Charles Todd, das amerikanische Mutter-Sohn-Duo, hat einen Gordischen Knoten durchschlagen und schreibt englische Landhauskrimis mit düsterer Unterkellerung. Und das alles mit einer einzigen genialen Idee. Was auf Dauer zu wenig sein dürfte.
Ländliches England. Ein Mord geschieht, der offensichtliche Täter, verwirrter Veteran des gerade beendeten 1. Weltkriegs, ist schnell gefasst. Doch wo befinden sich die beiden Kinder und der Ehemann der Toten? Ian Rudledge, Inspector bei Scotland Yard, reist an, um das Geheimnis zu lüften.
Das könnte so gemütlich werden. Dörfchen mit Miss Marples bevölkert, denen man diskret über die Straße hilft, ein Inspector im Kreise seiner Verdächtigen, von denen einer nach 400 Seiten ob der drückenden Beweislast und offensichtlicher Übermüdung der Leserschaft resigniert das Handtuch wirft, während Kaminfeuer weiterknistern und die Milch im Tee gerinnt.
Aber jetzt kommt der Trick, und er hat einen Namen: Hamish. Hamish ist tot, von Rudledge während des Krieges wegen Befehlsverweigerung exekutiert, fortan als „innere Stimme“ des neurotischen Inspektors tätig, ein Psychohelferlein, das seinen Wirt analysiert, bisweilen zur Ordnung rufen muss, warnt und schlussfolgert. Diese Privatneurose legt sich über die Story, die Topografie, die Personen, alles ist zerbrochen, selbst das Idyll riecht nach Schützengraben, nur die ehernen Gesetze des Whodunit gelten nach wie vor.
Ich gebe zu, dass mich das, als ich voriges Jahr →„Stumme Zeugen“ las, beeindruckte. „Dunkle Spuren“ arbeitet nach dem gleichen Prinzip, und der aktuelle ins Deutsche übersetzte Band, „Die zweite Stimme“, wohl auch. Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass Originelles, ständig wiederholt, schnell belästigt. „Dunkle Spuren“ leidet unter diesem Gesetz, zumal die Methode überstrapaziert wird. Gleich fünf der männlichen Hauptpersonen sind kriegstraumatisiert, was die Geschichte nicht vertieft, sondern breitgewalzt. Das Trauma als „Achtung, gestört!“ – Etikett auf den Seelen ansonsten kaum erkennbarer Personen.
Ian Rudledge bleibt ein interessanter Charakter, keine Frage. Ein Grübler, ein Gescheiterter, ein Mitleidiger, der doch zu seelischen Grausamkeiten tendiert, wenn es der Wahrheitsfindung dient. Aber all das hat scheinbar nur eine Quelle – besagte „Schützengrabenneurose“- und wird ständig auf nicht immer hohem Niveau thematisiert, was auch dem Erzählfluss nicht zugute kommt.
Wäre „Dunkle Spuren“ mein erster Roman von Todd gewesen, ich hätte mich wohl damit arrangieren können, zumal der Krimi als Krimi ganz in der Tradition englischer Charleston-Whodunits gut funktioniert. Der Täter ist nicht der Täter, der Ermittler verliebt sich in die Hauptverdächtige, familiäre Abgründe tun sich auf, Intrigen werden gesponnen usw., doch das liest man gelegentlich immer wieder gern.
Angesichts des Potentials der Hauptfigur ist das aber zu wenig, und wir sind gespannt, ob die beiden Todds ihren auf Dauer zu sparsam dimensionierten Helden demnächst mit einer Weiterentwicklung beglücken. Dann nämlich könnte es noch was werden. Und zwar, bitte, bitte, lieber Verlag, ohne ein dämliches „Brigitte“-Zitat auf dem Umschlag.
Charles Todd: Dunkle Spuren. Heyne 2005. 414 Seiten, 8.95 €