Rückschau halten kann jeder. In die Zukunft blicken: nur dieser Blog hier. Was also bringt uns das Krimijahr 2006? Lassen wir das Übliche beiseite; all die tollen Regionalkrimis, die wunderbaren Themenkrimis, die phänomenalen Serienmörder- und Gerichtsmedizinerinnenkrimis, die unglaublichen… nein, nur die Highlights, bitte! Meister, schauen Sie in Ihren Kaffeesatz!
Erstes Quartal
Die Silvesterknaller sind noch nicht zur Gänze detoniert, da brechen zwei merkwürdige Gruppen von Reisenden zu einer abenteuerlichen Tour ans andere Ende der bewohnten Welt auf. Der Verleger von Grafit und der Herausgeber von metro rüsten Expeditionen zur unzugänglichen sibirischen Halbinsel Kamtschatka aus, wo vertrauenswürdigen Gerüchten zu Folge der erste kamtschuktschische Krimi geschrieben worden ist. Die Kamtschuktschen, man weiß es, sind eine klitzekleine, wahrscheinlich indogene Minderheit, kaum noch 17 Personen stark, selbst in der Blüte ihrer Kultur waren es kaum 18. Sie sprechen Neukamtschuktschisch, doch der Kriminalroman, den einer von ihnen geschrieben hat (ein Mann namens Oleg Kamtschuktschikow), ist in Altkamtschuktschisch, das nur noch zwei Personen fließend beherrschen, eine davon besagter Oleg Kamtschuktschikow, die andere seine hinfällige Mutter, Larissa Kamtschuktschikowa. Dieser Roman ist also schon unter linguistischen Aspekten eine Sensation, eine Übersetzung ins Deutsche ein garantierter Verkaufserfolg. Ausgerüstet mit dem besten, was die outdoor-Anbieter ihnen aufschwatzten, begeben sich der Grafit-Verleger und der metro-Herausgeber mit ihren Teams auf den spannenden Wettlauf um die Übersetzungsrechte. Ein Großteil der Strecke wird via Transsibirische Eisenbahn zu bewältigen sein; aber dann? Vorsichtshalber hat der metro-Herausgeber 17 Schlittenhunde im Gepäck.
Aufregung bei der Verkündung der diesjährigen Preisträger des Deutschen Krimipreises (DKP). National fällt der Titel an Jan Seghers und seinen Kriminalroman „Die Braut im Schnee“. Begründung der Jury: So schön ist seit hundert Jahren Kafka nicht mehr paraphrasiert worden, das ist ja fast Literatur. Das Syndikat, an seiner Spitze einige rothaarige Frauen, tobt und verlangt ein sofortiges Verbot der DKP. Der Innenminister verspricht, den Antrag wohlwollend zu prüfen. International gewinnt Astrid Paprotta mit „Die Höhle der Löwin“. Die in Dublin gebürtige Autorin wurde von Andrea Fischer aus dem Amerikanischen →übersetzt.
Literarisches Highlight im Februar: David Peace mit „1977“. Aus der Verlagswerbung: „Jetzt mit 533 Kotzszenen! Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde sicher!“
Anne Chaplets ebenfalls für Februar angekündigter Thriller „Sauberer Abgang“ verzögert sich in der Auslieferung, da Frau Chaplet den Roman an entscheidenden Stellen umzuschreiben gedenkt. Wir sind gespannt.
Zweites Quartal
Die beiden Expeditionen nach Kamtschatka sind in Moskau eingetroffen. Der Grafit-Verleger gründet die Deutsch-Russische Gesellschaft zur Förderung des Regionalkrimis und gewinnt Herrn Altkanzler Schröder als Vorsitzenden. Dieser wiederum setzt sich bei Freund Putin dafür ein, die Expedition des metro-Herausgebers durch staatliche Willkür zu torpedieren. Als beide Expeditionen endlich den Transsib besteigen, tut dies auch Ludmilla Fedorowskaja, Agentin des KGB. Ihre Aufgabe wird es sein, den metro-Herausgeber mit allen nur denkbaren unmoralischen Mitteln von seinem Vorhaben abzubringen.
Skandal bei der diesjährigen Criminale des Syndikats. Gewinner des Glauser ist – Jan Seghers mit seinem Kriminalroman „Die Braut im Schnee“. Begründung der Jury: Ein Roman, der schon vor zig Jahren von Franz Kafka paraphrasiert wurde, kann so schlecht nicht sein. Bei der von Handgreiflichkeiten und verbalen Kapitalverbrechen gekennzeichneten Übergabe des Preises beschließen alle Syndikatsmitglieder ihren sofortigen Austritt – mit einer Ausnahme. Herr Ludger Menke, seit seinem bei Suhrkamp erschienenen Regionalkrimi „Dauerbrand im Sauerland“ ordentliches Mitglied des Syndikats, übernimmt als einzig verbliebener Autor sämtliche Vorstandsämter in Personalunion.
Die Veröffentlichung von Anne Chaplets „Sauberer Abgang“ verzögert sich weiterhin. Was von der Presse indes kaum zur Kenntnis genommen wird. Sie konzentriert sich auf David Peace, der in einem Interview gesteht, sein „1977“ enthalte lediglich 398 Kotzszenen. Der Verlag dementiert und verspricht eine unabhängige Prüfung.
Die Vorausschau auf das dritte und vierte Quartal erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. Der Blogger sammelt den Kaffeesatz ein, tut ihn in ein Filterpapier. Das gibt noch ein gutes Tässchen…
Hallo dpr,
zur indigenen Bevölkerung Kamtschatkas sei noch angemerkt, dass sie in früheren Zeiten für ihre wochenlangen Reisen durch die öde Tundra getrockneten Fliegenpilz mitnahm (meine Quelle schreibt „mitnimmt“, ist aber aus den 70er Jahren). Durch Kauen des Pilzes wurde Amanitin freigesetzt, welches die Reisenden in „berserkerhafte Rauschzustände“ versetzte. Da das Zeugs teuer war/ist und unverändert im Harn ausgeschieden wird, sammelten sie diesen, nahmen ihn wieder zu sich und hatten so „die ewige Kneipe erfunden“.
Wir können uns also auf einen gehaltvollen Krimi freuen.
Mit besten Grüßen
bernd
Hallo Bernd,
du kennst dich ja verdächtig gut aus… bist du etwa von einer der Parteien als Sachverständiger engagiert worden? Jetzt verstehe ich auch deine vagen Andeutungen, „2006 nicht so viel zu schreiben, weil ich eine längere Reise machen muss…“ Bernd, Bernd, ob das gutgeht?
bye
dpr