Ein dicker Hund

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(Ex-Kommissar Wickius, nach einer Intrige denk- und kommentarfauler Blogleser seines Amtes enthoben und in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, kennt die Verbrechens- und Kriminalliteratur der letzten ca. 2500 Jahre in- und auswendig, er löst jeden Fall, indem er das literarische Muster dafür sucht. Und Sie? Wissen auch Sie, welche klassischen Fälle den hier in loser Folge geschilderten Mordtaten zu Grunde liegen? Dann nichts wie ran an die Kommentarfunktion! Für alle Unbelesenen gibt es die Auflösung immer ein paar Tage nach der Veröffentlichung der Geschichte.)

Friedrich Karl Wickius passierte das Polizeipräsidium mit einem akkurat in die milde Luft des Spätherbstes gestreckten Mittelfinger. Er grinste, aber nicht lange. Der Tag war zu schön, das Leben war zu schön, die Vergangenheit hingegen nur noch Vergangenheit. Man hatte ihn in den vorläufigen Ruhestand geschickt, eine Intrige, er hatte darunter gelitten, war nach Ibiza geflogen, um sich am Strand zu entleiben, hatte jedoch genau dort eine Frau kennengelernt, es war gegenseitige Liebe auf den ersten Blick gewesen, sie heirateten drei Tage später.

Die neue Frau Wickius war vermögend. Sie lebte vom Erbe ihrer Eltern und Wickius verwaltete all die Aktien, festverzinslichen Wertpapiere und Immobilien. Man domizilierte im großzügigen Herrenhaus auf dem Lande und nur zum Shopping zog es das Ehepaar samt entzückendem Hündchen gelegentlich zurück in die Stadt. Heute war so ein Tag. Frau Wickius weilte bei ihrer Schneiderin, Herr Wickius, der kein Kommissar mehr war und sich für weibliche Bekleidung nur interessierte, wenn sie akkurat gefaltet neben dem Bett lag, bummelte durch die Straßen. Im Café Hammer würde man sich treffen und zünftig brunchen.

Das Café Hammer war um diese Tageszeit – kurz vor elf – noch leer. Nein, ein Mann saß, das schwere, langhaarige Haupt in die Handflächen geworfen, am entlegensten Tisch, eine Tasse Kaffee dampfte ungetrunken vor sich hin. Wickius grinste zum zweiten Mal an diesem Morgen und steuerte den Tisch an. Dort nämlich saß sein ehemaliger Assistent Oberschiller, den man zum Leiter der Mordkommission befördert hatte, ein Umstand, der dem jungen und unerfahrenen Beamten nicht nur die Lohntüte, sondern auch den Kopf zu füllen schien, und das auf ungesunde Weise.

„Na, Oberschiller, Sie grübeln? Im Café?“ Der Angesprochene schreckte auf und hob den Kopf. „Wickius!“ stöhnte er, „äh…Herr Kommi—Herr Ex—“ Wickius setzte sich dem Verwirrten gegenüber. „Es scheint Ihnen nicht gut zu gehen, Oberschiller, ich sehe das.“

Oberschiller nickte bitter. „Ihnen entgeht nichts, Herr — Wickius — äh, Chef. Ich weiß nicht mehr weiter. Mein erster eigener Fall, wissen Sie, und ich drehe mich im Kreis wie ein— ein—“

„Brummkreisel“ half Wickius vokabulär aus.

„Meinetwegen. Jedenfalls—“

Wickius bestellte einen Kaffee. „Na, dann erzählen Sie mal, Oberschiller. Wer hat denn wen ermordet und warum?“

„Wenn ich das nur wüsste, Chef! Also es war so: Dieser Typ, dieser komische Erfinder oder was der war —- plötzlich verschwunden, verstehen Sie? Ich gehe von einem Gewaltverbrechen aus, denn die Familie des Vermissten, mei, mei, Wickius, das glauben Sie nicht! Der Sohn schlicht bescheuert; die Tochter neurotisch; die geschiedene Frau treibt es mit einem zwielichtigen Dänen. Gut, sage ich mir. Oberschiller, sage ich mir, das riecht nach Beziehungstat. Und dann — dann kommen diese Briefe.“

„Diese Briefe?“ fragte Wickius interessiert.

„Briefe, ja. Vom Vermissten. An seinen Rechtsanwalt. Alles sei in Ordnung. Keine Aufregung. Er müsse halt nur einmal eine Zeitlang untertauchen.“

„Na, Fall gelöst!“ kombinierte Wickius, doch Oberschillers Gesicht verzog sich bedrohlich.

„Eben nicht, Chef! Jetzt ist die Sekretärin des Vermissten ermordet worden und alle Indizien sprechen dafür, dass eben dieser Vermisste…. Aber ich krieg ihn nicht zu fassen! Ich weiß gar-nichts!!!“

„Hm, hm“, sagte Wickius, „das ist dünn, sehr dünn. Wurde die Sekretärin zufällig mit einer schwarzen Statue erschlagen, die einen Vogel darstellt?“

„Statue? Vogel? Nein, nein, sie wurde erschossen.“

Wickius trank seinen Kaffee auf ex und begann plötzlich zu lachen. „Na, dann ist doch alles klar, Oberschiller! Lesen Sie Ihre Klassiker und verhaften Sie dann — “

Er unterbrach sich abrupt und schaute aus dem Fenster, vor dem seine schöne junge Frau mitsamt dem wirklich reizenden Hündchen aufgetaucht war.

„Ich muss leider gehen, lieber Oberschiller, aber Sie wissen ja jetzt, wie Sie den Fall lösen können. Über Weihnachten und Sylvester sind wir wieder in der Stadt, berichten Sie mir dann doch bitte alles Weitere.“ Sprachs, warf ein paar Münzen auf den Tisch und verließ das Café.

Oberschiller weinte. Er sah durch die Scheibe, wie dieser alte Bock seine betörende Frau leidenschaftlich begrüßte, wie das unheimlich liebe Hündchen erfreut mit dem Schwanz wedelte. Oberschiller wollte sterben. Sofort. Er hatte keine Ahnung. Welcher Klassiker? Welche Verhaftung? Er weinte weiter in seinen Kaffee, der schon lange nicht mehr dampfte.

10 Gedanken zu „Ein dicker Hund“

  1. Es handelt sich doch wohl eindeutig um den „Dünnen Mann“. Mit einem kleinen Verweis auf den „Malteserfalken“. Und beim Blättern in meiner Ausgabe finde ich folgenden schönen Satz: „Ich nahm einen Drink mit Nora, die im Begriff war, zum Friseur zu gehen, um sich die Haare waschen zu lassen, dann einen weiteren nach dem Duschen und fühlte mich schon besser, als wieder das Telefon klingelte.“ Da macht es doch einfach Spaß, Privatdetektiv zu sein.

  2. „Am Nachmittag ging ich mit ASTA (!) spazieren, machte zwei Leuten klar, daß sie ein Schnauzer sei und keine Mischung aus schottischem und irischem Terrier, kehrte auf ein paar Drinks bei Jim ein, lief dort Larry Crowley in die Arme und schleppte ihn mitmir ins „Normandie“ zurück.“
    Wie gesagt, wahrlich kein Hundeleben.

  3. Prima, Joachim. Ich erkläre dich zusammen mit Georg zum Gewinner der großen „Ich kenn mich aus“ – Plakette. Wird bei Gelegenheit feierlich überreicht.

    bye
    dpr

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