„Oh.“ Mehr hat sie nicht gesagt, die adrette Frau Andernach-Bietschüssel, bei der wir VHS-mäßig „Mit Blogs in 80 Tagen zum Millionär“ werden wollten, aber, weil das partout nicht zu klappen scheint, resolut unser Geld zurückgefordert haben. Kundenbindung! Tz! Reinfall! Schuss in den Ofen! Und die Dame sagt nur: „Oh“.
Aber schließlich sammelt sie sich, und wir können sie dazu überreden, sich unseren wunderbaren Blog anzuschauen. Und schon sagt sie wieder „oh“. Diesmal sind wir beunruhigt.
„Oh.“ Und dann, gemurmelt: „Na, das kann ja nichts werden mit der Leserbindung.“
„Wie bitte?“, fragen wir scheinheilig, als hätten wir nicht verstanden, was da aus dem roten Lippenmund gepresst worden ist.
„Die Leserbindung“, wiederholt Frau Andernach-Bietschüssel, „das kann nichts werden damit, wenn Sie Ihre Leser gleich wieder wegschicken.“
„Tun wir das?“ Wir sind etwas konfus und fragen es uns tatsächlich: Tun wir das? Schicken wir unsere Leser gleich wieder weg, verjagen wir sie wie lästige Fliegen oder aufdringliche Bundestagskandidaten in der Fußgängerzone?
„Hier“. Frau Andernach-Bietschüssel (uns wäre es auch lieber, sie hätte einen kürzeren Namen) zeigt auf den rechten Rand des Bildschirms. „Eine Linkliste! Alles Konkurrenten!“
Wir winken lachend ab. „I wo! Das sind doch nur die Alligatorpapiere, so ne Art Tagesschau in der Krimibranche, der Kommissarblog von der jungen Dame da, die angeblich in Prag einen Winzerkrimi schreibt, desweiteren der Blog von der sehr verehrten Frau Paprotta, die Kaliberseite, wo wir uns von dem Herrn Wörtche immer unsere Ideen herholen und zwei Krimi-Portale mit den üblichen Krawall- und Befindlichkeitsforen. Keine Konkurrenz!“
Frau Sie-kennen-den-Namen-ja-jetzt guckt wie es das Fräulein Schwarz in der Schule immer getan hat, wenn mal wieder die ungemachten Hausaufgaben fällig waren. „Und was ist mit Krimiblog? Sie haben doch auch einen. Warum verweisen Sie hier auf einen direkten Futterkonkurrenten?“
Na, jetzt lachen wir aber ab. „Ha, ha, ha, das ist doch nur Ludger! Und den Namen müssen wir wohl ändern, der Ludger hat sich die Domain „Schafschänderblog.de“ gesichert. Völlig unter dem Niveau unserer hochverehrten Leser!“
Aber Frau Dingsbums ist nicht überzeugt. Sie klickt und scrollt sich durch unseren schönen Blog, ihre Miene verfinstert sich zusehens.
„Mein Gott“, stellt sie abschließend fest, „da wimmelt es ja nur so von LINKS! Kleine Pfeilchen, die alle sagen: Geh woanders hin! Weg von hier! Es gibt ein kriminelles Leben außerhalb des Hinternet-Weblogs! Ich sehe schwarz für Ihre Leserbindung!“
Und bevor wir noch recht wissen, was wir darauf antworten könnten, hebt sie zu dozieren an. Womit sie ja auch schließlich ihr Geld bei der Volkshochschule verdient.
„Meine Herren! Internet und Marktbeherrschung, das verträgt sich nicht. Wer den Markt beherrschen will, muss sich abschotten. Muss so tun, als sei er der einzige seriöse Anbieter seiner Art von Leistung. Kleinstaaterei! Separatismus! Biedermeier-Idyll! So funktioniert Wirtschaft, meine Herren! Nun ist auch mir nicht unbekannt, dass das Internet ursprünglich anderen Gesetzen zu gehorchen hatte. Man ist vernetzt, man schließt sich zu einer Informationsplattform zusammen, zu einem demokratischen, uneigennützigen virtuellen Geschöpf mit vielen einzelnen, unabhängigen Gliedern, zusammengehalten vom großen Leib staatsbürgerlicher Mündigkeit und medial-aufklärerischer Souveränität. Sie verstehen?“
„Ja, ja“, nicken wir schnell ab, verstehen aber natürlich kein Wort. Frau A-B fährt fort: „Schön. Sie träumen also vom mündigen Leser, der sich deshalb an Ihre Unternehmung gebunden fühlt, weil Sie es ihm nicht nur erlauben, auch die Konkurrenz zu begutachten, sondern ihn sogar ausdrücklich dazu auffordern. Welch eine Naivität! Der Leser will Ketten! Er möchte die Sicherheit eines kleinen Gartens, der ihn vor dem Dschungel schützt, in den SIE ihn treiben! Vergessen Sie das Internet! Schaffen Sie viele, viele kleine Internets, Käfige im großen Zoo der Information. Und dann fangen Sie sich Ihre Leser und lassen Sie sie nie mehr aus den Klauen! Der Link ist der Feind des Profits. Merken Sie sich das! Noch Fragen?“
Selbstverständlich nicht. Wir betrachten Frau Andernach-Bietschüssels nun endlich wieder geschlossenen Mund, einen Mund, der nicht lügen kann. Und wir machen uns an die Arbeit. Programmieren eine klitzekleine Software, die zukünftig, wer unseren phantastischen Blog genießen möchte, herunterladen und auf seinem Rechner installieren muss. Gegen eine geringe Gebühr. Und mit der Zusicherung, dass dank dieser Software das browsermäßige Ansteuern aller auch nur im Entferntesten krimiaffinen Sites, außer der unsrigen einzigartigen, rigoros unterbunden wird. Die Software durchsucht die gewünschten Seiten nach verdächtigen Schlüsselwörtern („Mord“, „Krimi“, „Menke“ usw.). Findet sie eins davon, bricht der Übertragungsvorgang sofort ab und eine Wahnmeldung erscheint: „Sie haben soeben versucht, eine andere Krimiseite als die einzig wahre aufzurufen. Unterlassen Sie das gefälligst!“
Ausgenommen von dieser kommunikationstechnischen Hygienemaßnahme sind die „Alligatorpapiere“, und auch das nur, weil dieses nie genug zu preisende Medium sich verpflichtet hat, 50% seiner EInnahmen an uns abzutreten. Jetzt brauchen wir zwar 90 Tage bis zur ersten Million, aber immerhin.
Ach, Leser! Es kommen herrliche Zeiten auf dich zu! Es wird sein wie damals, als die Postkutsche einmal im Jahr den „illustrierten Kalender für den frommen Landmann“ brachte, man durch ihn erfuhr, was so alles passierte in Feld, Wald, Flur und sonstigem Leben. Da prasselte abends das Feuer im Kamin und die Welt war in Ordnung.
Anmerkung: Diese Schnurre des lustigen Wochenendes fußt auf einer wahren Begebenheit aus den Tiefen des Netzes.
Hallo dpr,
es ist, so gebe ich zu, schon lange her, als ein Chemielehrer in der Schule versuchte, uns beizubringen, dass nicht alles was geschrieben wird – und in den Schulbüchern steht – wahr ist. Er war nicht sehr erfolgreich, über 90% der Schüler wählen nach einem Jahr seiner Bemühungen Chemie ab.
Für mich ist das natürlich der Kern wissenschaftlichen Denkens: Das Zweifeln. Das Urvertrauen in das geschriebene Wort ist dennoch kaum zu erschüttern und das Bedürfnis sich eine „zweite Meinung“ einzuholen, demzufolge gering. Wahrscheinlich ist die Buchstabengläubigkeit in der Schulzeit tief in uns eingebrannt worden. Wenn ich so in den Foren lese [nicht nur im Krimibereich], wundere ich mich manchmal, wie wenig die unglaublich tolle Möglichkeit des Netzes genutzt wird, den „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu finden.
Keep trying
bernd
Hallo Bernd,
das „Urvertrauen in das geschriebene Wort“ ist im Vergleich zum „Urvertrauen in das digital ausgestreute Wort“ ja noch fast seriös. Wenn mir jemand per Buch Quatsch erzählt, kann ich den Urheber und seine Helfershelfer (Lektor, Verlag) zur Not anprangern. Aber im Internet? Haut jeder Depp „Informationen“ online: falsche, verfälschte, veraltete… Informationsflut erfordert eine Verstärkung der Deiche, damit nicht der ganze Mist ins Hirn flutet. Selektieren, verifizieren, klassifizieren… gute alte Wissenschaft, jo. Da dies natürlich nicht geschieht, gibt es kein besseres Verblödungsmedium als das Internet. Also: alles abchecken, abwägen und nur Not: mal wieder zu einem Buch greifen.
bye
dpr