Gabriele Wolff: Ein dunkles Gefühl

Apropos Designkrimis: Man gönnt es ihnen ja, den Fließbändlern in den Krimifabriken, wo sich ein normierter Handgriff an den nächsten reiht, wo der Intellekt auch mit „c“ geschrieben werden könnte, ohne gleich in der Wortspielhölle schmoren zu müssen. Sollen sie doch im Legoland der seichten Unterhaltung Erfolg haben. Es geht auch anders. Nicht gewollt gegen alle „Gesetze“, aber doch mit Variationen derselben. Siehe Gabriele Wolff und „Ein dunkles Gefühl“.

Es beginnt erwartungsgemäß. Friedericke Weber von der Mordkommission hat es mit einem jungen Mann zu tun, dem eine Überdosis Psychopharmaka zum Verhängnis wurde. Literaturstudent, idealistisch-weltfremd-feinnervig, E.T.A. Hoffmann als Hausgott. Die alte Frage: Selbstmord oder Fremdverschulden? Die üblichen Verrichtungen: Zeugenbefragungen, Motivforschung. Eine gewisse Jessica, Internetbekanntschaft, rückt ins Blickfeld, ist aber nicht zu fassen. Weber zweifelt an der Selbstmordtheorie, doch bevor sie den Fall weiter aufrollen kann, geschieht das, was in einem Krimi der üblichen Machart Todsünde wäre: Friedericke wird von ihrem Posten abgezogen und muss sich fortan mit Sexualdelikten befassen, der Tod des jungen Mannes wird zur Nebensache für freie Stunden.

Das ist eigentlich ein Thrillerkiller, aber um herkömmliche Spannungsmuster schert sich Gabriele Wolff wenig. Nicht einmal den alten Trick, ihre Protagonistin in ein Gespinst privater Katastrophen zu verstricken, hat sie drauf, nein, Frau Weber ist glücklich mit einem älteren Mann liiert, wird nicht gemobbt und schon gar nicht (was leider naheliegend ist und von den meisten AutorInnen dankbar genommen worden wäre) durch die Nähe zu Sexualverbrechen an ein ihr selbst zugefügtes erinnert. Abertausende genervte Leser entzünden eine Kerze für Gabriele Wolff in der Kirche des klischeefreien Krimis.

Dass die Kommissarin dennoch immer mehr zu zweifeln beginnt und sich ihrer abstrusen Situation zwischen dem täglichen Unfassbaren und der ebenso täglichen bürokratischen Distanz zu diesem Unfassbaren bewusst wird, liegt an den Fällen, die zu bearbeiten sind. Vor allem die Geschichte mit Jenny erschüttert den Glauben an die problemlose Trennbarkeit von Gut und Böse. Ist Jenny von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden oder befindet sie sich auf einem perfiden Rachefeldzug?

Ein heikles Thema, doch Gabriele Wolff behandelt es nicht „politisch korrekt“, sondern gestaltet daraus ein Fallbeispiel der gar nicht so eindeutigen Natur des Faktischen. Selbst einfachste Indizien – ein weißer Mercedes etwa, der Jennys Version des Tathergangs belegen soll – kokettieren mit ihrer Willkürlichkeit und verweisen auf den größeren Zusammenhang, in den sie gestellt werden müssen.

So fügt sich alles zu einem stimmigen Bild: Alltägliches Glück und alltägliche Zweifel, der Abgrund an Wahrheit, der sich auftut, Scheinwelten aus dem Schminktopf oder der E.T.A.-Hoffmann-Lektüre, das menschliche Elend in den Ritzen seiner formularisierten, ritualisierten Verwaltung. Ein Krimi voller Bewegung, aber ohne billige Effekte. Nur das Ende ist wiederum der Konvention geschuldet. Denn natürlich hängen der Tod des jungen Mannes und das Schicksal Jennys „irgendwie zusammen“. Aber bei aller geplanten Zufälligkeit: Es passt, kein Zweifel, es rundet das Bild.

dpr

Gabriele Wolff: Ein dunkles Gefühl. 
Haymon 2006. 250 Seiten. 19,90 €

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