Ein mysteriöses Foto aus der Vergangenheit am falschen Platz, und die Welt der Malerin Grace Lawson bricht auseinander. Der Ehemann verschwindet, das Leben ihrer Kinder wird bedroht, falsche und echte Verbündete finden sich am Wegesrand, ein Psychopath taucht auf, (fast) am Ende steht ein Shootout mit finalen Konsequenzen für Graces Gegner. Danach noch einige Enthüllungen, die die Erkenntnis bringen, dass die Vergangenheit auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Verluste, hier wie dort; aber immerhin, die Chance für einen Neubeginn. Und warum das alles?
Ein Foto, harmlos wie ein Picknick am Valentinstag, soll Schuld an den ganzen Katastrophen und Todesfällen sein? Natürlich nicht, es ist nur der Aufhänger, und ein ziemlich mickriger dazu. Denn selbst als die Figurenkonstellation auf diesem Farbbild halbwegs aufgeklärt ist – die ein oder andere Überraschung inklusive – bleibt fraglich, ob dieser Wirbel tatsächlich notwendig war. Na gut, der obligatorische Psychopath, eine Art Jet Li in Breit und ohne moralische Skrupel, war bereits auf dem Weg, um das Familienleben nachhaltig zu stören. Wie er dabei vorgeht, letztlich im Bewusstsein scheitert, einer amerikanischen Ehefrau und Mutter nicht gewachsen zu sein, ist nur eine der Unglaubwürdigkeiten des Romans. Grace Lawson ist aber bereits ohne die Konfrontation mit Eric Wu ein Phänomen. Angelegt wie eine Figur, die in Serie gehen soll, agiert sie viel zu cool und selbstbewusst in einem nervenaufreibenden Moment ihres Lebens, der von fortwährender Unsicherheit geprägt ist. Seien es die fehlenden Teile ihres Gedächtnisses, seien es die wechselnden Fronten des Verbrechens und der Gewalt, die in ihren kleinen, amerikanischen Familientraum der Glückseligkeit eindringen. Nicht nur, dass sie zwielichtige Gestalten mit Macht und Einfluss kennt, die mit einem Fingerschnippen eine kleine Armada von teilweise überlebensgroßen Bodyguards abstellen können, auch agiert sie zumeist mit der Chuzpe einer Agentin, die durchaus lizenziert ist zu töten. Jane Bond, nicht Grace Lawson.
Genug gelästert, denn trotz aller Einwände versteht Harlan Coben was von seinem Handwerk. Sein Stil ist höchst alltagstauglich. Gerade zu Beginn gibt es etliche kleine Beobachtungen und Betrachtungen zu denen fast jeder Leser nur nickend zustimmen kann, mit einem geflüsterten: „Da hat er vollkommen recht“, auf den Lippen. In einem Universum der Übertreibungen, sorgt das tatsächlich für Bodenhaftung. Schmuck- und schnörkellos, aber fraglos effektiv treibt Coben die Handlung gut 400 Seiten voran, und am Ende hat man sich nicht gelangweilt. Zwar die Stirn gerunzelt, ein paar Mal herzlich gelacht über all den Blödsinn, aber: spannend war’s und unterhaltsam, ein silbernes Nixelchen, ein Kirmesbesuch in der Stadt deiner Wahl. Hier gibt es keinen Weltuntergang, keine Verschwörung von oben, Coben verspricht nichts Großes, weil er es auch gar nicht halten will. Wenn es ein Paradebeispiel für den Begriff ‚Mainstream’ gäbe, „Just One Look“ könnte es sein. Das Buch verschafft dem Leser eine gute Zeit im Zug, und wenn man’s ausgelesen in der Hutablage vergessen hat, findet sich bestimmt ein weiterer dankbarer Abnehmer, während man selbst neue und wichtigere Dinge angehen kann.
Wer allerdings aufgrund des Fotoverweises und des Klappentextes eine „Blow Up“ Variante erwartet, wird sich abwenden und bitterlich weinen.
Harlan Coben: Kein böser Traum (Originaltitel: "Just One Look", 2004). Goldmann 2006. 420 Seiten. 8,95 €