(Dieser emotionale Beitrag bezieht sich auf die „Rezensentenethos“-Diskussion. Siehe letzte Beiträge. Zitiert wird nicht.)
Totale Hygiene ist die Wurzel der Krankheit. Übertriebene Reinlichkeit kann Allergien auslösen, schwächt unsere Abwehrkräfte – und gedeiht doch nie bis zu jenem Zustand der Vollkommenheit, der uns dazu legitimieren würde, als perfekte Saubermänner und –frauen aufzutreten.
Dass wir in einer Gesellschaft der Hygienehysterie leben, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Es sind zumeist die allerschlimmsten Dreckspätze, die mit Schnüffelnase und anklagendem Zeigefinger durch die Landschaft tappen, bigotte und lupenreine Körper, in denen eine dreckige Seele wohnt, eine Mentalität, die zum Himmel stinkt, ein Gehirn, darauf kapriziert, Unrat zu denken. Wasch dich mal, du! Und tust du das nicht, wäschen WIR DICH.
Nein, ich bestehe weiterhin auf das Bisschen Dreck, das mich von allen anderen unterscheidet, die sich von allen anderen unterscheiden, weil sie eben auch ein Bisschen dreckig sind. Ich bin nicht objektiv sauber. Ich weiß nicht, was Objektivität ist, und ich will es auch gar nicht mehr wissen. Ich bin ein Subjekt mit meinen eigenen Regeln und Gewohnheiten, meinen eigenen Schwächen und Stärken, meiner eigenen Ideologie, meiner eigenen moralischen Richtschnur. Das muss jetzt kein Mensch glauben, aber das ist so.
Ich schreibe Rezensionen. Unter anderem. Seit etwa Anfang 2005 in meinem Weblog, davor überall sonst, wo man sie haben wollte und vielleicht sogar bereit war, dafür zu zahlen (was seltener der Fall war als umgekehrt). Als ich mit dem Rezensieren von Kriminalromanen anfing, kannte ich niemanden aus der „Branche“. Keinen Krimiautor, keinen Verleger, keinen Herausgeber, nicht einmal Leser. Jetzt ist das anders; hat sich so ergeben. Aber rezensieren tue ich nach wie vor so, wie ich angefangen habe. Ein Buch lesen, sich darüber Gedanken machen, diese Gedanken in eine ansprechende und hoffentlich informative Form bringen, dann veröffentlichen. So soll es sein.
Aber das ist nicht überall so. Überraschung. Wäre ich nicht drauf gekommen. Wäre ich natürlich doch. Man reiche mir eine xbeliebige Dissertation und ich sage dir nach flüchtiger Begutachtung des Anmerkungsapparates, bei welchem Doktorvater der Verfasser, die Verfasserin promoviert hat. Bei der zitierten Person mit den meisten und positivsten Einträgen nämlich. Das ist keine Zauberei, sondern Leseerfahrung.
Finden Sie das jetzt schmutzig? Ach wo! Ich sag Ihnen mal was: Wenn Sie promovieren, werden Sie zur Hure. Sie verkaufen sich dem- oder derjenigen, der am Ende den Daumen nach oben heben oder nach unten senken kann. Und später wird es kaum anders. Sie beschmutzen sich – oder fallen auf die Schnauze. Sie katzbuckeln oder Sie wandern aufrecht in die Arbeitslosigkeit. Shocking: Ich versteh das. Wäre ich Doktorand würde ich es ja genauso machen. Ich würde darauf vertrauen, dass jeder, der nicht ganz vom äußersten Ende der bewohnten Welt kommt, das auch weiß und damit umgehen kann.
Tut mir leid, wenn Sie das anders sehen. Überall werden sie miteinander handgemein: das Ideal und die schnöde Wirklichkeit, die Moral und das Materielle. Damit so etwas nicht überhand nimmt, gibt es Gesetze und, eben, den inneren, subjektiven Berg Sinai, von dem mir irgendein Gott (Herr Freud mag es „Überich“ nennen) seine Gesetzestafeln entgegenwirft. Wenn ich nach ihnen lebe, bin ich ein integerer Mensch; wenn nicht: dann eben nicht.
Ei, fein. Natürlich hätte auch ich gerne die Gewähr, dass alle so denken wie ich und dass auch ich, so mal die schnöde Wirklichkeit über das Ideal zu triumphieren droht oder das Materielle über die Moral, durch einen allgemeinen Kodex in meine Schranken verwiesen würde oder, bei Übertretung, bestraft.
Nehmen wir doch mal ein kleines Beispiel. Verleger A. schickt mir ein Buch von Autor B., der ihm mich, den wir jetzt mal Rezensent C. nennen wollen, zur Belieferung mit einem kostenlosen Exemplar anempfohlen hat. Selbstverständlich hat mich B. vorher angemailt. Du, hör mal, ich hab da’n neues Buch… Na, okay, lass ma’ kommen. Und dann kommt es.
Jetzt gibt es drei realistische Möglichkeiten. Erste: Das Buch gefällt mir. Zweite: Das Buch gefällt mir nicht. Dritte: Das Buch ist solala. Ganz normal also noch, kein Unterschied zu jedem xbeliebigen Werk eines xbeliebigen, mir unbekannten Verfassers. Aber jetzt.
Reaktion auf Möglichkeit eins: Buch hat gefallen, wird positiv besprochen. Aus. Reaktion auf Möglichkeit zwei: Buch hat nicht gefallen. Wird auch nicht besprochen. Reaktion auf Möglichkeit drei: Buch solala, ich weiß nicht, ob ich es besprechen soll.
Nicht mehr normal. Reaktion auf Möglichkeit zwei bei einem mir unbekannten Autor: Buch wird verrissen. Ich schone also Autor B., den Freund oder wenigstens Bekannten. Ist das verwerflich? Mag sein; aber wer würde anders handeln? Ich; manchmal. Wenn das Buch mich nämlich so ärgern würde, dass ich es auf jeden Fall besprechen und in die Ecke stellen müsste, und wenn der Autor damit nicht klarkommt, ist das sein Bier, dann hat er nicht kapiert, was Schreiben für die Öffentlichkeit heißt. Das mag man nun glauben oder nicht. Ich gebe zu, dass ein mir bekannter Autor eher mit der Nicht-Besprechung davonkäme als ein mir unbekannter, allerdings ist es auch nicht so, dass es hier keine Ausnahmen gibt. Ich verreiße grundsätzlich keine Bücher, die jemand auf eigene Kosten publiziert hat, in irgend einem Wahn vielleicht, was weiß ich. Das ist natürlich nicht in Ordnung, und das weiß ich auf jeden Fall. Aber auch das ist so.
Summa: Ein mir bekannter Autor hat generell bessere Chancen, der gerechten Strafe zu entgehen. Was er nicht hat: einen Freibrief. Ich nenne einen Bockmist kein Meisterwerk, keine Mediokrität ein „über dem Durchschnitt“ angesiedeltes Elaborat. Ich nenne aber, verdammt noch mal, ein gutes Buch ein gutes Buch, und hätte ich es selbst geschrieben, würde ich es auch so nennen und nicht vor falscher Bescheidenheit hinter den nächsten Pfosten kriechen.
Ich habe, wie gesagt, inzwischen eine Reihe von Leuten kennengelernt, die „irgendwie“ mit Krimis zu tun haben. Ich stehe zum Beispiel mit dem Autor B. in Kontakt, weil ich mit ihm ein Projekt plane, und dieser Autor B. hat einen Krimi geschrieben, den ich positiv besprochen habe. So what? Was brächte es, würde ich folgenden Disclaimer meiner Rezension vorsetzen: „Liebe Leute, das ist eine Rezension, die ihr nicht ernstnehmen sollt. Ich kenne nämlich den Autor bzw. stehe zu ihm in einer Arbeitsbeziehung“. Na toll.
Aber nehmen wir doch jetzt mal an: Es gäbe eine „Medienethik“, einen „Kodex für Rezensenten“, der es ihnen bei Androhung von Strafe untersagte, die Erzeugnisse befreundeter Autoren zu besprechen. Erstens: Dieser Kodex wäre natürlich höchst unvollständig, da er es dem Rezensenten auch untersagen müsste, die Erzeugnisse seiner Feinde / Gegner zu besprechen. Und irgendwann käme irgendein kluger Mensch auf den Gedanken, dass man nur noch die Bücher von Leuten besprechen darf, die man vorher weder gelobt noch getadelt hat, zu denen man also in einem – aha! – absolut sauberen, sprich toten Verhältnis steht.
Die Folgen. Wenn Sie Autor oder Kritiker oder Verleger oder Herausgeber sind: separieren Sie sich. Ziehen Sie in die Einsamkeit, verkaufen Sie Ihr Telefon, Ihr Internet, schreiben Sie keine Briefe, antworten Sie auf keine. Zuwiderhandlung wird mit Ignoranz bestraft. Wenn ich mit dem Autor B. auf der Buchmesse auch nur ein paar nette Worte gewechselt habe, darf ich ihn nicht mehr besprechen. Könnte ja einer gesehen haben und in seinem propperen Gehirn gleich die noch proppereren Schlüsse ziehen. Am Ende wird es dann so sein, dass jeder durchschnittlich kommunikative Autor froh sein kann, wenn ihn Fräulein Bertha aus Husum für den „Husumer Krimiboten“ bespricht, weil hier der „Rezensentenkodox“ noch voll greift.
Aber bitteschön. Her mit dem Kodex. Ich unterschreibe ihn sofort. Eine Heuchelei mehr auf dieser Welt, kommt eh nicht drauf an. Ein weiterer Sieg für die Ritter der objektiven Gerechtigkeit, der sauberen Mattscheibe, des sauberen Schreibpapiers, der sauberen Hirnkästen.
Soweit das, was ich zu diesem Thema schreiben kann, ohne mir Beleidigungsklagen einzuhandeln. Beitrag wurde nicht korrekturgelesen.
::die allerschlimmsten Dreckspätze
Wie heißt der Plural von Spatz?
Na?
Spitze!?
Hallo Meister Zander,
im Saarland heißt es „Dreckspätze“! Dieser Artikel ist nicht nur emotional, sondern auch regional gefärbt.
bye
dpr