„Worin, lieber dpr, sitzen Sie denn gerade, wenn Sie nicht auf völlig unqualifizierte Weise den Opitz büchermördern?“ Diese Frage lese ich des öfteren, zum Beispiel jetzt, wenn ich lese, was ich gerade geschrieben habe. Nun, das Jahrbuch halt. Als Herausgeber hat man eben nicht nur einen Schreibtischjob, nein, man trommelt seine Mannen und Frauen zusammen, um das Letzte an Meinungsäußerung aus ihnen herauszuquetschen. So wie gestern beim Kritikerstammtisch. Ein teures Vergnügen (selbstverständlich habe ich „alles bezahlt“), aber hat sich gelohnt. Und das schreibe ich jetzt auf. Kleine Textprobe gefällig?
Kritikerstammtisch
Um derer zu gedenken, die nicht in einer ausführlichen Rezension gewürdigt werden konnten, es aber (aus welchen Gründen auch immer) verdient hätten, hat der Herausgeber (im Folgenden: der Vorsitzende) ganz Krimikritikerdeutschland zu einem gemütlichen Kritikerstammtisch geladen. Ort: ein virtuelles Lokal irgendwo in Deutschland.
Die Runde buckelt müde über kleinen Bieren und Mineralwassern, doch das widerwillig hingemurmelte „Verzehr geht selbstverständlich auf meine Rechnung…“ des Vorsitzenden sorgt unvermittelt für gehobene Stimmung. „Nun“, beginnt der edle Spender, „starten wir unser geselliges Beisammensein doch vielleicht mit Rainer C. Koppitz und seinem Wirtschaftsthriller ‚Machtrausch’.“
Kopfnicken und –schütteln, bis Tobias Gohlis seinen Augenblick der Speisekarte entzieht und der gespannten Runde zuwendet. „Es handelt sich um einen dieser Krimis, die man nicht wegen ihrer eleganten Sprache liest, sondern weil der Stoff spannend ist.“ Ulrich Noller nickt bedächtig, wenngleich mit einem im Mienenspiel angedeuteten Kontra in der Hinterhand: „Wie Rainer C. Koppitz die ökonomischen Wertwettkämpfe der letzten Jahre in einem einzigen, fiktiven Unternehmen spiegelt und wie er die Psychogramme der Matadoren zeichnet, das würde beim Lesen nicht nur Herrn Müntefering erfreuen.“ „Rainer C. Koppitz weiß, wovon er spricht“, weiß Andrea Fischer, der aber der Müntefering gar nicht gefallen hat, „er arbeitet selber seit Jahren im Management von großen Firmen. Und kann doch einen Kriminalroman schreiben – womit er unser Vorurteil widerlegt, dass da oben nur Rechenmaschinen sitzen.“
Noller, der sein Kontra noch immer als finalen Pfeil im Köcher hält, schaut, die Kollegin fixierend, vom Bier auf: „Rainer C. Koppitz weiß zwar einen Suspense zu setzen;“ (beim „zwar“ zuckt Andrea Fischer empfindlich zusammen), „und er hat ein Händchen für Figurenzeichnung. Sprachlich kommt seine Prosa aber über die Dynamik einer Aufsichtsratsvorlage selten hinaus. Und – was das Schlimmste ist – er erzählt derart geschwätzig, selbstbesoffen und geschmäcklerisch, dass es auf Dauer kaum zu ertragen ist. Da hat sich einer ganz offensichtlich in eine Art literarischen Blutrausch geschrieben. Tja, wenn so die Guten sind, die’s in unserer Wirtschaft richten sollen – dann gute Nacht, Deutschland …“
Gespannte Stille. Hui, das war kontrovers! Der Vorsitzende, kein Freund von Handgreiflichkeiten, hat sich vorsichtshalber die Bibel eingesteckt, um brisante Situationen durch das Vorlesen erbaulicher Stellen zu entschärfen. Er wird zu spät merken, dass er leider das Alte Testament gegriffen hat. „Schön, schön…“, murmelt er, „sehr interessant, doch, doch. Hat vielleicht der Kollege Wörtche noch etwas…“
Wörtche, der – natürlich! – das teuerste und blutigste Gericht des Hauses genüsslich zerlegt, antwortet kurz, klar, klipp und kauend: „Kompetente Wirtschaftsthriller braucht das Land. ‚Machtrausch’ ist einer.“ Und gabelt ein Häuflein weißer Trüffeln schneller als es das kompetenteste Trüffelschwein je würde finden können.
Die kursiv gesetzten Passagen stammen aus folgenden Rezensionen:
(Rainer C. Koppitz: Machtrausch. Gmeiner 2005):Tobias Gohlis, Die Welt, 27.8.05; Ulrich Noller, Deutsche Welle; Andrea Fischer, Tagesspiegel, 10.7.05; Thomas Wörtche (am Stammtisch gesprochen)
(Ende der Leseprobe)
Man sieht schon: Das wurde ein famos lustiger Abend, mit einigen kleinen Überraschungen noch, aber die erfährt nur der Käufer des Krimijahrbuchs 2006 (vorbestellen? →Hier natürlich.). In dem es, auch das sei nicht vergessen, nicht immer so schnurrig zugeht. Hier musste es sein, da meine ursprüngliche Absicht, die Zitate alleine sprechen zu lassen, keine Fürsprecher beim →Gesetzgeber gefunden hat.
„Desweiteren dürfen Zitate nur in selbständige Werke aufgenommen werden. Das verwendete Zitat darf folglich nicht Hauptgegenstand des Werkes sein. Vielmehr muß das neue Werk unabhängig von aufgenommenen Zitaten inhaltlichen Bestand haben. Eine reine Zitatensammlung ist jedoch kein selbständiges Werk.“
Ja, das sind Fußfallen, denen ein Herausgeber zu entgehen hat, will er nicht verkatert aufwachen. So wie heute morgen. Nach dem Kritikerstammtisch. Mensch, können die saufen, die Rezensenten!