Ludwig Tieck: Der Bayersche Hiesel

Was soll man davon halten? Ein junger Autor schreibt die Lebensgeschichte eines Wildschützen und lässt keine Gelegenheit verstreichen, den Burschen zum „edlen Kriminellen“ zu erheben. Dann – den Wildschütz hat seine Strafe ereilt, er ist gerädert und gevierteilt – beendet er seinen Bericht mit einem schier unfassbar kecken Bekenntnis.

„Denn, im engsten Vertrauen gesagt, es ist ihm sehr sauer geworden, diesen Kerl als einen Helden in seinem Fache darzustellen, wie es die Pflicht jedes Biografen ist.

Warum?

Weil er nichts mehr und nichts weniger war, als ein Spitzbube.“

Ludwig Tieck (1773 – 1853) schrieb diese leserverhöhnende Frechheit als knapp 18jähriger. Er war Lohnschreiber in der „Romanfabrik“ seines Gymnasiallehrers Friedrich Eberhard Rambach, eines frühen „Entrepreneurs“ in Sachen literarische Schund- und Massenware. Die Lebensgeschichte des legendären Wildschützen Mathias Klostermayr, genannt „Der Bayersche Hiesel“, gehörte zu den ungeliebten Fingerübungen des sich in einem wahren Schreibrausch befindlichen Tieck, und dennoch: Es wurde mehr als eine Talentprobe.

Dabei bedient die Geschichte Hiesels ganz den Geschmack der Zeit. Es wird viel gewildert, was in den Augen der Bevölkerung kein Verbrechen ist, denn das Wild zerstört die Felder der Bauern, darf aber nicht geschossen werden, weil sich der Adel solches Privileg vorbehält und an einem möglichst großen Bestand jagdbaren Getiers interessiert ist. Die Büttel der Obrigkeit werden von Hiesel und den Seinen bei jeder Gelegenheit malträtiert, man lässt die Hunde auf sie los, haut sie halb- und manchmal auch ganz tot, und der Autor beeilt sich, wo immer es ihm opportun erscheint, mit halb philosophischen halb psychologischen Anmerkungen das Treiben Hiesels als die Taten eines im Grunde herzensguten, hochfähigen Mannes zu preisen, den nur die unglücklichen Umstände außerhalb der Gesellschaft stellten.

Aber am Schluss kann er sich nicht mehr halten. Er enthüllt dem staunenden Publikum nichts anderes als die Natur seiner Arbeit: Schund im Gewand der moralischen Belehrung hat er geschrieben, ein Stück voller Action und wohlfeiler Weisheit, zynisch könnte man es fast nennen, aber es ist nur die Wahrheit, und sie ist bis heute gültig. Den Beutel soll es füllen, das Geschreibsel, und besäßen die Autoren heutiger Blödzeitungen und Nichtliteraturbücher die Mannhaftigkeit des Schülers Tieck, es wäre ein Jubilieren.

Aber: Dieses Produkt reiner Bedürfnisbefriedigung liest sich schon verdammt gut. Geschickt in Szene gesetzte Wildererromantik, immer ist was los, kein Wort zuviel, keins zu wenig. Kein Zweifel: Hier schreibt ein kommendes Genie.

Denn, das sei angemerkt, Ludwig Tieck wurde später nicht nur zum „König der Romantik“. Er zählt bis heute zu den besten Prosaschreibern deutscher Zunge, immer wieder lesenswert, immer wieder überraschend. „Der bayersche Hiesel“ ist sein Gesellenstück, es zeigt den souveränen Umgang mit dem Metier und ragt als Exempel der „Räuber- und Mordsgeschichten“ weit aus der damaligen Produktion billiger Lektüre. Ein verdienstvolles Unterfangen, uns Heutigen dieses Stück zugänglich gemacht zu haben.

Ludwig Tieck: Der Bayersche Hiesel. Insel 2005, 188 Seiten, 7,50 €

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