Erinnert sich noch jemand an das Champions-League-Finale Bayern München gegen Manchester United? Genau; das mit den beiden Toren in der Nachspielzeit, als die wackeren Bayern doch noch um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden. In ähnlicher Erinnerung wird mir Christine Lehmanns „Harte Schule“ bleiben. Lehmann gegen die Unlogik, könnte man sagen, und zunächst sieht alles nach einem souveränen Sieg der Autorin aus.
Die in der ersten Halbzeit ihres Krimis alles richtig macht. Ein etwas zwielichtiger Lehrer wird ermordet im Schulhof aufgefunden, mit heruntergelassener Hose, erstochen. Lisa Nerz, Reporterin bei einer Stuttgarter Lokalzeitung, ermittelt, eine ungeliebte Volontärin im Schlepptau und nicht gerade mit konventionellen Methoden. Sie bricht ins Lehrerzimmer ein, macht sich an die Schüler ran, lernt einige merkwürdige Pädagogen kennen. Gut so.
Denn schreiben kann Christine Lehmann. Lakonisch und präzise, mit Witz und Intelligenz. Das Personal, allen voran die androgyne Reporterin, gelingt ihr vorzüglich, die Beschreibung Stuttgarts, nicht gerade als Sündenbabel berüchtigt, hält die Balance zwischen Normalität und dem Schrecken des Alltags, stürzt niemals in das Touristische sogenannter „Regionalkrimis“. Halbzeit. Christine Lehmann widmet sich beruhigt ihrem Pausentee.
Und läuft, frisch gestärkt, zur zweiten Halbzeit auf. Eigentlich nur noch eine Proforma-Angelegenheit, zu überlegen wirkt die Akteurin, zu souverän hat sie ihren Gegner am Gängelband. Aber dann schleichen sich erste Nachlässigkeitsfehler ein. Jetzt will sie ihren Gegner vorführen, zeigen, was man mit ihm alles anstellen kann. Der Fall des ermordeten Lehrers zieht plötzlich Kreise, die sich immer weiter von der Exposition entfernen. Zufälle und billige Tricks für die Galerie kommen ins Spiel. Etwa der baden-württembergische Kultusminister im Knabenpuff, eine TV-Firma und ihre pornografischen Nebengeschäfte, ein vermisster Schüler, der schließlich einer nicht zu erklärenden, das heißt durch allerhand Unwahrscheinlichkeiten befeuerten Eingebung der Reporterin folgend im Schrebergarten des toten Lehrers ausgegraben wird.
Und alles hängt zusammen. Zerfahrene zweite Halbzeit, nennt man das, und Christine Lehmann gerät immer mehr in die Defensive. Dann kommt die Nachspielzeit. Irgendwie muss jetzt das Wirrwarr aufgedröselt werden, aber mit Mitteln der Handlung ist es nicht mehr möglich. Plötzlich sind alle irgendwie involviert. Die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Zeitung. Da hilft nur der alte Trick, die Reporterin den Fall erzählen zu lassen, ihm eine verbale Logik einzuimpfen, wo sich die Handlung längst weigert, sich selbst auf die Sprünge zu helfen.
Die Tatwaffe etwa. Zufällig gefunden, zufällig eingesteckt, zufällig irgendwo platziert, zufällig die Verbindung zum wahren Mörder erkannt. Zack – schon zappelt der Ball im Netz, die Unlogik ist in Führung gegangen und entlarvt erbarmungslos die Unfähigkeit der Autorin, sie in den Griff zu bekommen. Am Ende siegt das Unwahrscheinliche, das Gekünstelte haushoch.
Und das ist mehr als ärgerlich. Denn, noch einmal: Formal hat Christine Lehmann die Sache voll im Griff. Man liest diesen Roman wirklich gerne, weil er sich sprachlich keine Blöße gibt, Charaktere und Situationen auf den Punkt bringt. Vergebens.
Prognose für das nächste Spiel: Christine Lehmann wird vorsichtiger sein und ihren Gegner mehr schätzen. Sie wird ihre Handlungskabinettstückchen bleiben lassen und sich auf das eigentliche Spiel konzentrieren. Und natürlich souverän gewinnen. Wir sehen sie schon mit dem Pokal auf dem Siegertreppchen. Dem Pokal, der ein wirklich furioser Krimi sein wird.
Christine Lehmann: Harte Schule. Ariadne Krimi 2005, 255 Seiten, 9,90 €