Schule der Rezensenten – Opitzstunde 1

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Lesen ist ein Prozess, Rezensieren ein anderer. Widmen wir uns mal dem Lesen. Am Beispiel von Detlef Opitz, „Der Büchermörder“, einem Buch, das ich beim ersten Lektüreanlauf nach wenigen Seiten zur Seite gelegt habe, was – und das ist schön so – Proteste seitens der Blogleser provozierte. Warum mir das Buch nicht gefiel, fasse ich heute noch einmal etwas mehr en détail zusammen. Und dann, was mir beim zweiten Lektüreanlauf so alles in den Sinn kommt. Das ist noch keine Rezension. Das sind die Vorarbeiten, die man später meistens nicht mehr sieht.

Vorbemerkung: Auf Detlef Opitz’ „Der Büchermörder“ habe ich mich so gefreut, dass ich, gegen meine sonstige Gewohnheit, irgendwann beim Eichborn Verlag nachgefragt habe, ob das Buch schon erschienen sei und man mich bei der Auslieferung der Rezensionsexemplare womöglich vergessen habe? Hatte man nicht, und also landete das Päckchen eines schönen Tages auf meinem Schreibtisch.

Wer sich mit Literatur und Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas ausgiebiger beschäftigt hat, dem ist der Pfarrer Tinius so sicher über den Weg gelaufen wie der Weimarer Großdichter persönlich. Doch ach!, haut man einem hier die Festmeter Buch nur so ins sich sträubende Regal, ist die Aktenlage, geschweige die literarische, in Sachen Tinius, der aus Buchbesitz- und Sammelwahn zum Mörder geworden sein soll, dünn und unbefriedigend; da hat er recht, der gute Herr Opitz, mit seinem Lamentieren.

Einen „Krimi“ hatte ich mir nicht erwartet, ja, ich wäre enttäuscht gewesen, mich durch ein pseudowissenschaftlich aufklärerisches Werk nach dem „So war’s“-Prinzip arbeiten zu müssen, noch enttäuschter, einen „Historienkrimi“ wie eine dieser unsäglichen „So schön wars im 19. Jahrhundert“-Fernsehserien vorgesetzt zu bekommen. Aber das stand nicht zu befürchten. Zwar hatte ich noch nichts von ihm gelesen, wusste indes, dass Opitz im Verdacht eines originellen, mit Sprache und Form arbeitenden, demzufolge in Bestsellerlisten notorisch abwesenden Kopfes steht. Schön; dann also ran.

Erster Lektüreversuch: Auf Seite 55 abgebrochen. Warum? Wegen der Sprache vor allem. Manierismus, unzerkaut ausgespucktes 19. Jahrhundert im Maelstrom des von Herrn oder Frau KlappentexterIn mal als „virtuoses Sprachspiel“, mal als „Sprachgewalt“ abbrevierten Opitzstils.

Inhaltlich zunächst einigermaßen überschaubar: Geborenwerden und Jugend des „Helden“, dann der erste Mord, die Witwe Kuhnhardt muss dran glauben, Leipzig 1813 haben wir, Napoleonische Kriege das historische Stichwort. Gelegentliche Abschweife des Autors ins Hier & Jetzt.

Ja, die Kuhnhardtin hats erwischt, und die Untersuchung beginnt, das Zeugenvernehmen und Indiziensammeln. Opitzens Taktik erkennt man schnell und hat nichts gegen sie einzuwenden. Er beschreibt nicht zielgerichtet analytisch, sondern breitet gleichsam eine Fläche von Fakten (insonderheit Zeugenaussagen) vor uns aus, die einander wiedersprechen, so oder so gedeutet werden können. Das bereitet uns darauf vor, dass die Wahrheit keine eindeutige Verbindung von A nach B ist, vielmehr ein höchst willkürliches Konstrukt aus zusammengezimmerten, vagen Interpretationen, und, genau, Herr Opitz, so sehe ich das ja auch.

Aber die Sprache, die Sprache. Eine Kostprobe:

„Otto Ernst Christian Höpffner, 47 Jahre alt, betreibt eine Schankwirthschaft im Preussengäßchen 47, direkt neben der Hohen Lilie am Ausgang zum Neuen Neumarkt, wo der Klavierlehrer Wieck wohnt, bald aber Theo Althoff, und lange Zeit später das HO-Kaufhaus Centrum seinen Ort bekam, will heißen: Karstadt wieder.“ (S. 36)

Dass Herr Höpffner eine „Schankwirthschaft“, nicht etwa ein dudeske „Schankwirtschaft“ betreibt, ist einer der Tricks des Sprachgewaltigen, uns das 19. Jahrhundert ins 21. zu übertragen. Dass dort just Karstadt seine Waren feilbietet, verdeutlicht dieses Opitzsche Springen von einem Säkulum ins andere und wieder zurück. Hinzukommt: Das Buch hat einen ungewöhnlich breiten äußeren Rand, und dort steht vereinzelt, in kleinerer Schrifttype, etwas Erläuterndes. Hier, auf Höhe des Karstadt, etwa das:

„Stand 25XI’04: Bauloch; zwei Wände stehen noch“

Manchmal sind es auch Aktenzeichen oder Auszüge aus Akten, die dort stehen, und dagegen habe ich nichts, wie schon erwähnt, wiewohl es mir beim Lesen nicht mehr zu Gute kommt, weil ich das Prinzip eh schon begriffen habe. Ständiges Hin und Her, das eine mit dem anderen verzahnt, die durch Übernahme von orthografischen Eigentümlichkeiten der Erzählzeit in die Schreibzeit untermauerte Technik, Originalzitate in den Stil des Autors zu integrieren etc., das ist weder neu, noch originell, das hat, mit dem Wechsel von Damals und Heute, wenn ich das richtig sehe, als erster Dieter Kühn in seiner Wolkenstein-Biografie gemacht, und das war 1977 und das war nicht manieriert, weil viel behutsamer und nicht so auf die Sprachkacke hauend.

Aber Opitz? Was mag ich nicht an seiner Sprache? Erstens: zu durchschaubar. Bringt nicht viel. Dann dieses Lakonische, dieses Humorige vor allem, das Opitz meistens überfällt, wenn es um die Zeugin Henriette, genannt Jette, Schmidt geht, Dienstmädchen bei der Ermordeten. Zitat:

„Jette war die wichtigste Zeugin in der Untersuchung, das stand fest! Jette war die Last zu tragen bereit! Das auch! Niemand sonst hatte den Verbrecher im Hausflur gefunden! Niemand sonst den kalten Schweiß auf seiner Stirn entdeckt! Wer wurde durchbohrt und geschändet und von den messerscharfen Blicken des Schlächters um Haaresbreite selbst noch tödtlich verletzt? Zeugin Schmidt, keine andre, mochte sie parterre oder sonstwo wohnen.“ (S. 46)

Pardon, aber das ist keine Sprachgewalt, das ist aus mehreren Gründen Sprachvergeudung. Was Jettchen denkt oder nicht denkt, es ist das, was Opitz denkt oder nicht denkt, einer aus dem 21. Jahrhundert, keine aus dem 19., aber genau da wäre es interessant geworden. Über dieses Denken und Tun damals indes erfahren wir nichts, alles versinkt im Opitzstil, im Opitzmeinen. Wir sehen Mamsell Schmidt, wie sie – och, ich bin die wichtigste Zeugin! – rumstolziert, als hätte sie gerade eine Nebenrolle bei „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ ergattert, ganz Mittelpunkt, ganz Diva. Nö, so nicht. Und von Sprachspielen ist außer ein paar Witzchen auch nicht viel zu sehen: „Curzum und Allesinallem“ (41), „inmittelst“ (43) und der Kutscher Georg wird angeblich „Tschordschi“ gerufen… Boah, nee, Schluss, lesen wa lieber was anderes!

Aber nein: Lesen wirs noch mal. Am Mittwoch geht es weiter, zweiter Versuch, die ersten ca. 100 Seiten. Gegenrede natürlich wie immer erwünscht.

5 Gedanken zu „Schule der Rezensenten – Opitzstunde 1“

  1. Bei der ersten Kostprobe hatte ich – warum auch immer – so eine Off-Stimme aus einem Spielfilm der 60er Jahre (Peter Alexander, Peter Kraus etc.) im Ohr, die diesen Text aufsagt. Solche Assoziationen habe ich eher selten.

    Ansonsten hört sich das alles sehr anstrengend an. Aber du wirst für deine schwere Arbeit ja sicher auch entsprechend bezahlt.

  2. Das mit der Offstimme ist gar nicht so schlecht…nun kann das ja Absicht sein und es braucht noch ein paar Seiten, bis ich drauf komme, welche. Bis dahin verbrenne ich täglich das viele Geld, das ich hier verdiene. Wohin denn auch sonst damit.

    bye
    dpr

  3. mein lieber,
    schön und gut, aber nachdem ich sie unlängst noch ermunterte und nachfragte, wo ihr opitz-büchermörder-tagebuch denn endlich bleibt, bin ich nun, indem ich das lese, den allerersten teil, entsetzt von ihren ausführungen. ich hatte mir mehr erwartet, souveräneres, aber nun lese ich nachgerade ein psychogramm, nicht opitzens, daran haben sich schon andere versucht, ihres.
    ich bin im moment leider zu eingebunden und kann nicht konkret und so ausführlich reagieren, wie es nötig ist, weil es mir an zeit fehlt, aber in drei, vier tagen will ich ihnen konkret antworten auf dieses furchtbar destruktive gesülz. ich bin kein rezensent und habe mich nie in dieser disziplin versucht, aber sofern sie sich als solchen betrachten, so sagen sie mir bitte, welche allergeringsten voraussetzungen man eigentlich erwarten darf.
    wie gesagt, ich antworte ihnen noch detaillierter, oder auch nicht, ich weiß i.m. nicht, aber das, was sie jetzt schrieben, ist borniert, was allein nicht schlimm wäre, aber es ist so borniert, dass ich es gar nicht fasse für den moment und die kurze zeit, die mir zur lektüre & beantwortung zur verfügung steht. bis kürzlich,ihr dietrich nicolai uzinger

  4. Danke, Herr Uzinger.
    Das mit den Rezensenten-Psychogrammen scheint in Mode zu kommen, das mit dem Nicht-Genau-Lesen ist ja schon seit Beginn der Sprache en vogue.
    NEIN, das hier ist keine Rezension. Ich erwähnte es schon mehrmals. Das hier ist der Versuch, Leseeindrücke wiederzugeben und halbwegs zu ordnen, vorläufig zu werten. Die Rohmaterialien gewissermaßen.
    Aber tun Sie sich keinen Zwang an. Psychologisieren Sie mich, schälen Sie mir die Borniertheit aus dem Buddhagesicht des selbstzufriedenen Rezensenten. Dafür gibt es das Unternehmen ja. Gegenrede!

    bye
    dpr

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