Es klingt wie eine Zukunftsvision unserer Gesellschaft, die mit dem Familienkonzept des 19.Jahrhunderts den Alleinerziehenden des 21.Jahrhunderts begegnet: Jugendliche Drogendealer, denen die Schule das Lesen nicht beigebracht hat, 11jährige, die, allein auf sich gestellt, auf den Strassen ´rumgammeln und Strassen, auf denen Bandenmitglieder zahlreicher sind als Polizisten. Washington DC im Jahre 1986 in George P. Pelecanos Buch „The sweet forever“. Fast wie im wirklichen Leben, zerfällt dort langsam die Ordnung: Der Bürgermeister ist kriminell, die Stadt pleite, und die Polizei kommt gegen die wachsende Kriminalität nicht an.
Ein Drogenkurier rast sich mit seinem Auto vor dem neuen Schallplattenstore „Real Right Records“ von Marcus Clay zu Tode. Und der kleine Installateur Eddie Golden der zufällig in der Nähe ist, meint, dem Zauberlehrling gleich, dass seine Stunde gekommen sei. Einmal Hero sein, einmal sich beweisen … heldenmutig nimmt er Geld aus dem Auto an sich. Aber die Geister, die er ruft, drohen nicht mit dem Besen, die erschießen 11jährige, weil diese auf den Strassen der Stadt Dealer spielen. Es beginnt eine Suche nach dem Geld. Korrupte Polizisten suchen, die Drogendealer suchen und auch Clay wird mit hineingezogen. Die Bürger wollen Sicherheit, die Drogendealer ihren Bezirk säubern und Polizisten vermeiden, dass ihre Nebengeschäfte auffliegen. Am Ende High Noon; es geht nicht mehr nur ums Geschäft, sondern um die Ehre, um das Gewissen.
Pelecanos hat hier eine Geschichte mit großer erzählerischer Substanz geschaffen. Die Erzählperspektive wechselt in rascher Folge: Kinder, Drogendealer, Polizisten und die Mannschaft von „Real Right Records“. Allen kann der Leser über die Schulter schauen. Sehr gelungen ist das, wenn dann die Schnitte über mehrere Protagonisten in einer Szene gehen. Pelecanos Personen sind keine Stereotypen. Er bricht das Beziehungsgefüge zwischen Gut und Böse mehrfach. Auch korrupte Polizisten haben ein Gewissen, Bürger familiäre Probleme und Drogendealer ein Herz. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist die einzige Möglichkeit für Jugendliche, dem Ghetto zu entkommen. Und natürlich sind die Grenzen zwischen Gut und Böse unscharf, wenn die Bürger sich die gleichen Drogen in die Nasen ziehen, welche die Bäuche der Dealer füllen. All dieses erzählt Pelecanos im Stile der amerikanischen Noir-Schule, schonungslos und sehr nüchtern. Hier liegt vielleicht auch das einzige Manko des Buches. Pelecanos ist ein eher versöhnlicher Mensch. Dem Buch fehlt ein wenig die den Leser verstörende Emotionalität. Dieses hat er im nächsten Buch „Shame the devil“ meiner Meinung nach besser gemacht. „The Sweet forever“ ist, wie alle Bücher Pelcanos, aber auch ein Buch der Popkultur. Pelecanos ist der zeitgenössischen Musik sehr verbunden und so ziehen diese und die Bilder von Basketballübertragungen den Leser auch ´rein in die Strassen der Stadt.
Es ist der dritte und vorletzte Band der Washington noir Serie. Diese überspannt den Zeitraum von den 40er Jahren bis in die 90er Jahre und gehört zu den wenigen Serien, deren Seriencharakter eine innere stringente Logik besitzt. Jedes Buch kann man solo lesen, aber der Wandel der Zeit lässt sich an den immer wieder auftauchenden Personen besser festmachen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist wohl „Eine süsse Ewigkeit“ der einzige Band der Serie, den es nicht nur gebraucht in deutscher Sprache zu kaufen gibt. Der bei Kritikern zurecht wohlgelittene Pelecanos scheint nicht so gut beim deutschen Leser anzukommen. Schade eigentlich. Demjenigen, der das amerikanische Original liest, bietet sich ein großer – sprachlich noch knackigerer – Lesegenuss und – soviel sei jetzt schon verraten –dann in der Folge ein großer Abschluss der Serie mit „Shame the devil“.
George P. Pelecanos: The sweet forever. Englische Taschenbuchausgaben: 1. Serpent’s tail 2000. 298 Seiten, 11,95 €; 2. Dell Publishing Company 1999, 384 Seiten, 6,99 €. deutsch als „Eine süße Ewigkeit“: Dumont 2003, 19,90 €
Ich habe vor etwa 2 Jahren die Washington noir Reihe in deutscher Übersetzung gelesen und kann bestätigen, dass es ein absoluter Genuss ist, Pelecanos Krimis zu lesen. Vor allem hinsichtlich der atmosphärische Dichte kenne ich wenig Vergleichbares.
Wer gerade dies an Pelecanos mag, sollte es auch mal mit Russell James versuchen.