Hans Hellmut Kirst: Die Nacht der Generale

„Mein lieber Otto“… „du bist eine große Wurzelsau und daher für mich zwecks Erheiterung unentbehrlich.“

Einige Jahre ist’s her, seit mich dieser Kommissjargon durch mein literarisches Leben begleitete. Es gab eine Phase, in der habe ich die Bücher Hans Hellmut Kirsts verschlungen. Angefangen mit seiner 08/15 Trilogie über die Masuren– Heimatromane zu den Münchener Wirtschaftswunderkrimis. Die „Rebell in düsteren Zeiten“ Attitüde seiner Soldatenromane hat mich seinerzeit durchaus gefesselt, sein Kriminalroman „Verurteilt zur Wahrheit“ schon weniger. Und wie es mit Phasen so ist – sie gehen vorbei.

„Die Nacht der Generale“ blieb ausgespart – aus welchen Gründen auch immer. Warum jetzt der Nachholbedarf? Eine äußerst positive Anmerkung Martin Comparts zu Robert J. Janes „Salamander“, und die Möglichkeit kostengünstig in die eigene Vergangenheit zu reisen (antiquarisch gibt’s das Buch original vergilbt und historisch riechend für wenige Cents plus Porto). Sehr verlockend und außerdem die Möglichkeit einen in Deutschland nicht besonders angesehenen Autoren wieder zu entdecken.


Denn “Die Nacht der Generale“ ist durchaus bemerkenswert, ist der Roman doch nur teilweise einer der für Kirst typischen Soldaten-und Kriegsromane, mit den fast üblichen klischeehaften Typisierungen und Aktionen, zum anderen aber ein Kriminalroman, der um die gestörte Psyche eines Serienmörders kreist. Die Tätersuche ist dabei gar nicht so relevant, da schnell klar ist (und von Kirst auch früh aufgedeckt wird), welcher der drei verdächtigen Generale jener Berserker ist, der in seiner „Freizeit“ Prostituierte äußerst brutal missbraucht und abschlachtet.

Warschau 1942, Paris 1944 und Dresden 1956, drei Orte, drei ähnliche Verbrechen, die nie vor Gericht gelangen, nie offiziell aufgeklärt werden. Am Ende gibt es Sühne, weil ein paar integre Individualisten sich zusammen schließen und den Täter so in die Enge treiben, dass ihm anscheinend kein Ausweg bleibt, als der für einen derangierten Soldatengeist einzig mögliche – „happiness is a warm gun…“ Oder umgekehrt. Der hartnäckigste Ermittler ist da schon lange tot, hingerichtet von einem namenlosen Gefolgsmann des Killers. Ein böser Kniff, den sich Kirst da erlaubt: der eigentliche „Held“ des Romans stirbt nahezu beiläufig; unfähig, trotz seiner gehobenen Machtposition, einen Verbrecher für seine Taten zur Verantwortung zu ziehen. Etwas, dass die Autoren des Massenphänomens „per Du mit dem Serienkiller“ Jahrzehnte später ihren Protagonisten jederzeit zugestehen. Ob Clarice Starling, Alex Cross, Tony Hill oder wie sie alle heißen – am Ende eines Buches ist der Täter überführt. Manchmal kann er aufgrund massenwirksamer Popularität entkommen und in weiteren Büchern sein Unwesen treiben, aber für den jeweiligen Roman findet das blutige Treiben sein ermittlungstechnisches Ende.

Ich würde Hans Hellmut Kirst nicht unbedingt als den „Vater des modernen Serienkiller-Krimis“ bezeichnen – wenn schon eher als Geburtshelfer -, aber seine düstere, einfache Lösungen ausschließende Weltsicht verdient Respekt. Er verweigert sich Genre-Konventionen, bevor sie überhaupt erschaffen wurden.

Natürlich gibt es – gerade aus heutiger Sicht – einiges an dem Roman zu mäkeln, sei es der eher schlichte, teilweise plump wirkende Schreibstil, der gerade den Typographien der Hauptpersonen mitunter unfreiwillig komische Züge verleiht, sei es die Unentschlossenheit mit der die Präsenz des Nationalsozialismus und seinen Auswirkungen beschrieben wird.


Aber gerade da kann man eine Lanze für Herrn Kirst brechen. Vielfach wurde ihm vorgeworfen, dass in der „Nacht der Generale“ zwar viele mehr oder weniger ehrenrührige Soldaten, aber keine echten Nazis vorkommen. Doch das geht am Wesen des Romans vorbei. „Die Nacht der Generale“ ist kein antifaschistischer Paraderoman, vielmehr geht es um die Frage wie sich Individuen im relativ starren Gefüge eines diktatorischen (Ohn)machtszenariums verhalten. Da gibt es Opportunisten, Unbedarfte, Geschickte, Gerechte und das Böse, dass sich so hervorragend tarnen kann – besonders wenn es von den Zeitläuften hofiert wird. Das mag platt sein, manchmal vor Klischees triefen – ein kurzer Blick auf Wilhelmine, die machtgeile, unterwürfige Generalsgattin, die noch tief im Standesbewusstsein des 18./19. Jahrhunderts verwurzelt ist, reicht aus – aber wie so oft entstehen Klischees erst dadurch, dass sie in realiter existieren…

Und Kirsts Kunstfertigkeit die Psyche eines planvoll-chaotischen Serientäters zu zeichnen ist nicht von der Hand zu weisen. Jene psychopathische Variante, die für Ermittler am unangenehmsten ist: einerseits der planvolle Beamte, der sich selbst zügelt, jeden Augenblick seines öffentlichen Lebens unter Kontrolle zu haben scheint; der aber in Raserei ausbricht, hemmungslos und wild, dies aber so konzentriert, dass er sich jederzeit das angerichtete Chaos zunutze machen kann und geordnete Pläne daraus entwickelt. Gnadenlos, flexibel, chaotisch und durchstrukturiert – mit solchen Leuten kann man Wirtschaftswunder kreieren. Oder Massenmorde begehen. Beide Varianten führt Kirst in seinem Buch vor.

Eins noch: liebe Kinder, wenn ihr eure an Cornwell-Deaver-Harris-Hayder-McDermid-Patterson geschulten Äuglein dem Herrn Kirst zuwendet, in Erwartung eines nervenzerreißenden Thrillers mit blutigen Dreingaben, ihr werdet bitter enttäuscht. Wenn ihr aber offen seid für kleine, durchaus fiese Randnotizen zum Homo Homini Lupus, dann kann man mit dem Buch sehr erfüllte Lesenächte verbringen…

„Ich soll zur Sache kommen? Bin doch schon mittendrin, Kleiner. Also da platzt einer in unsere Gesellschaft und röhrt: „er ist tot – erschossen!“ Wir waren alle ganz aufgeregt. Und neben mir stand der von Seydlitz-Gabler, Generalfeldmarschall oder so was ähnliches, alle erdenklichen Orden, viel mehr als der Mende – kurz: ein Held! Und was meint ihr wohl, was der sagte? Na – dreimal dürft ihr raten! Der sagte nämlich: „ Da haben wir den Salat.“

Genau!!!

PS.: Stakkatorhythmus ist KEINE Erfindung von David Peace …
PPS.: 1965 wurde „Die Nacht der Generale für den ‚Edgar Allan Poe Award’ nominiert. In Deutschland wurde der Roman vielerorts geschmäht und verrissen. Allein deshalb hat Kirst wohl irgendetwas richtig gemacht…

Hans Hellmut Kirst: Die Nacht der Generale. u.a.
Goldmann 1962

4 Gedanken zu „Hans Hellmut Kirst: Die Nacht der Generale“

  1. Hallo dpr,

    „der eigentliche „Held“ des Romans stirbt nahezu beiläufig; unfähig, trotz seiner gehobenen Machtposition, einen Verbrecher für seine Taten zur Verantwortung zu ziehen.“

    klingt da nicht ein dezenter Bezug zur Aufarbeitung der Naziverbrechen in den 50er und 60er Jahren an ?

    Beste Grüße

    bernd

  2. Guten Morgen, Bernd,

    das musst du den Kollegen Jochen fragen, ich habe das Buch leider (noch) nicht gelesen. Interessant wäre es schon, Kirsts Position zur „Vergangenheitsbewältigung“ kennenzulernen.

    bye
    dpr

  3. Ups,

    Sorry, hatte nicht gesehen, dass der Text von Jochen König stammt.

    Also dann die stelle ich die Frage eben an Dich Jochen !

    Mit besten Grüßen

    bernd

  4. Der Bezug zur innerdeutschen Aufarbeitung der Naziverbrechen ist in der „Nacht der Generale“ keineswegs dezent, sondern eindeutig und offensichtlich. Denn der Schlusteil spielt 1956 und jeder der drei Generale ist ein „Kriegsgewinnler“. Zwei haben sich in der Bundesrepublik statuiert, der Dritte hat im Osten Karriere gemacht und wird vom Westen hofiert. Angesehene Männer, Stützen der Gesellschaft – im Roman immerhin einer davon ein psychopathischer Serienkiller -, deren Beitrag zum Aufbau der beiden deutschen Republiken nicht unterschätzt werden kann. Wenn man da überhaupt von „Aufarbeitung“ reden kann….

    Und Kirst ist bei weitem kein radikaler Historiker, gerade dem Preußentum steht er sehr ambivalent gegenüber. Und gerade der dort praktizierte Korpsgeist hat ja nicht unerheblich zum Funktionieren des Nationalsozialismus – gerade in der Armee – beigetragen. Die schwächeren von Kirsts Büchern haben mitunter auch etwas von Abenteurspielplatzatmosphäre. Einem Abenteuerspielplatz auf dem die bösen Kinder die Macht übernommen haben. „Die Nacht der Generale“ ist da schon konsequenter.

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