Detlef Opitz: Der Büchermörder

Liebe Leute, tut euch bitte diese Rezension nicht an. Und wenn ihr die Warnung schon in den Wind schlagt: Lest auf eigene Gefahr. Meint der es ernst? Will er uns veräppeln? Ja, wenn ich das wüsste!
„nieder mit ihnen! ihm! aus!“ – So beginnt, nach 354 Seiten, Detlef Opitz’ Roman „Der Büchermörder“.

Das glaubt wieder einmal kein Mensch. Der Autor pfeift mich an: „Doch es deucht uns keine gute Art zu sein, den Gaul von hinten aufzuzäumen; ein Toast auf die gepflegte Chronologie!“ (270)

Schon recht, Meister. Damit können Sie meinetwegen das Feuilleton in Schach halten; das hört nicht einmal die Beatles rückwärts, um endlich zu erfahren, dass Paul McCartney längst tot ist, und Bücher von hinten, das gilt schon gar nicht.

Also: Springen wir flugs aus dem „Büchermörder“ heraus und kurz in ein anderes merkwürdiges Dichten hinein. Edgar Allan Poe.

Der den Krimi erfunden hat. Jedenfalls den, der so geht: Etwas Schreckliches ist passiert und keiner kann es sich erklären. Dann kommt einer und erklärt es doch dank der ihm eigenen logischen Kraft, und natürlich steht genügend Gaffervolk zum Staunen und Lobpreisen dieser Kraft um ihm herum, den Meister. Mei, was da abgeleitet wird! Und vom Einzelnen aufs Allgemeine geschlossen! Deduktion, Induktion. So. Und jetzt drehen wir das mal um.

Etwa so: Jemand erklärt uns schlüssig, wie oder was oder wer jemand ist. Alles nachgewiesenermaßen. Und jetzt gehen wir einfach zurück, bis wir den Punkt des Mysteriums erreicht haben, dorthin also, wo Arsène Dupin etwa die schrecklichen Morde in der Rue Morgue aufklären soll. Die Frage ist doch: Wo landen wir da? Am Anfang, von dem aus wir das Ende wieder ohne Umwege erreichen können?

Poe selbst hat das übrigens praktiziert, in zwei grandiosen Prosatexten, „Arthur Gordon Pym“ und „Das Tagebuch des Julius Rodman“, das war vor den Krimis, aber die begreift man nur, wenn man weiß, dass sie eigentlich nur „Pym“ und „Rodman“ andersrum sind. Vom Mysterium zur Erkenntnis, nicht mehr von der Erkenntnis zum Mysterium. Das erste nennt man Rationalität, das zweite Psycho-Analyse (nicht „Psychoanalyse“, das ist eine Trademark der Freud-Schule und quasi eine Unterabteilung der Psycho-Analyse).

Und jetzt der Sprung zurück zu Opitz. Opitz von vorne nach hinten gelesen, das ist „Krimi“, also vom Mysterium zur Erkenntnis. Keine Geheimnisse mehr. Wenn wir am Anfang nur wenig über Tinius, den Büchermörder, wussten, dann wissen wir am Ende gar nichts über ihn, also war das Wenige das Mysteriöse und die Erkenntnis lautet: Tinius ist nicht mehr vorhanden. Er ist leergerichtet, leergedichtet worden, kein Geheimnis mehr.

„Es heißt, Georg Tinius traf mit einem schweren Koffer voller Schriften in Grabendorf ein. Manche glauben, er trug sein Lebenswerk mit sich herum, sein großes orientalisches Opus, das hier Vollendung finden sollte, andere meinen, es waren die Prozessakten und der Magister strebte eine Revision seines Verfahrens an.“ (343)

Das ist es, was von Tinius geblieben ist: die Aktenlage: das Buch: der Mythos. Das Leben ist ihm ausgetrieben worden, von der Justiz, aber hier, im Buch, eben von Opitz, der Kunststückchen macht wie ein Winkeladvokat vor den Geschworenen, die seine Leser und Rezensenten sind. Billige Sprachtricks, das gehört zur Strategie, damit kann man ihnen immer kommen, da sperren sie die Mäuler auf, die funktionalen Analphabeten. Aufgeblasene Syntaxereien, müde Witzeleien, gar „Mehrspaltiges“, oh, da denken wir aber gleich an „drei oder vier oder fünf Ebenen“ und werden still wie die armen Sünder, wenn der Pfarrer predigt. Clou aber: Das muss vernünftig enden. Das ist ja alles eigentlich Unsinn, so wie die meisten Krimihandlungen vom logischen Standpunkt her Unsinn sind und also am Ende der Geschichte irgendwie stimmig gemacht werden müssen. Opitz macht das, indem er seine Tricksereien einfach auslaufen lässt in eine justitiable Sprache, volltönendes 19. Jahrhundert mit disziplinierten Exkursen in die Neuzeit. Das überzeugt.

Und jetzt rückwärts, also Psycho-Analyse, also „Pym“ und „Rodman“. Der Autor schreitet mit dem, den er da leergeschrieben hat, die Dinge noch einmal ab – gegen die chronologische Laufrichtung, wohlgemerkt! – und plötzlich ist nichts mehr mit der Kraft des Faktischen. Die zerstiebt wie die wohlgesetzte Sprache, alles löst sich auf in Willkür, Sprachsalat und Witzchen, aber es ist ein Unterschied, ob einer aus Sprachsalat und Witzchen sein Plädoyer bosselt oder ob das Plädoyer in Sprachsalat und Witzchen zerfällt. Aber so kommt es.

Am Ende, das heißt am Anfang, steht er da, der Tinius, von dem wir scheinbar alles wussten, das heißt gar nichts, und jetzt wenig, das heißt alles: Er ist ein Mysterium. So wie Arthur Gordon Pym auf der geheimnisvollen Insel Tsalal in einem dichten Gestöber mysteriöser weißer Flocken. Und das Buch ist zu Ende. Oder fängt von vorne an.

Nämlich das ist es: Die Erkenntnis ist das Ergebnis windiger psychologischer Strategien, und die Psycho-Analyse endet im Mysteriösen, aus dem kein Weg zur Erkenntnis führt. Aber das ist die Wahrheit, und die kennen wir jetzt. Also lesen Sie mal den „Büchermörder“ rückwärts. Und dann lesen Sie Poe und dann noch mal den „Büchermörder“ Oder andersrum.

Detlef Opitz: Der Büchermörder. 
Eichborn 2005. 354 Seiten, 24,90 €

3 Gedanken zu „Detlef Opitz: Der Büchermörder“

  1. meine Mutter hat immer befürchtet, ‚Literatur und Kriminalität‘ könnte ansteckend sein: Klauen oder Krimis schreiben. Nix von beidem.

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