Christian von Ditfurth: Das Luxemburg-Komplott

Am 15. Januar 1919 ermorden Mitglieder eines Freikorps Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die Führer des Spartakusbundes, und schlagen damit endgültig den gemeinsam von Spartakisten und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) initiierten „Januaraufstand“ nieder. Das sind die historischen Fakten. Was aber wäre geschehen, hätte man Luxemburg und Liebknecht freigelassen und die Revolution gesiegt? Das ist die Fiktion, aus der Christian von Ditfurth einen bemerkenswerten Politthriller gemacht hat.

Sebastian Zacharias, einst Kriegsgefangener in Russland, später Mitglied der terroristischen Geheimpolizei Tscheka, wird von Lenin persönlich mit einem heiklen Auftrag zurück in die deutsche Heimat geschickt. Er soll Rosa Luxemburg, Haupttheoretikerin und Galionsfigur der Spartakisten, beschützen und gleichzeitig überwachen.

In Deutschland herrscht Elend. Zacharias‘ vertraute Welt ist zerstört, der Vater tot, die Mutter verarmt, die Braut entfremdet. Erstaunlich schnell aber gewinnt er das Vertrauen Rosa Luxemburgs, der er das Leben rettet und sich für höhere Aufgaben empfiehlt. Nach dem Sieg der Revolution und einem weiteren Attentat auf Luxemburg avanciert Zacharias zum Leiter der Untersuchungskommission, die die Hintermänner des Anschlags ermitteln soll.

Spätestens hier beginnen Zacharias’ existentielle Schwierigkeiten. Die „Machthaber“ sind untereinander zerstritten, Rosa Luxemburg auf Distanz zu Moskau, Moskau wiederum gibt Zacharias zu verstehen, er selbst solle Luxemburg ermorden. Doch Zacharias, der in Russland ohne Zögern exekutierte, hat Skrupel. Die Lage in Deutschland spitzt sich zu. Der Feind gibt sich nicht geschlagen, die Freunde bekämpfen sich, die Fronten verwischen, das Land hungert und versinkt in Anarchie. Wie soll das alles enden?

Von Ditfurths Buch funktioniert auf mehreren Ebenen, die geschickt ineinander verzahnt sind. Die politisch-gesellschaftliche zeichnet ein stimmiges Bild Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg und skizziert markant den Zustand der unterschiedlichen sozialistisch-kommunistischen Strömungen. Die historisch-politische inszeniert die uralte Frage, ob „eine gute Sache“ den Einsatz von Gewalt, ja, Terror legitimiere. Die Argumentationen werden dabei den historischen Personen in den Mund gelegt, neben Luxemburg und Liebknecht auch Leo Jogiches, Wilhelm Pieck, Clara Zetkin und anderen. Sie spielen also Rollen in einer vorgegebenen Inszenierung, was sie ein wenig zu Abziehbildern ihrerselbst werden lässt. Besonders Rosa Luxemburg ist einen Tick zu „gut“, ja, zu „mütterlich“ geraten. Das quasi Privatpsychologische, das sich um die fiktive Person des Protagonisten Zacharias spinnt, dokumentiert auf einer dritten Ebene diese Zerrissenheit konkret in einem einzigen Charakter, der widersprüchlich genug ist, um zu überzeugen.

Sehr geschickt auch das Ende des hypothetischen Szenarios, das die Fiktion selbst zur Fiktion macht und in die empirische Wirklichkeit zurückführt. „Das Luxemburg-Komplott“ ist ein durchaus spannender, auch actionreicher Politthriller, dessen „theoretische Exkurse“ um die Legitimität von Gewalt und die Wandlung von Ideologien zu Terrorsystemen vielleicht etwas geraffter sein könnten. Zwar erhält der Leser im Anhang biografische Informationen zum historischen Personal, was allerdings fehlt ist ein kleiner Aufsatz, der die tatsächlichen Abläufe und Zusammenhänge dem damit nicht vertrauten Leser nahebringt.

Die Generalfrage, ob man überhaupt mit solchen „Was-wäre-wenn“-Hypothesen arbeiten dürfe, möge jeder für sich beantworten. Ich gebe zu, von Ditfurths Buch ohne allzugroße Erwartungen begonnen zu haben; war dann aber angenehm überrascht, wie der Autor die ärgsten Klippen umschifft. Bedenkenswert, informativ, gut konstruiert, mit cleverer Auflösung.

dpr

Christian von Ditfurth: Das Luxemburg-Komplott. 
Droemer/Knaur 2005. 380 Seiten, 19,90 €

4 Gedanken zu „Christian von Ditfurth: Das Luxemburg-Komplott“

  1. darf man den Blogger auf zwei (hier keineswegs einschlägige) Leserfrüchtlein aufmerksam machen:

    „ein Krimi ist eben kein Infostand“ (taz von heut‘)

    „Dies macht es, nebenbei bemerkt, fast unmöglich, ‚whodunits‘ zu rezensieren. Zu beurteilen ist die Gewieftheit des Plots — und der darf nicht preisgegeben werden. Was kann der arme Kritiker tun, als stumm den Daumen zu heben oder zu senken, in der verzweifelten Hoffnung, dass man es ihm aufs Wort oder besser aufs Schweigen glauben möge?“ (SZ von heut‘)

    Da mach‘ ich mich eben an den Vater von Christian Wolf — den kennt eh jeder …

  2. Darf man, lieber JL,

    wobei dieses „Ein Krimi ist kein Infostand“ ja fast eine Binsenweisheit ist und auf alle belletristische Literatur zutreffen sollte. Aber Whodunit = Gewieftheit des Plots und sonst gar nichts? Nee, also ein bissel mehr sollte schon da sein, und das kann man auch beurteilen. Meistens. Hoffentlich. Stimmt aber schon, dass man sehr häufig flucht, weil man etwas nicht belegen kann, das man eigentlich belegen möchte.

    bye
    dpr

  3. man kann ja, wenn ich recht sehe, auf die Süddeutsche nicht einfach im Netz zugreifen. Dabei hat der Artikel, aus dem zitiert wird, einen echten Blogger-Titel: „Was ist ein Kriminalroman?“. Die Konkurrenz schnarcht nicht: von Poe ist die Rede und vom Heimatroman — es ist eine wahre Freude.

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