Sylvia Maltash Warshs Roman „Find me again“ ist ein zweifacher Rückgriff auf die Historie. In der Gegenwart (genauer 1979) in Toronto, Kanada ist da erst einmal eine Geschichte, die gespeist wird von einem komplexen Beziehungsgefüge, welches sich in Polen zur Zeit der Naziokkupation und „Befreiung“ durch die Sowjetunion zwischen jüdischen Polen und nicht-jüdischen Polen entwickelt hatte. Als eine der beteiligten Personen tot im Swimmingpool aufgefunden wird, stellt sich heraus, dass eine von dieser Person verfasste Geschichte in der Geschichte, die im 18. Jahrhundert angesiedelt ist, der Schlüssel zur Lösung eines Verbrechens ist.
Dreh- und Angelpunkt des Buches ist Dr. Rebecca Tempel, eine Ärztin, die schwer am Tode ihres Mannes trägt. Sarah, ihre Schwiegermutter, ist eine Überlebende des Holocaust und trägt schwer am Verlust all derer, die sie in der Vergangenheit und Gegenwart verloren hat. Beide erhalten Besuch aus Polen. Halina, eine frühere polnische Angestellte der Eltern Sarahs und deren Tochter. Die Tochter hat möglicherweise Leukämie und Rebecca wird gebeten zu helfen. Mutter und Tochter haben Glück, das notwendige Geld für eine teure medizinische Behandlung ist vorhanden: Der Ehemann Halinas musste 1945, als die Sowjets kamen, Polen verlassen und ist mit Hilfe des Sohnes der Gutsaufsehers des Gutes, in dem Halina während des Krieges Unterschlupf fand, mittlerweile in Kanada reich geworden.
Eine Geschichte aus dem vollen Leben gegriffen: Die labile Beziehung zwischen jüdischen Polen und nicht-jüdischen Polen und die Nachwirkungen des Holocausts über die Zeit hinaus. Es ist aber auch eine Rätselgeschichte voller Symbolik, eintauchend ins 18. Jahrhundert [so würde es Dan Brown machen wollen, wenn er denn könnte]. All das erzählt die Autorin gekonnt, die unterschiedlichen Jahrhunderte auch in der Sprache abgrenzend. Die Erzählperspektive wechselt immer wieder, die Dialoge sind gelungen, sie lassen den Personen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen ihre eigene mündliche Ausdrucksweise.
Während die Geschichte abrollt, legt die Autorin Faden um Faden aus, gebildet aus den Erlebnissen der gemeinsame Geschichte und den eigenen individuellen Erfahrungen, bis ein dichtgewirktes Gefüge entstanden ist. Dabei ist das Ganze zu klug konstruiert, als könnten der Autorin dabei die Fäden aus der Hand geraten und sie sich verheddern. Und so ist „Find me again“ ein Buch, welches respektvoll mit seiner sensiblen Thematik umgeht, aber es katapultiert den Leser nicht in einen emotionalen Rausch.
Es ist der zweite Roman der Autorin, die ähnlich schon in ihrem ersten Buch arbeitete, und erhielt vollkommen zurecht den Edgar, als beste Taschenbuchneuerscheinung des Jahres auf dem US-amerikanischen Markt. Sensibel, mit seiner Geschichte in der Geschichte aus dem 18. Jahrhundert auch als Würdigung von Literatur und des Lesens deutbar, spannend, wenn auch ohne Actionszenen, weicht er vom üblichen US-amerikanischen Mainstream ab. Das ist aber vielleicht auch kein Wunder, handelt es sich bei der Autorin doch um eine deutschstämmige jüdische Kanadierin.
Sylvia Maultash Warsh: Find me again.
Castle Street Mysteries 2003. 450 Seiten, 7,99 €