Marktgesetze

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Wieso garantiert einem das Verlegen von Teppichböden, Bearbeiten von Akten oder Unterrichten von Kindern normalerweise ein passables Einkommen, nicht aber das Schreiben oder Übersetzen von Büchern? Ewige Frage.

Und immer wieder aktuell. Binnen weniger Stunden sind mir am Wochenanfang drei Informationen zugegangen, die eben diese Frage direkt oder indirekt stellten. Zunächst →die Meldung, man habe Tobias Scheffel die Übersetzung der Vargas-Krimis entzogen, weil er anstelle von Einmalhonorar eine Umsatzbeteiligung verlangt hatte. „Nur knapp über 1000 Euro verdient ein vollbeschäftigter Übersetzer im Monat nach Abzug von Büro- und Recherchekosten – ein Hungerlohn.“, schreibt die Berichterstatterin Dorothea Marcus, und dazu sei nichts weiter gesagt, geschweige denn kommentiert. Wir halten es als Faktum fest.

Bevor ich von Herrn Scheffels Schicksal erfuhr, hatte ich etwas in dem Reclam-Bändchen „Theorie des Kriminalromans“ geblättert und war auf einen Artikel von Ingeborg Zaunitzer-Haase gestoßen, 1971 im Wirtschaftsteil der „Zeit“ erstveröffentlicht, aber von ungebrochener Aktualität. Es geht um die Krimiproduktion der damals führenden Verlage Rowohlt, Ullstein, Goldmann und Heyne sowie die wirtschaftlichen Begleitumstände derselben. 2,80 DM kostete damals etwa ein rororo-Thriller, der in einer durchschnittlichen Auflage von 17.500 Stück „auf den Markt geworfen“ wurde, in die Bahnhofsbuchhandlungen zumeist. Von diesen 2,80 DM erhielt der Autor für gewöhnlich einen Groschen, so dass er, wurde die Startauflage abgesetzt, mit satten 1.750 DM den wohlverdienten Urlaub in seiner südfranzösischen Ferienvilla antreten konnte. Der Übersetzer, die Übersetzerin eines rororo-Thrillers konnte mit etwa 1200-1300 DM Honorar rechnen.

Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, die Verlagskalkulation einer kritischen Sichtung und Bewertung zu unterziehen. Ich gehe jetzt einmal ganz naiv davon aus, dass alles „seine Richtigkeit“ hat, für einen Autor, einen Übersetzer eben nicht mehr drin ist, Sortimenter und Buchhändler auch leben wollen, Verleger desgleichen, dass letztere nicht ausnahmslos Mercedes-Cabrios in der Doppelgarage haben und keinen Zweitwohnsitz in Steuerparadiesen.

Aber eine Sache Dinge fällt mir auf: Wie sehr sich Bücher in den letzten 30, 35 Jahren verteuert haben. Um das, über’n Daumen, Fünf- bis Sechsfache, also überdurchschnittlich, fast auf dem Niveau der unverschämten, dilettantischen, kundenfernen Deutschen Bahn, gewiss nicht auf dem der Löhne und Gehälter. Ich will auch das hier nicht kritisieren. Es mag gute Gründe dafür geben. Andere sehen das anders.

Der „Krimi-Couch“-Rezensent Thomas Kürten etwa, der seine →Besprechung von Daniel Dubbes „Tropenfieber“ mit den Worten beschließt:

„(…) bleibt der Preis des Büchleins ein ganz wesentlicher Kritikpunkt. € 12,90 für ein 160 Seiten dickes Werk ist schlichtweg eine Unverschämtheit und trübt die Krimi-Couch-Bewertung ganz wesentlich.“

Vergleicht man die Preise, so hat Kürten mit seiner Kritik scheinbar Recht. Bei Goldmann etwa verlangt man für 320 Seiten Ian Rankin, „Das zweite Zeichen“, ganze 7 €, ein Sonderpreis, ja, doch auch die regulären 8,95 € für Harlan Cobans „Kein Lebenszeichen“ sind bei 448 Seiten verglichen mit Dubbes dünnem Werk fast geschenkt. Dass dieses als „Broschur“ erschienen ist, also etwas besser ausgestattet als ein Taschenbuch, sei hier nur angemerkt. Den eklatanten Preisunterschied rechtfertigt es nicht.

Ein zweites Beispiel, der Unionsverlag: Für Thomas Kings „DreadfulWater kreuzt auf“ waren 10,90 € zu berappen, und das bei 320 Seiten. Jorge Francos „Die Scherenfrau“, 192 Seiten, zieht uns immer noch 8,90 € aus der Tasche.

Robert Bracks neuer Roman „Haie zu Fischstäbchen“, ebenfalls 192 Seiten, kostet hingegen bei der Edition Nautilus satte 12,90 €, Xavier Galls 150-Seiter „Angst und Zauber“ aus dem Conte-Verlag gar unerklärliche 14,90 €.

Unerklärlich? Der Leser hat natürlich längst gemerkt, was Herrn Kürten scheinbar entgangen ist: Die Höhe des Verkaufspreises hängt entscheidend von der Größe des Verlages ab. Schon als Kunde von Dienstleistungen des Druckereigewerbes dürfte der zu Random House gehörige Goldmann-Verlag bessere, das heißt billigere Karten haben als der eher mittelständische Unionsverlag oder die eher klein-mittelständische Edition Nautilus oder gar der kleine Conte Verlag. Von der Präsenz in Buchhandlungen, dem Vertriebsnetz und den Werbetats ganz zu schweigen. Ein paar Flops pro Saison werfen Goldmann nicht aus der Bahn, sie sind einkalkuliert. Dem Unionsverlag geben sie schwer zu denken, Nautilus und erst recht Conte brechen sie vielleicht den Hals.

Für die Großen der Branche gilt also: Möglichst viel auf den Markt werfen, um die Chance zu erhöhen, „Bestseller“ zu landen. Die tragen dann den Rest. Dass manche Billigheimer (Goldmann gehört ausdrücklich nicht dazu) auf Teufel komm raus den Markt mit schlecht lektorierten, lieblos präsentierten und meistens grauenhaft geschriebenen Krimis überschwemmen, ist eine lästige Nebenerscheinung dieser Praxis. Für die Mittleren gilt: Möglichst gleichbleibend gute Qualität bei nur leicht „erhöhten“ Preisen liefern, um auch mit einem „Achtungserfolg“ in die schwarzen Zahlen zu kommen. Kleinere Verlage hingegen haben, abgesehen von der niemals sterbenden Hoffnung auf den Sensationserfolg, nur eine Chance: Auf das am Finanziellen nicht endende Verständnis der Leser bauen.

Denn das Risiko ein wenig minimieren kann man am Besten über den Preis und überzeugt davon, eine potentielle Kundschaft vorzufinden, die sich von dieser Preispolitik nicht abschrecken lässt. Was aber bringt das dem Autor oder dem Übersetzer? Erhält Herr Brack, dessen Roman 4 € mehr kostet als der von Herrn Franco, diese 4 € als zusätzliches Honorar? Oder doch wenigstens 2 davon, einen…

Natürlich nicht. Der Autor bleibt in den Fängen des Prozentualen. Rechnen wir kurz durch. Ein Roman kostet 10 €, der Autor erhält davon 10%, also 1 €, verkauft werden 9000 Exemplare, macht 9.000 €. Jeder Autor, jeder Verleger wird jetzt laut auflachen, denn erstens erhalten die wenigsten Autoren 10%, schon gar nicht vom Ladenpreis, und auch 9000 Exemplare wollen erst einmal verkauft sein. Aber ich kann gar nicht so optimistisch rechnen wie ich will, um das Endergebnis zu schönen: Es bleiben dem Autor für, sagen wir 6 Monate Arbeit (das ist nun so ziemlich die unterste Grenze) 9000 € Lohn, macht 1500 im Monat, brutto natürlich. Will er dies übers ganze Jahr, muss er noch einen Krimi in sechs Monaten raushauen, davon wieder 9000 Stück verscherbeln…. genug: Es ist ein Hungerlohn.

Und selbst wenn das Buch nun, sagen wir bei Nautilus, 15 € kosten würde. Dann betrüge der Monatslohn des Autors eben 2000 €, davon kann man leben, hängt jedoch stets über dem Abgrund des ökonomischen Scheiterns, nur durch das fragwürdige soziale Netz von Hartz IV vor der wirtschaftlichen Zerschmetterung gesichert.

Fassen wir kurz zusammen: Der Buchpreis richtet sich nach den Marktverhältnissen, und die sind eben nicht für alle gleich. So oder so: Autoren und Übersetzer profitieren kaum oder gar nicht davon. Sie müssen, wie etwa Dubbe, mitansehen, wie man es ihre Bücher vergelten lässt, dass die Gesetze der freien Wirtschaft nun einmal so sind, wie sie sind. Versteigt man sich als „Privatmann“ gar zur Veröffentlichung eines 360 Seiten starken Werkes, das bisher schändlicherweise seit 150 Jahren ignoriert wird (ich nutze jede Gelegenheit zur Eigenwerbung!), muss man 22 € verlangen, um 2 € „Profit“ zu machen, von dem gefälligst auch noch die Digitalkosten zu bezahlen sind. Wird man das dann auch „unverschämt“ nennen?

Vor Jahren habe ich eine Satire veröffentlicht, deren Plot etwa der war: Jedem Buch ist eine Zahlkarte beigefügt. Hat dem Leser das Buch gefallen, kann er einen beliebigen Betrag an den Autor überweisen, quasi als Dank für das intellektuelle, sinnliche Vergnügen, das ihm der Text beschert hat. Die reinen Sachkosten hat er mit dem Buchpreis abgegolten, den immateriellen Wert honoriert er mittels besagter Zahlkarte. Da es wie gesagt eine Satire war (eine luftig feuilletonistische), wurde auch der umgekehrte Fall geschildert. Der Leser fordert den eben noch mit Lob und Geld überschütteten Autor zur Zahlung einer Entschädigung für vergeudete Lesezeit und Langeweile auf.

So weit wollen wir natürlich nicht gehen. Aber wäre es wirklich eine so schlechte und utopische Idee, jedem Krimi, den wir kaufen, eine Zahlkarte beizufügen? Und wenn dir das Buch gefallen hat und du ein wenig Geld übrig hast, trägst du 2,5 ode 10 € ein, alles für den Autor oder, bei übersetzten Titeln, zu gleichen Teilen für Autor und Übersetzer. Sorry, aber ich sehe momentan keine andere Möglichkeit, die anfangs gestellte Frage ad acta zu legen.

Anmerkung: Für die Bestimmung der Verlagsgrößen wurde ein quantitativer Vergleich der Herbstnovitäten angestellt (Unionsverlag: 28 Titel, Edition Nautilus: 11, Conte: 6), sie dient nur dazu, eine Relation zu veranschaulichen.

2 Gedanken zu „Marktgesetze“

  1. Lieber dpr,
    jo, feine Analyse – ist im Detail noch komplizierter. Verschiedene Verträge, Vorschüsse, Nebenrechte, Übersetzung/Übersetzungsförderung etc. Erstaunlich immer noch: Indis verkaufen pro Einzeltitel nicht unbedingt weniger als Konzernverlage. Und das, obwohl uns nur ein Bruchteil der in D. existierenden Buchverkaufsstellen überhaupt zur Verfügung stehen. Mit Rabatten, Aktionen, Werbemittel der Konzernverlage können wir natürlich nicht mithalten. Und wir haben auch kein angeschlossenes Print-Medien-Imperium. Anyway, es gibt uns noch …. Aber das war vermutlich nicht ganz Dein Punkt: Es ging um eine Kritik, die einen Autor (durch Bewertungsminderung) für etwas bashte, das mit seinem Buch nix zu tun hat. Ich kenne das Argument: Wenn Ihr mehr verkaufen wollt, dann macht halt die Bücher billiger. Als ob`s Toaster wären – die Schnäppchenmentalität ist allüberall. Ok, dann lasse ich Literatur à la Jorge Franco von einem Billigstammler für 5€ die Seite übersetzen und nicht von einer Top-Übersetzerin, Vorschuss (nicht verrechenbar, also bei Flop kein Geld vom Autor zurück – soll er doch sehen, wo er Geld herkriegt) streiche ich, nehme Papier, das meine Katze fürs Klo ablehnen würde, lektoriert wird nicht mehr und das Einwickelpapier für meine wöchentlichen Fischabfälle nehm ich als Cover. Dann kann ich billiger produzieren. Und dann kommt ein Kritiker, und findet den Text irgendwie blöde und schreibt, das Buch sei aber ästhetisch eine Zumutung. Bautz – ja, auch in der Halböffentlichkeit der Foren sollte es einen Hauch von Verantwortlichkeit geben. Oder Ahnung. Jaja, o sancta simplicitas …
    Kann es sein, dass ich alterradikal werde? Oder doch lieber altersmilde?
    Best
    TW

  2. Hallo tw,

    wenn unsere biologischen Uhren auch nur annähernd ähnlich ticken: altersradikal. Is auch besser so. Diese ganze Bücher-Geld-Sache erinnert man an meine selige Jugend, wo wir mit krachenden Röhrenverstärkern durch die Säle zogen und für Einsfuffzig aufgespielt haben. Als wir dann besseres Equipement kauften und plötzlich Zweifuffzig verlangt haben, waren wir die Raffkes und Verräter an der Hippieklasse. Irgendwie stirbt das nie aus: Das Nichtkapieren, dass Qualität und Preis in einem ursächlichen Zusammenhang stehen.

    bye, bevor mich die Erinnerung noch radikaler macht
    dpr

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