Kanonisierung

Geologen träumen von nichts sehnsüchtiger als von einem Vulkanausbruch, den sie aus nächster Nähe beobachten können. Literaturinteressierten bietet sich ein ähnlich beeindruckendes Naturschauspiel, wenn sie die aktuellen Feuilletons verfolgen. Sie werden Zeugen einer Kanonisierung, der Unangreifbarmachung eines Textes, und ihres ach so profanen Hintergrundes: Ignoranz und Überforderung.

Natürlich geht es um Detlef Opitzens „Der Büchermörder“. Um; nicht gegen. Der Autor selbst ist, wie der gemeine Leser, nur Zuschauer; hilflos, vielleicht irritiert, wenn er einigermaßen bei Groschen ist: sauer. Kein Autor mag es, wenn man Etiketten an seine Bücher hängt. Kein Autor ist Herr der Klappentexte, die man andernorts zusammenbosselt, um ein Buch zu verkaufen. Was ja nicht ehrenrührig ist. Bisweilen aber reichlich komisch.

Der Eichborn Verlag hat gute Arbeit geleistet. Noch bevor „Der Büchermörder“ gehandelt wurde, hatte er gehandelt und seine Mythen ausgestreut. Etwa, dass Herr Opitz, der hier über einen Bibliomanen schreibe, selbst Bibliomane sei und seine Bibliothek beim Pokern verloren habe. Oder dass es sich um ein „Sprachkunstwerk“ handele. Dann kam das Buch, wurde gelesen – und, ich wette, nicht verstanden. Hingenommen, vielleicht, ja, das wohl. Man las und las und las und wusste: O leck, ich muss was drüber schreiben! Was aber?

Die Sache mit der verzockten Bibliothek. Kommt immer gut. Fehlt fast nirgendwo. Vor allem aber: das Sprachkunstwerk. Einfach mal schreiben. So etwa:

„In Opitz‘ sprachlich wie inhaltlich ungewöhnlichem Husarenstück (…)“ (Claudia Höhn, →„Märkische Allgemeine“, 5.11.05) – „(…)den Autor auf seinem Parforceritt durch die deutsche Sprache begleiten (…)“ (Maran Alsdorf, →„Literaturzirkel“) – „(…) dessen barock überbordende Sprache (…)“ (Andreas Merkel, →„taz“, 30.8.05) – „(…) springt er mühelos vom verschnörkelten Kanzleideutsch des 18. Jahrhunderts ins Kneipendeutsch der Gegenwart. Wer sich auf dieses oft mühsame, bestimmt nicht schnell zu konsumierende Spiel mit der deutschen Sprache einlassen mag, erwartet ein besonderes Lesevergnügen.“ (Kirsten Baukhage, dpa, häufig abgedruckt, z.B. →hier) – „In Detlef Opitz sprachgewaltigen Bibliophilenroman (…)“ (→„Buch aktuell“)

Die in diesem Blog schon →zitierten Stimmen mal ganz außen vor gelassen. Es gibt auch andere, aber wenige. In seiner →„Büchernachlese“ schreibt etwa Ulrich Karger: „L’art pour l’art Verfechter werden das Buch über die Maßen lieben und verteidigen, alle anderen finden inhaltlich Gewichtigeres woanders.“ Thomas Wörtche urteilt auf dem →„Leichenberg“: „Und schüttet uns mit seinen Zettelkästen zu bis wir nach Luft schnappen und vermauert selbst das letzte Löchlein noch mit einem manierierten, Pseudo-19.-Jahrhundert-Deutsch mit aktuellen Brüchen, dass man tränenden Auges bald nimmer will. Ooh, Prätention!“

Interessant sind hier aber die Lobeshymnen, denn ihnen ist eines gemein: Sie behaupten, was schon der Klappentext behauptet: Sprachkunstwerk. Nun sind aber Rezensenten keine Klappentexter, die einfach nur behaupten sollen. Sie sollen belegen. Ein Buch ist keine Backmischung, bei der man nur die Zutaten identifizieren und mengenmäßig verifizieren muss. „Dieses Buch enthält 500 Gramm Sprachkunst und ist deshalb gut für die geistige Durchblutung.“ Nee, so einfach ist es nicht.

So einfach ist es eben doch. Ein Buch, dem ich „Sprachkunst“ unterstelle, ohne sie zu belegen, wird unangreifbar. Es wandert in den Kanon der wertvollen Werke, wo es zustaubt, einen Heiligenschein bekommt, irgendwann in irgendwelchen Schul-Literaturgeschichten auftaucht, ungelesen bleibt – bis nach 30 Jahren jemand den Text mit kritischem Auge prüft und sich betroffen fragt: Sprachkunstwerk? Wo denn bitte?

Und überhaupt: Sprachliche Opulenz ist kein geborenes Positivum. Die Sprache eines Textes sollte angemessen sein, mehr nicht. Friedrich Glauser war kein „Sprachkünstler“, Raymond Chandler kein „barock-opulenter“ Krimiautor. Aber sie befleißigten sich einer „angemessenen Sprache“ und wurden kanonisiert, weil dieses perfekte Ineinandergreifen von Sujet und Ausarbeitung überzeugte.

Nichts davon bei der Opitz-Rezeption. Man liest ein Buch und sucht nach Worten, es zu beschreiben. Man findet sie nicht. Also greift man auf den Klappentext, später, wenn die ersten darauf basierenden Kritiken erschienen sind, auf die Platitüden dieser zurück. Und das ist ärgerlich. Es ist immer ärgerlich, wenn dem Leser Wort- und Deutungshülsen um die Ohren gehauen werden, doppelt ärgerlich, wenn diese Hülsen einen Text sofort mit dem schützenden Drachenblut des Kritikerverdikts überziehen.

Es ist, nebenbei, auch ein Bärendienst, den man dem Autor erweist. Der, wir wollen es hoffen, nicht zehn Jahre seines Lebens geopfert hat, um nun beobachten zu müssen, wie man das Produkt seiner Bemühungen leichtsinnig und gedankenlos in den Orkus der kritischen Beliebigkeit rauschen lässt.

Und noch etwas: Ein Buch, das ein „Sprachkunstwerk“ ist und von vereinzelten Lesern nicht verstanden wird, weist hämlich auf diese Leser. Du bist dumm. Du hast keine Ahnung. Du bist ein ganz gewöhnlicher Krimikonsument. Diese Stimme hat für Opitzens „Büchermörder“ anscheinend der Leser Uzinger übernommen, der, den Klappentext wie ein vernichtendes Kruzifix in der Hand, durchs Netz geistert und inquiriert. Da mag sich die gute Lisa nicht so recht mit dem Büchermörder anfreunden und kriegt ihre geistige Unterlegenheit gleich →kommentiert:

„Ach liebes Mädel, was hast Du nur? Ist wer gestorben? Ist es Liebeskummer? Also, da gibt es endlich mal wieder mit dem „Büchermörder“ (TINIUS) von Detlef Opitz ein Buch, das die Sprache hat, das Material hat, die spannenden bücherkundlichen)Recherchen hat, das all das hat, worauf wir Bibliophilen, Bibliomanen, kurzum, wir Bücherverrückten uns immer sehnen, ausgerechnet dann ist Dir der falsche Kerl übern Weg gelaufen, wie tragisch, wie schade. Wie leid Du mir tust.
ABER, wenn es Dir nun einmal nicht gut geht, aus welchen Gründen auch immer, warum schaffst Du es in einer solchen Situation nicht, Dich einmal einfach nur herauszuhalten, einfach mal darauf zu verzichten, Punkte zu vergeben. Ich meine es ganz lieb: einmal ohne Dich – geht nicht gleich die Welt unter. Mit freundl. Grpssen, Dietrich Nicolai Uzinger“

Hier gibt einer sprachlich den Pseudoopitz, weniger barock, eher bankrott. Wir freuen uns schon auf seinen Exorzismus in diesem unserem Blog.

12 Gedanken zu „Kanonisierung“

  1. Schnee wär schön. Dichte Flocken im Blog. Dass man keine drei Buchstaben weit kommt: und kein kaltes Knochenkotzen mehr kriegt, weil hier halt immer noch die Argumentation nach der im Verborgenen zitternden Kompassnadel ‚Kritik ist bloß Geschmackssache’ ausgerichtet ist. Und genau da, lieber dpr, liegt (immer noch) das Problem.

    Winterfeste Grüße
    Connie

  2. Ja mei, Connie, die einen finden Schnee schön, die andern fluchen, weil die Straßen glatt sind. Geschmackssache? Nicht doch! Manchmal mag man Schnee, manchmal nicht; alles eine Frage der Umstände. Also geht es um Umstände, nicht um Geschmack. Und die werden halt mal kurz beschrieben. Mehr nicht. Buch ist übrigens vorige Woche raus. Büchersendungen dauern bisweilen länger. Wenn dus kriegst – kurze Mail?

    bye
    dpr

  3. Hi dpr,

    dass das Kritikerhandwerk gern mit Werbetexterei verwechselt wird, kann man nicht mal richtig übel-, sondern bloß noch resigniert zur Kenntnis nehmen. Weil die Ekelgrenze in der Einkaufsmeile
    halt auch vor dem Buch als bloßem Marktartikel nicht halt macht: zu
    viel Auswahl, zu viele billige Imitate, rationierter Ramsch und massenweise abverlangte Kaufentscheidungen, die nichts mehr mit Bedarf zu tun haben. Braucht die Welt den Wegwerfartikel ‚Katzenkrimi’?

    Blanke Werbetexterei untergräbt glaubhafte Kritik (hoffentlich noch) nicht. Anders sieht es bei der von dir angesprochenen Gleichmacherei und Beliebigkeit aus: darunter fällt nicht nur der Silbenschaum von Burschen, die ihr Examen in einem Orchideenfach gebaut haben oder Unsicherheit in der Urteilsfindung , die Rezensenten volle Deckung hinterm Klappentext suchen lässt. Zur Gleichmacherei neigen eben auch jene, (und hier wird’s gefährlich!), die ein Werturteil an sich schon für verwerflich und bevormundend halten. Und stattdessen ein bisschen Blabla zusammenmixen,
    aus dem sich dann jeder Leser seinen eignen Ethikcocktail schüttlen soll.

    In einer besseren Welt stünden Verrisse als äußerstes Extrem eines Werturteils nicht im Vedacht, unseriös zu sein. In einer besseren Welt würden Kritiker nach fest umrissenen Regeln arbeiten und Maßstäbe setzen. In einer besseren Welt könnte man als Leser fröhlich zugeben, dass man sich von glaubhaften Kritikern gerne etwas sagen lässt, dass man gerne von deren Erfahrung profitiert, dass unschuldiges Dazulernen nicht automatisch die eigenen Meinungsbildung ausknipst. ‚Sich etwas sagen lassen’ ist allerdings leider schwer aus der Mode gekommen. Und: es geht ja Im Rezensentengeschäft nicht nur um das Bewertungsmuster ‚gut’ oder ‚schlecht’, sondern eher um ‚platt’ und ‚tief’. Obenauf schwimmen Silbenschaum und Werbetextbröckchen, aber im Idealfall zeigt jeder gewissenhaft
    arbeitende Kritiker die Vielschichtigkeit eines bestimmten Werkes auf. Und in der Summe all dieser Teile würde nur der Marketingexperte das ganze Buch suchen.

    Cheers,
    Connie

    PS: NP nicht in Sicht. Postkutschenüberfall!?

  4. Eigentlich brauche ich noch immer keine „festumrissenen Maßstäbe“, den einen, entscheidenden ausgenommen: Nimm das was du liest: ernst; nimm den ders geschrieben hat: ernst; nimm die, die dich lesen: ernst. Bessere Welt, das hast du schon recht.

    bye
    dpr

  5. Hallo dpr,

    je nach Betrachtungsweise kann ein Elektron ja ein Teilchen oder eine Welle sein. Deshalb: Muss man den Opitz eigentlich als Krimi lesen ?

    Wie ich die Kritiken verstehe, scheint es nicht gerade ein Werk zu sein, das ich mit abgekauten Nägeln läse. Dann verschöben sich aber doch die Bewertungsmassstäbe und das Manieristische erhielte vielleicht eine Existenzberechtigung.

    Mit besten Grüßen

    Bernd

    PS
    Wenn das so weitergeht, wird Dir der Opitz noch zutiefst dankbar sein müssen, denn dann würde ich mir noch eine eigene Meinung bilden müssen – wozu ich im speziellen Fall eigentlich keine Lust habe !

    Auch muss ich zugeben, dass ich, nachdem ich zuerst nur Deine Texte gelesen hatte, auch an Sterne denken mußte.

  6. Nee, Bernd, als Krimi lese ich den auch nicht. Sondern als Roman. Sonst nix. Bestenfalls wäre das ein Fall für die „KrimiX“-Reihe und damit auch reizvoll. Interessant ist schon, dass in einigen Rezensionen ganz diskret darauf hingewiesen wird, dies sei natürlich kein gewöhnlicher Krimi…ham ja recht! Aber der Tonfall…
    Nö, ich will hier keinen nötigen, den Opitz zu lesen. Aber auch niemanden davon abhalten. Verspreche auch, dass ich nur noch einmal den Opitz in der Mangel hab, wenns nämlich zum Resümmee meiner Zweitlesung kommt. Dann ist überhaupt die ganze Rezensentenschule aus und alle atmen auf!
    Sterne? Bernd!!! Sterne!!! Messieurs, wir erheben uns von unseren Plätzen!

    bye
    dpr

  7. ‚Nö, ich will hier keinen nötigen, den Opitz zu lesen. Aber auch niemanden davon abhalten. Verspreche auch, dass ich nur noch
    einmal den Opitz in der Mangel hab, wenns
    nämlich zum Resümmee meiner Zweitlesung kommt.’

    Ha! Momentchen mal, dpr: bevor die Staatliche Schulaufsicht dein
    Klassenzimmer für höheres Rezensieren versiegelt, treibt mich da
    noch eine klitzekleine Frage um:

    Soll das etwa heißen, dass wir uns diese ganzen rohgeschnitzen, halbgaren, schlechtverdaulichen Leseeindrücke, dieses
    etappenweise erkämpfte Tändeln und Taktieren, dieses hinhaltende ‚beating around the bush‘ angtan haben, um am ersehnten Ende
    mit einem läppisch wachsweichen Resümee (-mit einem ‚m’, bitte,
    das ist doch sonst hier der Job des Herrn Z!-) abgespeist zu werden!? Resümee statt Rezension, Persipan statt Marzipan: überall die
    billigere Variante. Na denn schöne Ferien – und das Zeugnis unterschreibste wohl am besten auch gleich selbst.

    (Hinten links. Fensterplatz)

  8. Ja, so ist der Schulalltag nun mal: nichts als Enttäuschungen. Das wachsweiche Resümmee (mit Doppel-m, das ist meine Marotte) wird vielleicht nicht so wachsweich? Das Halbgare – nun ja, hab ich je mehr versprochen in dieser Phase? Leseeindrücke sind immer schlecht verdaulich. Deshalb rezensiert man ja und gibt keine Leseeinddrücke zum Besten – meistens jedenfalls; jetzt halt mal nicht; das muss niemand interessant finden; aber lass mir doch noch den Trumpf, den ich im Ärmel habe, ja? Oder soll ich, jetzt erst recht, Trumph schreiben?

    bye
    dpr

  9. mojn dpr,

    ‚You can’t bluff someone who’s not paying attention‘
    (House of Games by David Mamet).

    Aber okay, Nachsitzen nach Schulschluss geht in Ordnung –
    solange du den Trumpf nicht aus dem Ärmel eines
    Kordjacketts mit kreisrunden Lederflicken auf den Ellbogen
    ziehst.

    cheers
    Connie

  10. Warum nicht Cordjackett? Es ist braun, etwas abgenutzt, aber schützt gut gegen den kalten Wind. Der Trumpf ist exakt der, mit dem ich damals Herrn Opitz die Bibliothek beim Pokern abgeluchst habe.

    bye
    dpr

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