bis auf eine. Man nehme wenigstens zwei Bücher, wie sie in Thematik, Dramaturgie und Sprache unterschiedlicher nicht sein können und lese sie parallel. Hier zehn Seiten, dort zehn Seiten, und zwischendurch, vielleicht auf der täglichen Zugfahrt, schmökere man sich durch ein drittes Werk, Stella Blomkvists „Der letzte Zeuge“ etwa (Rezension folgt).

Bei mir hat das mit Musik angefangen und wurde allgemein kopfschüttelnd belächelt. Aber es machte mir wirklich nichts aus, dem getragenen Ton eines Eric Satie zu lauschen und dann, ohne musikhistorische Verschnaufpause, den New York Punk von „Television“ in mich rein zu atmen oder, jetzt wird’s noch extremer, alte Lautenmusik und moderne laute Musik track by track auf eine Cassette zu überspielen, die dann bei längeren Autofahrten jeden Mitfahrer zur Verzweiflung bringen konnte, der „nur Folkrock, du Arschloch!“ hören wollte.

Jetzt also Extremlesen. Zur Zeit: James Ellroy und Wolf Haas im Doppelpack, der gute Bernd hat mir den Mund wässrig gemacht (von Wasser scheint er was zu verstehen), und bis jetzt hält die Lektüre, was ich mir davon versprochen habe.

Aber: Ist das wirklich so extrem, so diametral, so antipodisch? Wenn ich es mir recht überlege: nein. Zwei Autoren, die ihren eigenen Stil entwickelt haben, ohne in Manieriertheit abzusacken, ohne diese beliebte Aufforderung in der Krimi-Disko mitzumachen, „Redundance the same old fucking style, man!“, diese Animation zum Schwenken des immergleichen trägen Textleibes, und am Ende applaudieren die Figuren, die an der Tanzfläche rumstehen und überreichen dir einen „Glau..“… glaubt man wenigstens, wenn man sich diesen Ringelpietz so betrachtet.

Kriminalromane können also tatsächlich Literatur sein, auch wenn das mancher Autor nicht gerne hört, weil daraus ja, konsequenterweise, die Verpflichtung erwächst, Krimis das zu geben, was sie brauchen und was ihnen zusteht: Sorgfalt. Arbeit. Feilen an der Sprache, Feilen am Plot. Überwinden von Genregrenzen, die einer gezogen hat, der zeitlebens in einem Kaninchenstall dahinvegetierte und deshalb die Welt in Rechtecke von der Größe ebensolcher Kaninchenställe unterteilt. Krimis sind nicht das Adäquat zum Plattenbau, meine Damen und Herren. Also wieder mal – oder zum ersten Mal – extremlesen. Das hilft. Vielleicht.

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